Kleve:Die erste Stadt Deutschlands will Kupfermünzen abschaffen

Kleve: Machen den Geldbeutel nur schwer und kosten in der Produktion auch noch mehr, als sie wert sind: Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen.

Machen den Geldbeutel nur schwer und kosten in der Produktion auch noch mehr, als sie wert sind: Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Als erste Stadt in Deutschland nimmt Kleve den Kampf gegen das Kleingeld auf.
  • Die Händler sind aufgerufen, den an der Kasse fälligen Betrag auf den nächsten Fünf-Cent-Betrag zu runden.
  • Kritiker der 1-, 2- und 5-Cent-Münzen sagen, dass die Herausgabe der Geldstücke ein erhebliches Verlustgeschäft sei.

Von Varinia Bernau, Kleve

Wenn Klimpergeld auf den Tischen in einem der Cafés von Gerd Derks liegt, dann waren mal wieder die Niederländer da. "Die nehmen das Wechselgeld gar nicht mit nach Hause", sagt der Bäcker. "Dort können sie mit den kleinen Münzen ohnehin nichts anfangen." Derks aber kann sie auch nicht wirklich gebrauchen. Vielleicht, scherzt er, sollten wir die sammeln - und darauf warten, dass der Kupferpreis steigt.

Bislang aber bringt Derks, der rund um die Kleinstadt Kleve am Niederrhein neun Bäckereien betreibt, die Münzen zur Sparkasse. 1000 Stück in einer Woche. Das ist anstrengend. Und teuer: Die Bank verlangt dafür nämlich Gebühren. Zehn Euro in der Woche lässt Derks dort, nur um die Ein- und Zwei-Cent-Münzen loszuwerden.

Nun aber hat Derks ein Schild neben die Kasse gestellt: "Wij doen het nu net als u!", steht darauf. "Wir machen das jetzt wie ihr." In den nahen Niederlanden werden krumme Beträge an der Kasse seit elf Jahren auf- oder abgerundet. Nun nimmt Kleve als erste Stadt in Deutschland den Kampf gegen das Klimpergeld auf: Von Montag an sind die Händler in der 50 000-Einwohner-Stadt aufgerufen, den an der Kasse anfallenden Betrag auf den nächsten Fünf-Cent-Betrag zu runden. Stehen 27,31 Euro auf dem Bon, muss der Kunde nur 27,30 Euro zahlen; stehen 18,58 Euro darauf, fallen hingegen 18,60 Euro an.

Ute Marks, Chefin des lokalen Händlernetzwerkes, ist in diesen Tagen viel unterwegs. Gerade habe sie auch dem Wall Street Journal ein Interview gegeben, flötet sie ins Handy. Die weltweite Aufmerksamkeit ist ihr gewiss, die Unterstützung der örtlichen Händler noch nicht. 800 habe sie angeschrieben, etwa 50 seien zu Beginn der Aktion dabei. Deshalb muss Marks nun Überzeugungsarbeit leisten. Da sind die Filialleiter, die noch die Zustimmung ihres Bereichsleiters brauchen. Da sind die Kassiererinnen, die befürchten, dass in der Hektik falsch gerundet wird. Da sind diejenigen, die nicht wissen, wie sie verbuchen sollen, wenn nicht in die Kasse kommt, was auf dem Bon steht. Und da sind diejenigen, die befürchten, dass am Ende des Tages zu wenig in der Kasse ist.

Und was sagt sie denen? "Dass sich das am Ende ausgleicht. Sonst würden die Niederländer das doch nicht machen. Die sind nämlich ein sehr sparsames Völkchen." Die einzigen, denen es an den Kragen gehe, das seien die Münzen, sagt Marks. Und die, das schwingt mit, haben es auch nicht anders verdient.

Die Backstube von Gerd Derks ist vom deutschen Kleve genauso weit entfernt wie vom niederländischen Nijmegen. Fast 30 Jahre ist es her, dass er die erste Filiale im Nachbarland eröffnet hat. Wenn man 300 bis 400 Kunden pro Tag im Laden habe, gebe es abends immer mal eine kleine Differenz in der Kasse. Das weiß er weniger aus seinen drei Geschäften in den Niederlanden, wo gerundet wird, als vielmehr aus den sechs auf deutscher Seite. "Aber das können wir verschmerzen, wenn wir uns dafür den Aufwand sparen." Andere sind skeptischer: Gerade bei Lebensmitteln knausern die Deutschen. Der Kunde, so befürchten auch einige Händler in Kleve, komme nicht mehr, wenn der Liter Milch 50 anstatt 48 Cent kostet.

Die Herstellung der kleinen Münzen ist extrem teuer

Vor drei Jahren schimpfte Oli Rehn, der damalige EU-Währungskommissar, dass die Herausgabe von Ein- und Zwei-Cent-Münzen ein erhebliches Verlustgeschäft sei. Sie habe, so rechnete er vor, die 17 Euro-Staaten seit der Einführung der Gemeinschaftswährung insgesamt 1,4 Milliarden Euro gekostet. Allein in der Herstellung kostet eine Ein-Cent-Münze etwa 1,65 Cent, eine Zwei-Cent-Münze ziemlich genau zwei Cent. Und dann müssen die Dinger noch transportiert werden. Um sie zu den Menschen zu bringen, die damit ihre Einkäufe erledigen - aber auch zurück zur Bank, wenn sich zu viele Münzen im Sparschwein oder in der Ladenkasse angehäuft haben. Die kleinen Münzen bestehen vor allem aus Stahl und sind lediglich mit einer Kupferschicht überzogen.

5,73 Euro

allein in Münzen hat der Durchschnittsdeutsche im Portemonnaie. Zählt man Scheine dazu, sind es sogar 103 Euro. Die Summe ist seit einigen Jahren ziemlich stabil - und das obwohl fast jeder auch eine Girokarte dabei hat.

Bei der Sparkasse in Kleve werden jährlich 14 Millionen Münzen abgegeben, die es auf das stattliche Gewicht von 70 Tonnen bringen. Jede zweite dieser Münzen ist eine Ein-, Zwei- oder Fünf-Cent-Münze. Zwei Mitarbeiter sind dort nur damit beschäftigt, das Klimpergeld anzunehmen und für den Transport zur Bundesbank vorzubereiten: Eine Maschine sortiert die Büroklammern oder sonstigen Kram aus, der in die Sammelstellen geworfen wird. Eine formt die Münzrollen, eine packt die Rollen zusammen und verschweißt sie. Und alle Maschinen müssen gewartet werden.

Alle vier bis sechs Wochen geht ein Container mit etwa fünf Tonnen Münzen zur Bundesbank. Noch vor ein paar Jahren gab es eine Zweigstelle in Kleve, dann mussten sie die Container erst nach Duisburg bringen, inzwischen bis nach Bochum. Demnächst müssen sie vermutlich bis nach Dortmund fahren. Je weiter die Strecken wurden, desto teurer wurde der Transport. Deshalb haben sie sich bei der Sparkasse entschlossen, die kleinen Münzen nur noch gegen Gebühr anzunehmen. Und deshalb haben sich die Händler im Herbst gedacht, dass sie doch vielleicht ganz und gar aufs Klimpergeld verzichten könnten.

In der Heimat des einstigen EU-Währungskommissars Rehn, in Finnland, wurden schon 2002 kaum Cent-Münzen geprägt. Wenig später ging das Land als erstes im Euro-Raum dazu über, die Beträge an der Kasse zu runden - die Niederländer, Belgier und Iren folgten. Doch eine Mehrheit für die Abschaffung des Kleingeldes konnte Rehn in Europa nicht gewinnen. Deshalb müssen nun auch die Händler in Kleve darauf hoffen, dass der Kunde mitmacht. Fordert er sein Wechselgeld auf den Cent genau, dann muss ihm Derks das geben. So wie jeder Händler in Deutschland in der Pflicht steht, die kleinen Münzen anzunehmen. Erst wenn man mehr als 50 Münzen über den Ladentisch reicht, darf sich der Händler verweigern.

Der Bundesbank zufolge begleichen Privatleute mehr als die Hälfte dessen in bar, was sie im Alltag jenseits von regelmäßig anfallenden Beträgen wie etwa Mitgliedsbeiträgen oder Miete zu zahlen haben. Das helfe, einen Überblick über die eigenen Finanzen zu behalten, sagen die einen. Und sicherer sei es auch, ergänzen die anderen.

Ein Drittel der Kundschaft in den Läden in Kleve kommt aus den Niederlanden. Die hätten noch nie verstanden, warum die Deutschen so sehr am Bargeld hängen, sagt Marks. "In der Grenzregion tun wir uns vermutlich mit dem Abschied von den kleinen Münzen leichter. Bei den Holländern hätten sie den Verzicht aufs Klimpergeld einst auch in einer Kleinstadt erprobt. Und sie hätte natürlich nichts dagegen, wenn sich demnächst auch Berlin ein Beispiel an der Kleinstadt Kleve nimmt.

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