Katastrophenschutz:Auto raus, Wasser rein

Hochwasser in Nordrhein-Westfalen

Hochwasser am Rhein, aufgenommen im Juni 2016. Auch die Versiegelung von Grünflächen und eine dichte Bebauung haben dazu geführt, dass es mehr Überflutungen gibt.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Um Überflutungen vorzubeugen, gehen Stadtplaner und Bauträger neue Wege.

Von Miriam Beul

Es war im Jahr 2007, als das Künstlerehepaar Hirschberg aus Mülheim an der Ruhr zum ersten Mal zum Eimer greifen musste, um Keilrahmen, Farben, Drucker und andere Arbeitsutensilien, die in ihrem Kellergeschoss lagerten, vor dem Wasser zu retten. Besser gesagt, die Freunde mussten mit dem Schippen beginnen, denn die beiden waren zum Zeitpunkt des Orkantiefs Kyrill im Urlaub. Den brachen sie ab, um im Keller ihres Einfamilienhauses zu retten, was es noch zu retten gab. Sturm und Starkregen hatten ihren Garten verwüstet, einen Baum zum Umfallen gebracht. Und ihre Kellerräume mit den Ateliers geflutet. "Das Wasser drückte von allen Seiten gegen das Haus. Es war ein Schock", erinnert sich Anna Hirschberg.

Abgesehen vom Schreck auch finanziell keine schöne Sache. Denn die klassische Hausratversicherung kommt für Schäden durch Starkregen nicht auf. Da müsste schon eine zusätzliche Elementarschadenversicherung her. Doch das Verhandeln mit Versicherungen ist immer zeit- und nervenraufreibend, und daher zögern die Hirschbergs, einen solchen Vertrag abzuschließen. Unsicher sei zudem, ob sie bei der Lage ihres Hauses überhaupt in den Genuss einer Police kämen - Nachbarn etwas weiter unten im Rumbachtal hätten Versicherungsanträge gestellt, aber erfolglos.

"So eine Versicherung packt ja auch das Übel nicht an der Wurzel", sagt Ralf Hirschberg. Seit dem ersten Schaden seien ihre Kellerräume inzwischen ja mehrmals überflutet gewesen. Die Ursache hierfür sehen die beiden und viele ihrer Nachbarn im Klimawandel und in der immer dichteren Bebauung in ihrem Viertel. "Mit jedem neu gebauten Haus fehlen Freiflächen, die das Wasser aufnehmen könnten. Daher drücken Regen und Grundwasser in unsere Keller", stellt Ralf Hirschberg fest.

Dass die Versicherungen Anträge strenger prüfen, hat einen Grund. Denn auch die Assekuranz ächzt unter dem schlechten Wetter. So hat sich die Höhe der Versicherungsschäden durch Starkregen 2016 im Vergleich zum Vorjahr fast verzehnfacht. Bei 940 Millionen Euro lagen die Überschwemmungsschäden nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 2016. Im Jahr davor beliefen sich die Schäden auf lediglich 100 Millionen Euro. "2016 hat sich erneut gezeigt, welche enormen Schäden Starkregen anrichten können. Noch nie haben Unwetter mit heftigen Regenfällen innerhalb so kurzer Zeit so hohe Schäden verursacht", sagt Wolfgang Weiler, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Zwar ist das Jahr 2017 aus Sicht der Meteorologen bisher zwar zu trocken, doch die Unwetter im Sommer haben gezeigt, dass sich der Wechsel zwischen schadenarmen und schadenreichen Jahren offenbar verkürzt und längst nicht mehr nur in Küstenregionen oder Gebiete an Flüssen in Mitleidenschaft zieht.

Laut GDV haben die schweren Regenfälle in diesem Sommer Kosten von 600 Millionen Euro verursacht. Der Weltklimarat (IPCC) geht davon aus, dass Starkregenereignisse infolge des Klimawandels im Lauf der nächsten Jahrzehnte an Häufigkeit und Intensität zunehmen werden. Folge: In immer kürzeren Zeiträumen fallen immer größere Regenmengen. Für Städte, Gemeinden und Privathaushalte wie die Hirschbergs in Mülheim an der Ruhr hat dies weitreichende Folgen: Die Wassermassen können nicht aufgenommen werden, weil die Entwässerungssysteme auf diese Mengen nicht ausgerichtet sind.

Wetterextreme und Siedlungsstruktur bedingen sich demnach gegenseitig und bringen daher auch zum Teil hausgemachte Katastrophen hervor. In einem verheerenden Ausmaß zeigte dies zuletzt Hurrikan Harvey, der den US-Bundesstaat Texas in den Ausnahmezustand versetzte. Die Millionenstadt Houston schwamm wie eine Insel in einem riesigen See. Menschen kamen zu Tode, Schulen mussten geschlossen werden, Krankenhäuser und Altenheime wurden evakuiert. Viele Haushalte mussten ohne Strom auskommen. Die Schäden gehen in die Milliarden.

"US-amerikanische Städte sind aufgrund ihrer dichten Bebauung sowie des hohen Anteils an versiegelten Flächen für Straßen und Parkplätze besonders katastrophenanfällig", sagt Jochen Kurrle, Infrastrukturexperte und Starkregenmanager beim internationalen Projektsteuerungsunternehmen Drees & Sommer. Europäische Städte seien anders gebaut und würden vor allem an Küsten und Flüssen Freiflächen, sogenannte Retentionsräume, vorhalten, damit das Wasser abfließen kann. Doch diese würden aufgrund des Klimawandels oftmals nicht mehr ausreichen. Um Überflutungen vorzubeugen, müssten Stadt- und Raumplanung neue Wege gehen. So wie etwa Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt will in den kommenden 20 Jahren 1,5 Milliarden Euro in den Schutz vor Überflutungen investieren. Die geplanten Infrastrukturmaßnahmen bestehen aus 300 Einzelprojekten und sollen Kopenhagen in Zukunft vor unkontrollierten Überflutungen bewahren. Kern des Projekts: Es wird eine sogenannte blau-grüne Infrastruktur geschaffen. Darunter versteht man Flächen, die bei gutem Wetter als Parkanlagen oder Freizeitflächen dienen, sich aber bei starken Niederschlägen in Seen oder Kanäle verwandeln und dadurch große Wassermassen auffangen.

"Die Anpassung einer Stadt an den Klimawandel ist zwar mit hohen Kosten verbunden, aber durch intelligente Maßnahmen wird der Lebensraum Stadt insgesamt aufgewertet und stellt damit eine ganzheitlich ökonomische Lösung dar", hebt Regenmanager Kurrle hervor, der zusammen mit anderen Drees & Sommer-Experten das dänische Vorhaben begleitet.

Bei Sonne ein Park, bei Regen ein See: Flächen haben immer öfter mehrere Funktionen

Die blau-grüne Infrastruktur betrifft mehrere zentrale Leistungen der öffentlichen Hand: Sicherheit, Mobilität, öffentlicher Raum und Biodiversität. "Im Vordergrund steht die Erhaltung der Lebensqualität. Ästhetische Aspekte und der Komfort der Bewohner werden ebenso berücksichtigt wie die Funktionalität im Notfall. Wir müssen das Wasser heute einfach stärker mitplanen", so Kurrle, der auch vielen deutschen Städten bei der Planung solcher Multifunktionsflächen zur Seite steht. Diese Flächen könnten Wiesen sein, Frei- sowie Parkflächen oder auch ein See. In Bremen sei erst vor Kurzem eine Skateboard-Anlage geplant worden, die bei Regen ebenfalls die Funktion eines Retentionsraumes übernimmt.

Dortmund sei bei der Planung von blau-grüner Infrastruktur ebenfalls sehr weit und habe sich nicht zuletzt mit dem künstlich angelegten Phönixsee einen perfekten, multifunktionalen Retentionsraum geschaffen: Freizeit- und Wohnadresse sowie Überflutungsschutz in einem. "Solche Projekte gelingen nur, wenn alle umdenken, die Bürger und die Verwaltungen", betont Kurrle. Für Regen seien bei den Städten viele verschiedene Ämter und Abteilungen zuständig. Diese müssten an einem Strang ziehen, um mehr Auffangflächen zu schaffen.

Etwas geübter sind da die Behörden in Küsten- und Flussregionen, die seit Jahrhunderten mit Überflutungen leben und entsprechende Schutzvorschriften im Planungs- und Baurecht verankert haben. Doch auch hier sind innovative Lösungen gefragt, um Lebensqualität und Katastrophenschutz unter einen Hut zu bekommen. Beispiel: das 2005 in Köln fertiggestellte Wohnbauprojekt "Rheinkai" am Mülheimer Hafen. Es wurde in einem Retentionsraum errichtet, in dem eigentlich keine Gebäude zulässig sind. Möglich wurde dies durch ein besonderes Hochwasserschutzkonzept, das der Entwickler Corpus Sireo gemeinsam mit dem Stadtentwässerungsbetrieb Köln und dem staatlichen Umweltamt in Bonn entwickelt hat.

Dreh- und Angelpunkt ist die 3,80 Meter hohe Tiefgarage, die auch das Plateau der Wohnbebauung bildet. Ab einem Rheinpegelstand von 10,69 Metern wird die Garage automatisch geflutet, um den Retentionsraum des Flusses nicht einzuschränken. Erreicht der Rhein eine Höhe von 6,20 Metern, die Hochwassermarke eins, werden die Bewohner auf die vollständige Räumung der Tiefgarage nach Erreichen des Rheinpegels 10,19 Meter vorbereitet. Ein dreistufiges Ampelsystem weist dabei genaueste Verhaltensweisen an. Nach Rückgang des Pegels um 80 Zentimeter wird das Wasser über Entflutungsöffnungen aus der Tiefgarage in den Rhein zurückgeleitet. "So arbeiten wir mit dem Rhein, nicht gegen ihn", sagt Corpus-Sireo-Sprecherin Yvonne Hoberg. Und ergänzt, dass eine Flutung der Garage bisher nicht notwendig war.

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