Investmentbankerin Barbara Stcherbatcheff:Gier! Neid! Ego!

Barbara Stcherbatcheff hatte als Investmentbankerin gearbeitet - und ist ausgestiegen. Sie lebte in einer Welt, in der Geld alles und Moral nichts ist. Und sie liebte es.

A. Mühlauer und H. Wilhelm

Barbara Stcherbatcheff ist 28 Jahre alt, geschieden und hat ihre erste Karriere schon hinter sich. Fünf Jahre arbeitete die Amerikanerin als Investmentbankerin in London. Im vergangenen Jahr stieg sie aus. Zeit also, mit ihr über das Denken und Handeln von Bankern zu sprechen, die die Welt mit ihren riskanten Geschäften fast an den Abgrund führten.

SZ: Frau Stcherbatcheff, reden wir über Geld. Sie haben Musik studiert. Mit Banken hatten Sie da wenig zu tun ...

Barbara Stcherbatcheff: ... das stimmt, aber selbst in meiner Klasse wollte jeder an die Wall Street. Dort gab es einfach die lukrativsten Jobs. Auch ich wollte das große Geld machen. Also bewarb ich mich für ein Praktikum bei Merrill Lynch und bekam einen Platz in London.

SZ: War es dort so, wie Sie es sich vorgestellt hatten?

Stcherbatcheff: Nein, es war viel langweiliger. Am Anfang saß ich vor allem allein herum. Das änderte sich, als ich dann Händlerin wurde. Da stand ich unter einem wahnsinnig hohen Druck. Als Trader musst du liefern, sonst wirst du gefeuert. Mir gefiel das.

SZ: Wie kann einem das gefallen?

Stcherbatcheff: Es ist eine Herausforderung. Mein Ziel war es, das große Geld zu machen. Und zwar so schnell wie möglich. Damals, als ich mit 23 Jahren angefangen habe, war man als Banker in der Gesellschaft angesehen - jetzt nicht mehr. Ich bin froh, dass ich nach fünf Jahren rechtzeitig ausgestiegen bin. Aber ich bereue nichts.

SZ: Wie sah Ihr Arbeitstag aus?

Stcherbatcheff: Ich fing um sieben Uhr morgens an zu handeln. Nonstop bis vier Uhr. Das klingt vielleicht nicht gerade viel, aber es ist sehr anstrengend. Man darf sich nicht ablenken lassen oder zwischendurch kurz im Internet surfen oder auf die Toilette gehen. Man muss fokussiert sein Ding machen. Es ist ein Job, der einen sehr fordert.

SZ: Warum war Ihnen Geld so wichtig?

Stcherbatcheff: Ich komme aus keiner reichen Familie. Ich wollte ein schöneres Leben haben.

Saus und Braus in der City

SZ: Wie haben Ihre Eltern reagiert, als sie hörten, dass Sie Bankerin werden?

Stcherbatcheff: Sie waren überrascht, aber so richtig konnte ich ihnen sowieso nicht erklären, was ich machte.

SZ: Versuchen Sie es bitte.

Stcherbatcheff: Ich handelte mit sogenannten Finanzprodukten. Ich setze große Hebel an, um das Geld zu vermehren. Manchmal klappte es, manchmal nicht.

SZ: Wie war Ihr Leben nach 16 Uhr?

Stcherbatcheff: Man lebt als Händlerin auch nach Dienstschluss wie in einer Blase. Während der fünf Jahre als Bankerin ging ich nur mit Leuten aus der City aus. Das machen alle: Sie treffen sich immer in denselben Restaurants und feiern in denselben Clubs.

SZ: Irgendwie langweilig, oder?

Stcherbatcheff: Ja, aber es ist einfach die Kultur der City: Schnelle Autos, flotte Frauen (lacht). Nicht jeder benimmt sich wie ein Rockstar. Aber die City ist eine extreme Welt mit extremen Gepflogenheiten. Champagner und Stripclubs - das ist halt der Lifestyle der Banker.

SZ: Warum brauchen gerade Banker diesen extremen Lebensstil?

Stcherbatcheff: Es stimmt schon, Mediziner oder Architekten machen das nicht in diesem Ausmaß. Das Geld allein kann es nicht sein, Ärzte verdienen ja auch gut. In der City gibt es viel Gier, viel Neid, viel Ego.

SZ: Vielleicht liegt es daran, dass die meisten sehr jung sind ...

Stcherbatcheff: ...ja, und die Schlimmsten sind jene, die in der Schule unsicher waren und kein Mädchen abbekommen haben. In der City verdienen sie ein Wahnsinnsgeld und kaschieren so ihre Unsicherheit. Entschuldigen Sie bitte, dass ich es so sagen muss, aber es ist ein "Big-Dick-Contest". Wenn jemand allein unterwegs ist, würde er nicht 1000 Pfund für eine Flasche Champagner ausgeben; aber wenn fünf oder sechs Banker feiern, will der eine den anderen imponieren. Er gibt einfach mehr aus als seine Mitstreiter. Viele Frauen finden das toll, und plötzlich erfahren die Jungs zum ersten Mal Aufmerksamkeit der Mädels.

SZ: Wie armselig.

Stcherbatcheff: So ist es halt. Nun ja, für so manchen endete das Machotum schrecklich. Ich ging mal mit einem Manager von Lehman Brothers aus. Der hatte das, wovon alle träumten: ein Haus in London, eines in Südfrankreich, mehrere Luxusautos. Aber er hatte etwa 17 Millionen Pfund in Lehman-Papieren investiert. Er hat alles verloren. Heute fühlt er sich als gebrochener Mann.

SZ: Waren Sie selbst auch unsicher?

Stcherbatcheff: Natürlich. Aber ich gab nicht Tausende Pfund für Champagner und Stripper aus.

SZ: Sondern?

Stcherbatcheff: Kleidung und Schuhe. Die typischen Dinge eben, für die eine Frau mit Mitte 20 Geld ausgibt.

SZ: Und das war das schöne Leben, das Sie sich erträumt hatten?

Stcherbatcheff: Irgendwie schon.

SZ: Ein Leben im Materialismus, in dem jeder zeigt, was er sich leisten kann.

Stcherbatcheff: Ja, darum ging es mir.

Wie die Krise der Welt der Banker verändert hat

SZ: Seit Ausbruch der Finanzkrise arbeiten Sie nicht mehr bei der Bank. Sie haben schon während ihrer Arbeit als Händlerin eine "Citygirl"-Kolumne in einer Zeitung geschrieben. So heißt auch Ihr Buch, das nun erschienen ist. Wie reagierten Ihre früheren Kollegen darauf?

Stcherbatcheff: Die fanden das cool. Ich habe ja niemandem ans Bein gepinkelt, sondern nur das erzählt, was ich wirklich erlebt habe. Und zwar aus der Perspektive einer Frau, die sich in einer sehr männlich dominierten Welt durchsetzen musste.

SZ: Fühlten Sie sich in dieser Welt wohl?

Stcherbatcheff: Ich liebte es. Ich lernte verdammt viel. Und ich möchte Frauen ermutigen, in der Machowelt zu arbeiten. Niemand hat mich jemals schlecht behandelt, niemand hat mich belästigt.

SZ: Wie hat die Krise die Welt der Banker verändert?

Stcherbatcheff: Sie war ein Realitätscheck. Die letzten 15 Jahre waren Jahre der Deregulierung. Die City machte das, was sie wollte. Sie erfand Produkte wie CDO und CDS und verpackte faule Papiere und verkaufte sie weiter. Niemand hat die Banken kontrolliert. Keine Politiker, keine Aufseher, keine Journalisten. Die Finanzjongleure brachen keine Gesetze - aber es gab einfach keine Grenzen.

SZ: Gab es auch keine moralischen Grenzen? Die gesamte Weltgemeinschaft leidet jetzt unter dem, was die Finanzbranche verbrochen hat.

Stcherbatcheff: Nein, es gab keine moralischen Bedenken. Als Händler musste man zwanzig, dreißig, manchmal vierzig Prozent Gewinn liefern. Wie man das schaffte, interessierte niemanden. Man musste es nur schaffen. Die Banken stellten Leute wie mich ein, die Geld machen wollen, nicht Leute, die moralische Bedenken haben. Menschen, die fragen, ob wir nicht zu viel Geld machen oder zu hohe Risiken eingehen, gibt es in den Bankentürmen nicht.

SZ: Verändert die Krise das Denken der Banker?

Stcherbatcheff: Ich hoffe. Die Banker haben das Vertrauen der Bürger verloren. Sie können nicht einfach so weiter machen. Es kommt vor allem darauf an, dass die Finanzmärkte stärker reguliert werden. Wenn das nicht passiert, machen die Banker weiter wie vor der Krise. Klar ist: Die City ist nicht fähig sich selbst zu regulieren. Aber die Banker haben erkannt, dass so etwas wie die Krise immer wieder passieren könnte. Sie gehen mit ihren Bonus-Zahlungen nicht mehr so hemmungslos um.

SZ: Wann erkannten Sie, dass die Banker ein zu großes Rad drehten?

Stcherbatcheff: Als Lehman Brothers vor die Hunde ging. Dann brach das Chaos aus. Die Händler wussten nicht mehr, was sie tun sollten. Jetzt ist alles kleiner geworden. Ein Freund von mir arbeitet bei Citigroup. In der Kantine bekommt jeder nur noch eine Serviette. Einmal fragte er, ob er eine zweite haben könnte - nein, das sei nicht erlaubt, sagte die Frau an der Kasse.

SZ: Sind Frauen bessere Händler als Männer?

Stcherbatcheff: Frauen nehmen keine so wilden Risiken auf sich. Sie arbeiten kontinuierlich, dafür aber mit gleichbleibenden Gewinnen. Es gibt nicht so große Ausschläge nach oben - aber dafür auch nicht nach unten. In London sind nur fünf Prozent der Händler Frauen. Es gibt aber keinen Grund, dass sie es nicht machen sollten. Viele Firmen sind gerade jetzt offen für neue Ideen, und im Risikomanagement können Frauen ihre Ideen einbringen.

SZ: Was war die höchste Summe, die Sie für die Bank verzockt haben?

Stcherbatcheff: Ich habe an einem Tag mein Monatsgehalt verloren.

SZ: Wie viel war das?

Stcherbatcheff: Das darf ich nicht sagen. Aber es war verheerend. Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen. Was genau, weiß ich nicht mehr. Ich dachte, irgendwas geht rauf, aber dann ging es runter. So ist es halt. Ganz einfach (lacht).

SZ: Wenn man Ihnen zuhört, hat man das Gefühl, die hohen Summen, die Sie bewegten, waren wie Spielgeld.

Stcherbatcheff: Verluste sind Teil des Spiels. Um ein guter Händler zu sein, muss man nicht intelligent sein. Es geht darum, risikobereit zu sein und sich gleichzeitig abzusichern.

SZ: Haben Sie wegen der Krise auch persönlich Geld verloren?

Stcherbatcheff: Nein. Ich habe keine Aktien.

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