Interview:Zu viel Emotionen

DIM

Antje Flade ist Diplom-Psychologin mit den Themenschwerpunkten Wohn-, Stadt- und Mobilitätsforschung. Sie war von 1980 bis 2005 am Darmstädter Institut „Wohnen und Umwelt“, nun ist sie freiberuflich tätig.

(Foto: privat)

Welche Bedeutung die eigene Wohnung für die Menschen heutzutage hat und warum sich viele mit dem Aufräumen schwer tun, erklärt die Psychologin und Autorin Antje Flade.

Von Simone Gröneweg

Stress und Hektik bestimmen oft den Alltag. Wie eine ordentliche Wohnung entlastet, erklärt die Psychologin Antje Flade. Die Wissenschaftlerin hat ein Buch über die psychologische Bedeutung des Wohnens geschrieben.

SZ: Menschen machen es sich zu Hause gemütlich. Welche Bedeutung hat die eigene Wohnung?

Antje Flade: Sie ist sehr wichtig, denn dort kann man sich entspannen. Dieser Bereich stellt ein Rückzugsgebiet dar und sorgt für eine gewisse Sicherheit. Das Wohnen strukturiert den Alltag zeitlich und räumlich.

Wie funktioniert das?

Zu bestimmten Zeiten frühstückt man in der Wohnung, und zwar in der Küche oder im Esszimmer. In der Nacht schläft man dort, wofür die meisten Menschen ihre Schlafzimmer nutzen. Dass diese Verhaltensweisen mit den Räumlichkeiten verknüpft sind, lernen schon Kinder. Sie wissen, dass sie sich am Abend ins Schlafzimmer zurückziehen. Unsere Lebensweise ist also eng mit der eigenen Wohnung verknüpft. Beim Wohnen geht es nicht nur darum, dass man sich in den Räumen aufhält. Man will sich dort auch wohlfühlen. Wer in einer Wohnung oder in einem Haus lebt, hat dazu nicht nur eine sachlich-pragmatische Einstellung, auch auf der emotionalen Ebene tut sich da vieles.

Fühlt man sich in aufgeräumten Zimmern wohler?

Ordnung entlastet den Menschen auf jeden Fall. Wer weiß, wo sich welche Gegenstände in seiner Wohnung befinden, hat es im Alltag leichter. Denken Sie nur daran, wenn Sie zum Beispiel den Schlüssel fürs Auto benötigen. Muss man erst überlegen und den Schlüssel suchen, ist das natürlich deutlich anstrengender und sorgt für Stress. Zu einem richtigen Problem wird Unordnung allerdings erst, wenn man sie überhaupt nicht mehr in den Griff kriegt.

Woran merken Betroffene das?

Es entsteht irgendwann eine gewisse Hilflosigkeit. Die Leute kommen nicht mehr klar und können die Gegenstände in ihrer Wohnung nicht mehr im Wert einschätzen. Alles in den eigenen Räumen ist emotional besetzt. Ob Fotos, Vasen, Kissen, Bücher, Kleidung oder Bilder - man möchte sich von nichts trennen. Manches hat viel Geld gekostet, darum möchten es die Eigentümer nicht mehr hergeben. Das Chaos überwältigt diese Menschen irgendwann. Sie gehen wahrscheinlich lieber weg, anstatt aufzuräumen. Flucht wäre jedenfalls eine typische Reaktion.

Darum benötigen immer mehr Menschen sogar professionelle Hilfe beim Aufräumen.

Ja, das ist schon eine erstaunliche Entwicklung. Am Ende muss jemand Fremdes helfen, das eigene Inventar auszusortieren. Die Betroffenen schaffen das nicht mehr allein.

Wie kann es so weit kommen?

Das hängt mit der Konsumgesellschaft zusammen. Wir schaffen uns alle Unmengen an. Ein Blick in die Kinderzimmer spricht oft schon Bände. Der Platz reicht nicht aus, trotzdem wird weitergekauft. Wohlstand kann aber unglücklich machen. Man sollte überlegen, bevor man sich wieder etwas für seine Wohnung kauft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: