Interview zu "Financewatch":Gesucht: Banker mit Gewissen

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In Brüssel ist die Finanzlobby top aufgestellt - und schreibt sich ihre Gesetze selbst. Anlegerschützer haben keine Chance. Sven Giegold, Grünen-Europapolitiker und Mitgründer von "Financewatch", erklärt, warum sich das ändern muss.

Bastian Brinkmann

Zehn Festangestellte und ein Jahresbudget von zwei Millionen Euro sollen der Finanzlobby Paroli bieten - Financewatch will ein europäisches Gegengewicht zur mächtigen Bankenbranche werden. Die Initiative ist getragen von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, quer durch alle Fraktionen, von Liberalen und Konservativen bis Sozialdemokraten und Linken. Für die Grünen sitzt Sven Giegold in Brüssel, er war eine treibende Kraft hinter der Gründung von Financewatch .

Sven Giegold sitzt für die Grünen im Europäischen Parlament und ist als Attac-Gründungsmitglied bekannt. (Foto: ap)

sueddeutsche.de: Herr Giegold, Sie kritisieren, dass die Finanzlobby so mächtig ist. Verkraftet das unsere Gesellschaft nicht?

Sven Giegold: Die Macht der Finanzlobby gefährdet die Demokratie. Die Branche kann ihre eigenen Spielregeln so stark beeinflussen, dass es die demokratischen Institutionen nicht schaffen, die Konsequenzen aus der Finanzkrise zu ziehen. Das ist schlecht für die Allgemeinheit, die Unternehmer, Kapitalanleger und Sparer. Es ist völlig legitim, dass die Finanzindustrie ihre Interessen vertritt. Dass das Gemeinwohl nicht organisiert ist, sollte uns allen Sorgen bereiten.

sueddeutsche.de: Aber es gibt doch Verbraucherschützer, die Stiftung Finanztest, die Bafin, die alle der Branche auf die Finger schauen - verstehen die nicht, worum es geht?

Giegold: Das sind nationale Einrichtungen. Die wichtigsten Regeln für den Finanzmarkt werden aber auf europäischer Ebene gemacht. Hier gibt es jedoch ein großes Ungleichgewicht: Die Finanzmarktlobby ist gut organisiert - die Gemeinwohlinteressen nicht. Konsumentenschützer und Anwälte für Finanzmarktstabilität sind in Brüssel viel zu wenig zu sehen. Financewatch soll diese fehlende Balance durch Expertise und Kampagnen ausgleichen. In anderen Bereichen sind wir da bereits besser aufgestellt: Für die Umwelt beispielsweise gibt es den BUND und Greenpeace, auch bei der Entwicklungshilfe gibt es starke Organisationen.

sueddeutsche.de: Sie sind Mitglied im Europäischen Parlament - warum gehen Sie nicht den parlamentarischen Weg, der in einer Demokratie üblich ist, um die Banken zu bändigen?

Giegold: Demokratie ist nicht auf Institutionen beschränkt, Politik wird auch durch Auseinandersetzungen außerhalb von Regierung und Parlament gemacht. Gegenüber der Finanzindustrie ist die Zivilgesellschaft schwach. Aber auch Parlamentarier, die Financewatch initiieren, wollen ihren Teil beitragen und versuchen, einen unabhängigen wissenschaftlichen Dienst zu gründen, wie ihn der Bundestag hat. Das löst aber trotzdem nicht das Problem, dass außerhalb des Parlaments die Kräfte ungleich verteilt sind.

sueddeutsche.de: Wenn diese Gegenmacht ein so großes Anliegen ist, in das Sie monatelang Zeit, Geld und Energie gesteckt haben: Warum wollen Sie sich dann jetzt zurückziehen?

Giegold: Wir Parlamentarier werden in einer Art Beirat mitarbeiten, der aber keinerlei Entscheidungsmacht hat. Wenn eine zivilgesellschafttliche Gegenmacht, die das Parlament beraten soll, von Abgeordneten geleitet wird, wäre das unsinnig.

sueddeutsche.de: Sie rühren jetzt die Werbetrommel, um Mitglieder für Financewatch zu gewinnen.

Giegold: Es sind ja schon welche gekommen. Wir haben 30 Organisationen als Gründungsmitglieder - von Transparency International und dem Europäischen Verbraucherband bis zum Europäischen Gewerkschaftsbund.

sueddeutsche.de: Sie suchen aber auch Einzelpersonen, die sich richtig mit dem Finanzmarkt auskennen. Warum sollte sich jemand Ihnen anschließen, der in der Finanzbrache gut verdient?

Giegold: Es gibt in der Finanzindustrie Menschen, denen es nicht nur ums Geld geht und die sich sehr unwohl fühlen, weil sie mit ihrem Job nicht das meiste für die Gesellschaft bewegen können. Wir haben schon Anfragen. Leute wollen für Financewatch arbeiten und ihr Wissen nicht mehr nur dafür einsetzen, dass ihr Unternehmen höhere Gewinne macht - sondern für eine gute Regulierung des Finanzsystems.

sueddeutsche.de: Die Organisation wird im Mai formal gegründet und nimmt im Sommer die Arbeit auf. Wie wird sie arbeiten?

Giegold: Ziel ist, eine Expertise zu entwickeln und die effektiv zu kommunizieren, bei der Kommission, im Parlament, und bei den wichtigen nationalen Regierungen, um Einfluss im Rat zu bekommen. Es geht darum, früh persönlich Kontakt zu bekommen. Wenn man die entsprechende Kompetenz hat, wird man dort auch gehört. Außerdem wollen wir auch die Öffentlichkeit einbinden, um Themen stark zu machen.

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