Interview mit Henry Kaufman:"Die Marktaufsicht hat versagt"

Der amerikanische Finanzmarkt-Experte Henry Kaufman über die Folgen der Kreditkrise, mögliche Konsequenzen und warum die drängendste Frage immer die nach dem Preis ist.

Nikolaus Piper

Henry Kaufman wurde berühmt, als er 1966 zutreffend eine bevorstehende Kreditkrise voraussagte. Seither gehört der Ökonom zu den einflussreichsten Persönlichkeiten an der Wall Street. Von 1962 bis 1988 arbeitete er bei der Investmentbank Salomon Brothers, zuletzt als Managing Director. Danach gründete er seine eigene Firma, Henry Kaufman & Co, die er bis heute leitet. Kaufman wurde 1927 in der hessischen Kleinstadt Wenings als Sohn eines jüdischen Metzgers geboren. 1937 floh die Familie vor den Nazis nach New York. Dort studierte Kaufman Volkswitschaft, zunächst an der New York University, danach an der Columbia-Universität. Seine Karriere begann er in der Forschungsabteilung der Federal Reserve Bank of New York. Kaufmans Lebenserinnerungen "Money and Markets" sind 2001 auch auf deutsch erschienen.

SZ: Die Kreditkrise beschäftigt seit diesem Sommer die Finanzmärkte. Ist das Schlimmste bald vorüber?

Henry Kaufman: Ich glaube nicht, dass die Kreditprobleme schon hinter uns liegen. Eine ganze Reihe von Problemen sind offenbar geworden und müssen gelöst werden. Die Kreditvergabe ist in den vergangenen sieben oder acht Jahren enorm ausgeweitet worden. Es gab viele Innovationen, nicht nur im Handel, sondern auch in den Kreditinstrumenten selbst. Neue Derivate und Handelstechniken sind auf den Markt gekommen, viele davon sehr komplex. Immer mehr Kredite wurden in Wertpapiere umgewandelt und die drängendste Frage ist die nach deren Preis.

SZ: Wie das?

Kaufman: Noch vor wenigen Jahren blieben Hypothekenkredite bei den Banken und Sparkassen, die das Geld ausgeliehen haben. Heute werden Hypotheken verbrieft und können gehandelt werden...

SZ: ... als so genannte Asset Backed Securities (ABS).

Kaufman: Das gilt nicht nur für Hypotheken, sondern für viele andere Kredite. Wie findet man den Preis für diese Papiere heraus? Das ist gar nicht so einfach, weil es einen einfachen Marktpreis für viele der neuen Papiere nicht gibt. Einige werden von Agenturen bepreist, andere nach mathematischen Modellen. Wenn sich die Marktbedingungen ändern, funktionieren die Modelle nicht mehr. Dabei ist der richtige Preis die Schlüsselfrage bei verbrieften Krediten.

SZ: Vielleicht hätte man diese Wertpapiere nie schaffen sollen. Kaufman: Das ist ein anderes Thema. Aber die Papiere sind nun einmal da und mit ihnen sind riesige Gewinne gemacht worden. Noch etwas anderes ist passiert: Die staatlichen Regulierer und Börsenaufseher konnten mit der Komplexität der Märkte nicht mithalten. Daher gibt es heute sehr bewegliche, nervöse und undurchsichtige Märkte. Das hat auch mit dem Wachstum der Finanzinstitutionen zu tun. Vor en paar Jahren war eine Bank eine Bank, eine Versicherung eine Versicherung und eine Investmentbank eine Investmentbank. Heute gibt es riesige Finanzkonglomerate, die in allen möglichen Geschäften tätig sind.

SZ: Sie glauben, dass die Manager dieser Konglomerate ihre eigenen Unternehmen nicht mehr verstehen?

Kaufman: Ob sie sie verstehen, weiß ich nicht. Es ist auf jeden Fall schwer, sie zu führen. Und sie sind für die Finanzaufsicht schwer zu überwachen. Dies Dilemma ist in der Krise offenbar geworden. Deshalb glaube ich, dass die Turbulenzen noch nicht überstanden sind.

SZ: Es bleibt die Frage nach dem Management.

Kaufman: Ich habe schon lange das Gefühl, dass die eigentliche Management-Macht nicht an der Spitze liegt, sondern in der Mitte, dort, wo die Geschäfte wirklich gemacht werden. Die Finanzmärkte sind ziemlich unternehmerisch geworden. Die unternehmerische Dimension liegt bei mittleren Managern. Sie werden nach dem Geschäft bezahlt, das sie realisieren, sie treiben den Handel voran, und es ist sehr schwer für jemandem an der Spitze, diese Dynamik zu kontrollieren. Charles Prince, zum Beispiel...

SZ:... der soeben zurückgetretene Chef von Citigroup...

Kaufman: ... sagte kürzlich sinngemäß: Solange Liquidität im Markt ist, solange werden wird auf dem Tanzboden sein. Was meinte er damit? Wäre er nicht mehr auf dem Tanzboden, würde also Geschäfte machen, könnte er Marktanteile verlieren; die Boni der Händler würden zurückgehen, weil nicht genügend Gewinn generiert wird. Das würde die Mitarbeiter frustrieren, und auch die Aktionäre wären unzufrieden. Hierin liegt die Komplexität der Situation.

SZ: Bei Citigroup, der größten Bank Amerikas, musste der Chef gehen, ohne dass es einen Nachfolger gibt. Ist das nicht gefährlich?

Kaufman: Ich kenne die innere Dynamik dort nicht. Citi hat mit Robert Rubin und Winfried Bischoff zwei Manager in die Interimsführung bestellt, die das Unternehmen seit langem kennen. Und da weitere Verlustmeldungen kommen dürfteh, haben sie sich wohl entschieden, jetzt zu wechseln. Wir werden dazu in den mehr nächsten Tagen erfahren.

SZ: Ist es nicht überraschend, dass ausgerechnet große Banken so sehr von der Kreditkrise betroffen wurden?

Kaufman: Die Probleme sind in den so genannten Zweckgesellschaften ("Structured Investment Vehicles", SIV) aufgelaufen, die gar nicht in den Bilanzen der Banken auftauchen. Da hätten die Europäische Zentralbank und die Federal Reserve in den USA früher aufpassen müssen. Für mich liegen hier klare Mängel in der regulatorischen Aufsicht vor.

"Die Marktaufsicht hat versagt"

SZ: Welche schlechten Nachrichten erwarten Sie noch aus der Finanzbranche?

Kaufman: Weitere Verlustmeldungen großer Finanzinstitute. In diesem Monat werden Investmentbanken wie Goldman Sachs, Bear Stearns und Lehman, ihre Zahlen vorlegen, im Januar folgen dann Citigroup, J.P. Morgan Chase, Bank of America. Es ist offen, was da alles noch kommt. Man muss auch auf andere Dunge achten. Der Markt für Gewerbeimmobilien in den USA hat sich bisher noch nicht abgeschwächt. Aber viele der Bürogebäude sind zu einem erheblichen Teil fremdfinanziert. Was wird hier passieren, wenn die amerikanische Wirtschaft langsamer wächst als in den ersten neun Monaten dieses Jahres? Wir werden vielleicht keine Rezession bekommen, aber es wird sich wie eine Rezession anfühlen, weil wir aus einer Phase starken Wachstums kommen. Die Lage an den Finanzmärkten wird volatil bleiben.

SZ: Für wie lange?

Kaufman: Was heißt lange? Auf absehbare Zeit jedenfalls.

SZ: Gibt es eine kritische Phase im nächsten Jahr. Zum Beispiel dann, wenn die Zinsen für viele Hypothekendarlehen an ärmere Familien steigen ?

Kaufman: Ich denke, dass der amerikanische Wohnungsmarkt in der ersten Jahreshälfte 2008 den Tiefpunkt erreicht.

SZ: Und was erwarten Sie für die Aktienmärkte?

Kaufman: Der große Unsicherheitsfaktor im nächsten Jahres sind die Unternehmensgewinne. Das Wachstum der Gewinne wird sicher zurückgehen, wie jetzt schon bei den Finanzinstituten. Was ebenfalls sinken wird, sind die Aktienrückkäufe, die bisher die Kurse hochgetrieben haben. Und dann die Unsicherheit über den Ausgang der Präsidentschaftswahl und was das für die Steuerpolitik bedeutet. Das ergibt einen unsicheren Aktienmarkt.

SZ: Und was ist mit den Zinsen?

Kaufman: Ich denke, die Renditen erstklassiger Anleihen werden weiter sinken, der Leitzins der Notenbank, die Federal Funds Rate, wird auf mindestens 4,0 Prozent (von derzeit 4,5) zurückgehen. Die größere Herausforderung für die Fed liegt aber darin, die Finanzmarktaufsicht zu verbessern. Das ist sehr komplex und schwierig. Sehen Sie es einmal so: In einer Wirtschaftsdemokratie sollten sich die durchsetzen, die es richtig machen, während jene mit schlechten Ergebnissen scheitern. Bei Finanzinstituten erlauben wir es den Marktkräften nicht so zu wirken - aus Furcht, der Zusammenbruch eines großen Instituts könnte ein systemisches Risiko für den Finanzmarkt bedeuten. Deshalb dürfen große Instituten nicht scheitern. Kleinere Institute dagegen verschwinden, denn die dürfen ja zusammenbrechen.

SZ: In der jetzigen Krise sind viele amerikanische Hypothekenbanken verschwunden.

Kaufman: Es bleiben die großen übrig und wir haben Probleme, diese diversifizierten Institute zu überwachen. Das Thema wird uns in den kommenden Monaten beschäftigen, der Ausgang ist offen.

SZ: Was ist die Lösung?

Kaufman: Zentralbanken scheuen sich, offen zu sagen, dass es auf dem Kreditmarkt eine Spekulationsblase gibt. Sie sagen: Wir wissen nicht, wann eine Kreditblase entsteht, aber wir wissen, was wir tun müssen, wenn eine Blase platzt: Zinsen senken, Liquidität bereitstellen und das System stützen. Ich halte das für keine sehr gute Taktik, weil so das Entstehen von exzessiver Liquidität und exzessivem Kredit zugelassen wird. Dadurch können die Notenbank ihrer eigentlichen Aufgabe nicht nachkommen: kontinuierliches und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Es ist sicher viel angenehmer, wenn man als Zentralbank nur die Geldversorgung kontrolliert und nicht gestört wird durch zweitklassige Hypotheken, durch aggressive Handelspraktiken und ähnliches. Die Zentralbanker erwarten, dass der Markt das alles bereinigt, aber der Markt bereinigt es nicht.

SZ: Hat die Fed ihre Geldpolitik zu schnell gelockert, als sie in diesem Jahr zwei Mal die Zinsen senkte?

Kaufman: Nein, das war nicht zu schnell. Das Problem entstand 2003, als der Leitzins bei einem Prozent lag und Alan Greenspan nicht rasch genug den Kurs angezogen hat. So konnte dieses enorme Kreditvolumens entstehen.

SZ: Was sind Ihre Lehren aus dieser Krise?

Kaufman: Erstens: Nicht alles ist marktfähig. Zweitens: Die staatliche Marktaufsicht und Regulierung hat versagt. Drittens: Wir müssen etwas tun, um die Märkte durchsichtiger zu machen.

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