Interview:Gemischte Quartiere

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Professor Engelbert Lütke Daldrup ist seit 2014 Staatssekretär für Bauen und Wohnen in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. (Foto: Andreas Süß/OH)

Baustaatssekretär Engelbert Lütke Daldrup über die Entstehung von Stadtteilen, alte Gesetze und neue Gebietskategorien.

Interview von Rainer Müller

Engelbert Lütke Daldrup, Berliner Staatssekretär für Bauen und Wohnen, hat viel zu tun. Die Hauptstadt wächst, die Menschen brauchen Wohnungen. Also muss gebaut werden - ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Herr Daldrup, Berlin, Hamburg und andere bauen neue Stadtteile auf die grüne Wiese. Sind das die neuen Problemviertel?

Engelbert Lütke Daldrup: Auch die neuen Siedlungen entstehen überwiegend auf Konversionsarealen der inneren Peripherie der Städte, insofern bleibt die Bestands- und Innenentwicklung ein zentrales Ziel der Stadtentwicklung. Die neuen Quartiere müssen sozial und funktional gemischt, baukulturell anspruchsvoll und maßstabsgerecht sein. Wichtig ist eine gemischte Bauherrenschaft: Die kommunalen Wohnungsgesellschaften spielen eine hervorgehobene Rolle, sie übernehmen als starke kommunale Akteure auch Entwicklungsträgerfunktionen. Aber wir denken auch an Genossenschaften, Baugruppen und langfristige Bestandshalter.

In Berlin diskutieren Sie die "Gartenstadt des 21. Jahrhunderts". Wie sieht die aus?

Wir wollen in Berlin zwölf neue Stadtquartiere bauen und dabei an Qualitäten des historischen Gartenstadtmodells von Ebenezer Howard anknüpfen, die Ideen in das 21. Jahrhundert transferieren. Die neue Gartenstadt ist vielfach mit der Großstadtregion vernetzt. Sie ist relativ dicht bebaut, aber auch gut mit Freiräumen ausgestattet. Sie hat zentrale Einrichtungen, die positiv in die Nachbarschaft ausstrahlen. Die Identität der neuen Gartenstadt beruht auf ihren gestalterischen Qualitäten und ihrer sozialen Vielfalt. Sie ist robust und imstande, sich veränderten Anforderungen anzupassen. Sie ist klimafreundlich und weitgehend barrierefrei. Und sie basiert auf einer öffentlichen Debatte mit einer Bürgerbeteiligung vor Ort. In der neuen Gartenstadt wird gewohnt, gearbeitet, Freizeit gestaltet - kurzum gelebt.

Als Vorbild wird oft die "europäische Stadt" beschworen. Lässt sich dieses Idealbild heute überhaupt reproduzieren?

Diese über Jahrzehnte, ja teilweise über ein Jahrhundert gewachsenen Quartiere können wir nicht einfach reproduzieren. Aber wir können die Voraussetzungen dafür schaffen: eine vergleichbare Dichte und qualitätsvolle öffentliche Räume, eine kleinteilige Bebauungsstruktur und eine flexiblere Handhabung der Nutzungsmischung als bisher zulässig. Wir müssen bauliche, funktionale und soziale Dichte ermöglichen.

Welche Chancen liegen in der Gesetzesnovelle und der angestrebten neuen Gebietskategorie "Urbanes Quartier"?

Diese geplante Gebietskategorie zielt genau in die gerade diskutierte Richtung. Leider soll nur in den neuen "Urbanen Quartieren" eine höhere bauliche Dichte möglich sein. Besser wäre es angesichts der angespannten Wohnungsmärkte, wenn in allen Baugebietstypen die zulässige Dichte angehoben würde. Viele Gründe für eine Begrenzung der Dichte haben sich inzwischen überlebt, wir brauchen auch aus ökologischen Gründen kompakte Stadtstrukturen. Außerdem wird der in der Bauleitplanung fest verankerte Trennungsgrundsatz zwischen Wohnen und Arbeiten endlich etwas gelockert. Und es geht um eine etwas höhere Akzeptanz des großstädtischen Lärmniveaus. Die Praxis freut sich auf die Erprobung der neuen Möglichkeiten.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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