Interbankenhandel trocknet aus:Wie damals beim Lehman-Crash

Woher bekommen Banken Geld? Von anderen Banken. Dieser Kreislauf allerdings ist derzeit gestört. Die Finanzinstitute misstrauen einander. Eine brandgefährliche Entwicklung, die an die Lehman-Tage erinnert. Doch es gibt einen Unterschied, der Hoffnung macht.

Harald Freiberger

Das Wort war fast drei Jahre lang aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Nun taucht es immer häufiger auf, und es weckt Erinnerungen an trübe Zeiten. Das Wort lautet "Interbankenhandel". Wenn es Probleme im Interbankenhandel gibt, heißt das, dass sich die Banken untereinander kein Geld mehr leihen, so wie es nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 der Fall war. Es gibt allerdings einen Unterschied zu damals: Die Notenbanken sind heute auf den Fall besser vorbereitet und stellen den Geschäftsbanken unbegrenzt Geld zur Verfügung.

Interbankenhandel trocknet aus: Das Frankfurter Bankenviertel: Viele Geldhäuser misstrauen einander.

Das Frankfurter Bankenviertel: Viele Geldhäuser misstrauen einander.

(Foto: AP)

Wie ernst ist die Lage?

Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), äußerte sich am Montag ungewöhnlich deutlich: "Banken in bestimmten Regionen des Euro-Gebiets bevorzugen es, ihre überschüssige Liquidität bei der EZB zu deponieren, anstatt sie an andere Banken auszuleihen. Dieses Signal nehmen wir ernst", sagte er dem Handelsblatt. Ende vergangener Woche hatten die Banken 90 Milliarden Euro bei der EZB eingelagert, vor zwei Wochen waren es sogar schon einmal 145 Milliarden Euro. Das war nicht mehr weit entfernt von der Zeit nach der Lehman-Pleite. Damals lagen zeitweise 200 Milliarden Euro bei der Zentralbank.

Was ist eigentlich Interbankenhandel?

Um ihre laufenden Geschäfte wahrzunehmen, brauchen die Banken einen täglichen Grundstock an Geld, auch Liquidität genannt. Nur dann können sie neue Kredite ausgeben oder Geld auszahlen, das Sparer abheben wollen. Ein gängiger Weg, Liquidität zu schaffen, ist es, Geld von Sparern in die Bank zu holen. Das ist besonders bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken weit verbreitet, sie haben deshalb kaum Probleme mit der Liquidität.

Institute, die keine so große Basis an Privatkunden haben, müssen andere Wege finden, um an Geld zu kommen. Einer davon ist es, eigene Anleihen herauszugeben, ein anderer, sich das Geld von anderen Banken zu leihen. In jedem Institut gibt es Spezialisten, die dafür zuständig sind. Sie sind in Kontakt mit den jeweiligen Fachleuten anderer Banken und handeln untereinander die Konditionen aus, zu denen sie bereit sind, gegenseitig Geld zu leihen und verleihen.

Wie läuft der Handel ab?

Beispiel: Eine Bank braucht kurzfristig 500 Millionen Euro Liquidität. Sie ruft bei einer anderen Bank an und fragt, ob diese bereit ist, ihr das Geld zur Verfügung zu stellen. Oft wird es nur über Nacht geliehen. Die Konditionen legt jede Bank selbst fest. Grundlage für ihre Entscheidung ist, wie sie die Lage der Bank einschätzt, mit der sie das Geschäft macht. "Im Grunde bewerten die Banken gegenseitig ihre Kreditwürdigkeit wie Ratingagenturen", sagt Martin Faust, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management.

Wenigstens wissen die Märkte jetzt, was kommt

Das sei nötig, weil Banken eine tagesaktuelle Einschätzung brauchen und Ratingagenturen ihre Noten nur alle paar Monate vergeben. Im Interbankenhandel werden Kredite vergeben wie an jeden anderen Kreditkunden auch: Je unsolider eine Bank denjenigen einschätzt, der Geld von ihr will, umso höher der Zins. Die Konditionen kennen nur beide Partner. Interbankenhandel ist geheime Kommandosache, die Banken hüten sich, interne Daten über sich oder andere nach draußen zu geben.

Was passiert, wenn sich Banken gegenseitig kein Geld mehr leihen?

Es ist ein Zeichen des Misstrauens. Manche Kreditinstitute halten bei anderen Banken das Risiko für zu groß, ihr Geld nicht wiederzubekommen. Deshalb sind sie nicht einmal bereit, ihr Geld zu höheren Zinsen zu verleihen. Nach der Lehman-Pleite war der Grund für das Misstrauen, dass kein Institut wusste, wie viele fast wertlose verbriefte US-Immobilienkredite in den Bilanzen der anderen lagen. Es herrschte Angst, dass andere Institute pleitegehen könnten und man verliehenes Geld nicht zurückbekommt.

Nun macht die Staatsschuldenkrise den Banken zu schaffen. Zunächst waren es nur Griechenland, Irland und Portugal, inzwischen hat die Krise auf Spanien und Italien übergegriffen. Es herrscht Unsicherheit, ob die Länder in der Lage sein werden, ihre Schulden je zurückzuzahlen. Da einheimische Banken besonders viele Anleihen ihrer Staaten in den Büchern haben, schlägt besonders italienischen und spanischen Banken Misstrauen entgegen. Sie kommen nur noch schwer an Geld anderer Banken. Nicht so ernst ist die Lage bei den beiden deutschen Großbanken: Deutsche und Commerzbank betonen, dass ihre Liquidität kurz- und langfristig gesichert ist.

Ist es wieder so gefährlich wie vor drei Jahren?

Es gibt einen großen Unterschied: Damals wurden die Finanzmärkte von der neuen Situation völlig überrascht. Die EZB musste schnell reagieren und den Banken unbegrenzt Geld bereitstellen. Vorher hatte sie immer nur eine begrenzte Liquidität gewährt, die unter den Banken versteigert wurde. Seitdem können sich die Institute kurzfristig so viel Geld leihen, wie sie wollen. Das Instrument ist immer noch in Kraft, der Zinssatz beträgt derzeit 2,75 Prozent.

"Sparer müssen sich keine Sorgen machen, dass ihre Bank illiquide wird, so wie es nach der Lehman-Pleite der Fall war", sagt Bankenprofessor Faust. Problematisch sei aber der psychologische Faktor. Solange die Staatsschuldenkrise nicht nachhaltig gelöst werde, sei die Gefahr groß, dass das Misstrauen irgendwann auf die Realwirtschaft übergreife. Banken könnten sich dann nicht nur gegenseitig Kredite verweigern, sondern auch Unternehmen, weil sie Angst haben, sie nicht zurückgezahlt zu bekommen.

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