Identitätskrise der EZB:Zentralbank in der Zange

Sündenfall in Serie: Die Europäische Zentralbank verrät ihre eigenen Prinzipien - und zwar nicht nur, weil sie Ramsch-Anleihen kaufen wird. Wie gewinnt die Institution ihre Glaubwürdigkeit zurück?

H. Freiberger

Drei Wörter waren am Montag immer wieder zu hören, wenn es um die Europäische Zentralbank (EZB) ging: Sündenfall, Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit. Sie signalisieren, dass sich die europäische Notenbank mit ihrer Griechenland-Hilfe erstmals in ihrer achtjährigen Geschichte in eine existenzielle Krise manövriert hat. "Die Glaubwürdigkeit der EZB hat in den letzten Wochen empfindliche Kratzer bekommen", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Die Notenbank müsse sie deshalb in Zukunft wie ihren Augapfel hüten.

Euro, Foto: apn

Die Europäische Zentralbank hat sich in eine existentielle Krise manövriert. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat in der Griechenland-Krise immer wieder Ankündigungen gemacht, die er anschließend nicht umsetzte.

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Vier tiefe Kratzer registrieren Beobachter im bisher makellosen Erscheinungsbild der EZB. Sie haben alle damit zu tun, dass Notenbankchef Jean-Claude Trichet in der Griechenland-Krise Ankündigungen machte, die er später unter dem Druck der Ereignisse nicht mehr halten konnte. Im Januar betonte er, dass die Europäische Union Griechenland ohne die Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) retten werde - das war wenige Wochen später hinfällig.

Neue Dimension

Im Februar sagte Trichet, es sei für ihn "kristallklar", dass man das Prinzip der hinterlegten Sicherheiten nicht wegen eines Landes ändern werde - das musste er im April kassieren; seitdem akzeptiert die EZB auch schlecht bewertete Staatsanleihen wie die griechischen als Sicherheiten, wenn sich Banken bei ihr frisches Geld besorgen. Anfang Mai ging Trichet noch einen Schritt weiter: Weil griechische Anleihen vorher auf Ramsch-Niveau heruntergestuft worden waren, hieß es nun, das Rating spiele überhaupt keine Rolle mehr. An diesem Sonntag schließlich der letzte Schritt: Die EZB kauft nun auch Staatsanleihen, um diese zu stützen.

Das bedeutet eine neue Dimension: Bisher blieb das Risiko bei den Banken; fiel eine Staatsanleihe aus, mussten sie bei der EZB neue Sicherheiten hinterlegen. Wenn diese allerdings selbst Staatsanleihen kauft, geht auch das Risiko auf sie über. "Damit haftet letztlich der Steuerzahler, da die EZB eine öffentliche Institution ist", sagt Chefvolkswirt Krämer.

Ein Sündenfall nach dem anderen. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, sieht das Hauptproblem in den Umständen, unter denen die Entscheidungen der EZB zustande kamen. "Die Notenbank handelte stets unter Druck, als es nicht mehr anders ging", meint er. Sie hatte die Fäden nicht in der Hand, sondern wurde von den Ereignissen getrieben. "Die Märkte fragen nun vor allem nach der Unabhängigkeit der EZB in der Zukunft", sagt Kater. "Es sind Zweifel daran aufgekommen, ob sie auch künftig wieder einknickt, wenn schwierige Entscheidungen anstehen."

"Notlösungen zur Behandlung von Symptomen"

Was die Ökonomen noch zuversichtlich stimmt, ist, dass die Kratzer den Kern der Glaubwürdigkeit der EZB noch nicht angegriffen haben. "Diese wird am Ende in Bezug auf ihre Geldpolitik beurteilt, also auf die Inflationsrate" sagt Reint Gropp, Wirtschaftsprofessor an der European Business School in Oestrich-Winkel. In diesem Kernbereich sei die Glaubwürdigkeit der EZB immer noch sehr hohe. Das zeige sich am Wechselkurs. "Hätte die EZB Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Inflation verloren, hätte sich der Euro zum Dollar nach der Ankündigung verbilligt und nicht verteuert", sagt Gropp.

Einer der dafür steht, ist Bundesbankpräsident Axel Weber. Ihm werden derzeit die besten Chancen auf die Nachfolge Trichets eingeräumt. Gegenüber der Börsen-Zeitung kritisierte Weber auch explizit den Kurs Trichets. Der Ankauf von Staatsanleihen berge "erhebliche stabilitätspolitische Risiken", daher sehe er den Beschluss des EZB-Rates "auch in dieser außergewöhnlichen Situation kritisch". Es komme nun darauf an, die Risiken so gering wie möglich zu halten. Die Ankäufe seien daher eng begrenzt.

Das letzte Urteil über die europäischen Währungshüter ist noch nicht gesprochen. "Ihre Leistung und Glaubwürdigkeit werden entscheidend davon abhängen, ob und wie sie es schafft, die lockere Geldpolitik so zurückzuführen, dass hohe Inflationsraten vermieden werden." Dasselbe Problem hat übrigens die US-Notenbank Federal Reserve.

Nicht alle Ökonomen beurteilen die EZB allerdings so milde. Masafumi Yamamoto, Devisenexperte von Barclays Capital, krisitierte: "Das sieht nach Notlösungen aus zur Behandlung von Symptomen. Das ist nicht die Art von Maßnahmen, mit denen die Probleme an der Wurzel gepackt werden." Eine richtige Alternative zu den Eingriffen der Zentralbank sieht aber kaum jemand. "Da gar nichts zu tun keine Option war, ist das gegenwärtige Vorgehen alternativlos, vor allem, um Ansteckungseffekte auf andere Länder zu vermeiden", sagt Wirtschaftsprofessor Gropp. Auf diese Aussage konnten sich am Montag fast alle Experten einigen: Die EZB spielt ein gefährliches Spiel, aber sie hat kaum eine andere Wahl.

"Angekommen in der Transferunion"

Wie kann die Notenbank verhindern, dass ihre Glaubwürdigkeit weiter sinkt? "Sie muss das Heft des Handelns wieder in die Hand bekommen und mehr Unabhängigkeit von der Politik demonstrieren", sagt Chefvolkswirt Kater. Das allerdings ist schwierig, solange Staaten so tief in der Schuldenfalle stecken, dass sie das ganze Währungssystem gefährden.

Die Glaubwürdigkeit der EZB hängt deshalb davon ab, ob die Staaten künftig stärker sparen. Das Problem dabei: Die Notenbank hat, anders als der IWF, keinen Durchgriff auf die Länder, weil deren Autonomie politisch gewollt ist. "Die Maastricht-Union ist tot, also eine Währungsunion, die geprägt ist durch finanzpolitische Eigenverantwortung", sagt Chefvolkswirt Krämer. "Wir sind angekommen in der Transferunion, in der starke Staaten schwache stützen."

Die Sparanstrengungen umsetzen kann aber nicht die EZB, das kann nur die Politik vor Ort. "Die EU hat sich nur wertvolle Zeit gekauft, die muss genutzt werden, um von den Defiziten der Staaten herunterzukommen", sagt Krämer. Die EZB ist der Politik weit entgegengekommen. Nun sind die Politiker an der Reihe, die EZB aus der Schusslinie zu nehmen.

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