Identitätsdiebstahl:Die unsichtbare Dritte

Plötzlich sind Konto und Kreditkarte gesperrt. Erst dann merkt ein Paketbote, dass seit Monaten auf seinen Namen Waren bestellt werden, ohne zu bezahlen. Die Zahl der Fälle von Identitätsdiebstahl nimmt zu.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Identitätsdiebstahl - noch vor wenigen Monaten wusste Peter Siebert (Namen geändert) gar nicht, was das ist. Dann kam der Tag, an dem er selbst Opfer wurde - und seine bis dahin völlig normale Welt zusammenbrach. Von einem Moment auf den nächsten war er auf sich allein gestellt, umgeben nur noch von Misstrauen. Seine Bank misstraute ihm, die Polizei misstraute ihm, Anwälte misstrauten ihm. Der Fall des Paketzustellers aus Bayern zeigt, was für verheerende Folgen es haben kann, wenn ein Fremder sich der Identität bemächtigt. Er zeigt vor allem aber auch, wie leicht das ist. Da müssen nicht erst Schutzmechanismen versagen, nein, viel schlimmer: Es gibt gar keine. Und das heißt nichts anderes als:

Was Peter Siebert passiert ist, kann jedem passieren.

Alles begann damit, dass Siebert am Samstag, den 14. Dezember 2013, einen Brief von seiner Hausbank erhielt. Darin stand, dass er seit einiger Zeit über einen Dispokredit von 1500 Euro verfüge. In seinem Fall sei man "leider zu dem Ergebnis gekommen, dass wir Ihren Dispokredit aufheben müssen". Auch seine Kreditkarte sei "mit sofortiger Wirkung" gekündigt. Er möge sie umgehend zurücksenden.

Siebert wusste nicht, wie ihm geschah. Er hatte keine Erklärung für den Brief. "Mein Lebtag habe ich noch keine Schulden gemacht, die ich nicht pünktlich zurückgezahlt hätte." Gleich am Montag rief er bei seiner Bank an, was es mit dem Brief auf sich habe. Dort riet man ihm, doch mal bei der Schufa nachzufragen, also bei der größten Wirtschaftsauskunftei Deutschlands, mit der fast alle Banken zusammenarbeiten. Das tat Siebert. Als nach ein paar Tagen endlich sein Online-Zugang für eine Schufa-Auskunft eingerichtet war, traute er seinen Augen nicht.

Aus 397 Euro Schulden wurde ein Vollstreckungsbescheid

Bei der Schufa war vermerkt, dass es gegen ihn eine offene Forderung von 397 Euro gibt. "Ich wusste überhaupt nicht, wovon die Rede war", sagt er. Neben dem Eintrag stand der Name eines Onlinehändlers. Als er bei der dortigen Hotline anrief, erfuhr er, dass er, Peter Siebert, geboren am 23.02.1976, vor vielen Monaten diverse Sommerkleider und BHs bestellt haben sollte, die er nie bezahlt habe. Als er fragte, wohin die geliefert worden seien, nannte man ihm eine Adresse, unter der Siebert nie gewohnt hatte - und unter der er somit auch nie gemeldet war.

Siebert bat um Unterlagen zu dem Fall, doch man teilte ihm mit, dass die längst bei einem Inkassobüro seien. Als er sich dorthin wandte, erfuhr er, dass man ihm bereits vor über einem Jahr mehrere Mahnungen und dann einen Mahnbescheid geschickt habe. Weil er nie reagiert habe, habe das Amtsgericht Hamburg ihm am 13. April 2013 schließlich einen Vollstreckungsbescheid zugestellt.

Siebert fiel aus allen Wolken. Nichts von alledem war je bei ihm angekommen. Alles war an die besagte Adresse gegangen, an die auch die Klamotten geliefert worden waren. Dort wohnte, wie er später herausfand, eine Frau mit ihren Kindern. Auf dem Briefkasten standen zwei Namen: der Familienname der Frau - und seiner.

Der Griff nach den Daten

Identitätsdiebstahl oder Identitätsmissbrauch - im Strafgesetzbuch taucht keiner der beiden Begriffe auf. Davon spricht man, wenn jemand die Daten eines anderen abgreift und missbräuchlich für eigene Zwecke nutzt, beispielsweise um damit einen Betrug zu begehen. Das Bundeskriminalamt versteht unter Identitätsdiebstahl lediglich das Abgreifen von digitalen Daten, also beispielsweise Daten für einen Online-Zugang, für Internetbanking oder für ein E-Mail-Konto. Diese Delikte wurden im vergangenen Jahr in Deutschland fast 16 000 mal begangen - und damit mehr als dreimal so oft wie 2007.

Für Verbraucherschützer kann schon das bloße Verwenden eines fremden Namens samt dessen Geburtsdatum ein Identitätsdiebstahl sein. "Uns sind in letzter Zeit häufiger Fälle gemeldet worden, wo Menschen unter falschem Namen Waren bei Versandhändlern bestellt haben", sagt Yvonne Schmieder, Juristin bei der Verbraucherzentrale Saarland. "Da weder der Versandhändler noch das Inkassobüro oder das Amtsgericht verpflichtet sind, die Identität des Bestellers zu überprüfen, kann man fast schon von einem Systemfehler sprechen."

Kriminellen würde es dadurch sehr leicht gemacht. "Dabei könnte man solche Fälle ganz einfach verhindern, wenn man vorschreiben würde, dass zumindest ein Mahnbescheid immer persönlich überreicht werden muss, dass also der Zusteller die Identität überprüfen muss", sagt Schmieder. Im Bundesjustizministerium sieht man auch die Schufa in der Pflicht.

"Die Daten von Auskunfteien haben heute eine große Bedeutung für die Verbraucher", sagt Justizstaatssekretär Gerd Billen zur SZ. " Sie bestimmen maßgeblich ihre Bonität. Negative Einträge erschweren die gesellschaftliche Teilhabe ganz erheblich." Damit gehe eine besondere Verantwortung für Auskunfteien einher. "Wer Geld damit verdient, solche Daten zur Verfügung zu stellen, muss alles dafür tun, dass die Daten korrekt sind. Beschwerden müssen schnell bearbeitet und Fehler schnell korrigiert werden", sagt Billen.

Folgen eines negativen Schufa-Eintrags

Als Nächstes wandte Siebert sich an das Amtsgericht Hamburg. Dort teilte man ihm mit, dass der Vollstreckungsbescheid an dieselbe Adresse geschickt worden war - und längst rechtskräftig sei. Offenbar hatte der fast erwachsene Sohn der Frau den Bescheid entgegengenommen.

Siebert fühlte sich überfordert und suchte nacheinander drei Anwälte auf. Alle drei sagten, dass sein Fall wirklich "sehr bedauerlich" sei. Da er aber leider einen negativen Schufa-Eintrag habe, müsse man auf Vorkasse bestehen. "Ich sollte rund 500 Euro vorstrecken. Die hatte ich aber nicht auf dem Konto, und mein Dispo war mir ja gekündigt worden."

Ihm war zum Verzweifeln zumute. Wie sollte er jemals aus dieser Situation wieder rauskommen und den Schufa-Eintrag loswerden? Zumal er mittlerweile erfahren hatte, dass die Frau noch bei diversen anderen Onlinehändlern Waren auf seinen Namen bestellt und meist nicht bezahlt hatte. Auch dort waren längst Inkassobüros eingeschaltet. Siebert drohten somit weitere negative Schufa-Einträge. Er wandte sich an die Polizei. Die bat ihn, Kopien der Bestellungen, Rechnungen, Mahnungen zusammenzustellen, damit sie ermitteln könne.

Informationssuche bei Händlern, Inkassobüros und Schufa

Briefe, Faxe, E-Mails, Anrufe und wieder Briefe, Siebert kann gar nicht mehr zusammenzählen, wie viele Tage er damit verbracht hat, von den Händlern, den Inkassobüros und der Schufa alles zusammenzutragen. "Einfach war das nicht, weil zunächst keiner ein Interesse daran hatte, mir zu helfen." Doch ihm blieb nichts anderes übrig, wollte er jemals wieder als kreditwürdig gelten.

Was ihn die ganze Zeit über so sehr wurmte und oft um den Schlaf brachte, war der Gedanke, "dass ich gar nichts gemacht hatte, völlig unbeteiligt war - und doch auf einmal meine Unschuld beweisen musste". Erst mithilfe der Interessengemeinschaft der Verbraucher in Deutschland (IGV) gelang es ihm, die richtigen juristischen Formulierungen zu finden, damit der Vollstreckungsbescheid doch noch aufgehoben wurde - und die Schufa den negativen Eintrag löschte.

Überprüfen? Macht man nie, sagt der Versandhändler

Wenn man versucht herauszufinden, wer hier versagt hat, wird es schwierig. Tatsache ist, dass es in der gesamten Kette der Beteiligten niemand für nötig hielt, wenigstens einmal zu überprüfen, ob der Mann, an den sie hier dauernd Waren, Rechnungen und Mahnungen senden, auch tatsächlich da wohnt, wo sie ihre Sachen hinschickten. Beim Versandhändler heißt es, das mache man nie. Schließlich sei es ja gerade der Service, "dass wir an die Wunschadresse liefern und nicht ausschließlich an die Meldeadresse".

Beim Inkassobüro sagt die Sprecherin: "Solange wir Briefe nicht zurückbekommen, haben wir keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Adresse stimmt." Und selbst beim Amtsgericht Hamburg, das den Vollstreckungsbescheid zustellen ließ, bestätigt man, dass normalerweise nicht überprüft werde, ob Zustell- und Meldeadresse übereinstimmen. "Weil der Name des Betroffenen am Briefkasten stand und man einen Vollstreckungsbescheid auch einem Mitbewohner zustellen darf, ging das Amtsgericht davon aus, dass der Bescheid wirksam zugestellt wurde", sagt eine Sprecherin.

Wie sich Identitätsdiebstahl bekämpfen lässt

Zumindest aber die Schufa hätte erkennen können, dass die Adressen nicht übereinstimmen, schließlich war Siebert bislang mit einer anderen Adresse bei ihr gemeldet. Doch statt bei ihm nachzufragen, wurde der vom Inkassobüro gemeldete negative Vermerk bei Siebert eingetragen - und seine Adresse aktualisiert. Ganz nach der Devise: Menschen, die Waren bestellen, ohne sie zu bezahlen, ziehen ja gern mal heimlich um.

Bei alledem hatte Siebert Glück im Unglück. Immerhin hatte die Frau nicht auch noch seine Kontodaten verwendet. Er kennt sie von früher und könnte Schadensersatz von ihr verlangen für all die Kosten, die ihm bei der Aufklärung der Vorfälle entstanden sind. Doch die Frau hat Privatinsolvenz angemeldet. "Da ist nichts mehr zu holen", sagt Siebert. "Ein normaler Krimineller wäre ohnehin längst über alle Berge, bis ich etwas gemerkt hatte."

Seiner Ansicht nach lässt sich ein Fall wie seiner nur verhindern durch viel strengere Regeln für den Nachweis einer Identität. "Es kann doch nicht wahr sein, dass es so einfach ist, unter falschem Namen Geschäfte abzuschließen mit der Folge, dass sogar ein Vollstreckungsbescheid ergeht - und ein völlig Unschuldiger muss das alles ausbaden."

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