Hypo Real Estate:Enteignung des Misthaufens

Der Staat als Gebrechlichkeitspfleger des Finanzsystems: Ohne die Milliarden der Steuerzahler wäre die Krisenbank Hypo Real Estate längst pleite.

Heribert Prantl

Die Staatsgewalt heißt Staatsgewalt, weil sie gewalttätig sein kann: Am gewalttätigsten ist sie dann, wenn sie dem Einzelnen das Leben, das Eigentum oder die Freiheit nimmt - Enthauptung, Enteignung, Verhaftung. Das Grundgesetz hat versucht, dem Staat seine Vernichtungskompetenz zu nehmen oder zu mildern: Die Todesstrafe, also das Recht zur physischen Vernichtung, ist abgeschafft. Und das Recht zur ökonomischen Vernichtung ist kastriert: "Eine Enteignung ist nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung des Interesses der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen". So steht in Artikel 14 Absatz 3 des Grundgesetzes; und die Gerichte wachen sorgsam über die Einhaltung dieser Vorgaben.

Hypo Real Estate: Die Mechanismen des freien Marktes sind kaputt, die Enteignung der Hypo Real Estate gleicht der Enteignung eines Misthaufens.

Die Mechanismen des freien Marktes sind kaputt, die Enteignung der Hypo Real Estate gleicht der Enteignung eines Misthaufens.

(Foto: Foto: Thomas Max Müller)

Gleichwohl ist das Wort Enteignung ein Alarmwort geblieben. Das kollektive Gedächtnis hat darin Schrecknisse gespeichert. Enteignung - in diesem Wort stecken Diktatur und Umsturz. Und für den Bauern von heute, der mit Haus und Hof einer dritten Landebahn weichen muss, bleibt die Enteignung auch bei ordentlicher und angemessener Entschädigung ein Diktat. Daher vermeidet das neue Gesetz, mit dem erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Aktionäre von Banken enteignet werden können, das Wort "Enteignung" sorgsam. Das Gesetz heißt nicht "Banken-Enteignungsgesetz", es wird von der Politik "Rettungsübernahmegesetz" genannt - das soll heißen, dass die betroffene Bank durch staatliche Übernahme vor dem Konkurs gerettet wird.

Im Original heißt das Gesetz Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz. Seine Begründung liest sich eher wie die einer fürsorglichen Entmündigung: Entmündigung nannte man früher den Akt staatlicher Fürsorge, wenn ein sehr alter oder sehr kranker Mensch nicht mehr richtig für sich selber sorgen konnte; im Wort "Gebrechlichkeitspflegschaft" klingt das sehr lautmalend nach. Im neueren Recht nennt man das "Betreuung": Der Staat in Gestalt eines Betreuers kümmert sich um den sehr alten oder sehr kranken Menschen und verfolgt dabei dessen Interessen, nicht seine eigenen.

Mehr als 120 Milliarden Euro fürs Überleben

Im Fall der Hypo Real Estate (HRE) hat der Staat bisher mit Finanzhilfen und Bürgschaften von 120 Milliarden Euro dem Bankinstitut das Überleben gesichert. Ohne diese Gebrechlichkeitspflegschaft wäre die Bank pleite, die Aktien wären wertlos. Der Staat will nun (nur so kann er sich vor dem Steuerzahler rechtfertigen und dem Vorwurf der Untreue mit Staatsgeldern entgehen) gestaltenden Einfluss auf die weiteren Geschäfte der Bank nehmen; dazu muss er selbst Hauptaktionär werden - gegebenenfalls durch Enteignung der bisherigen Aktionäre.

Dieser Plan gilt kapitalistischen Groß-Kritikern als ein neuer Reichsdeputationshauptschluss - als ein grundstürzender Akt der politischen Neuordnung, als quasi-revolutionärer Eingriff in das Eigentum und in die Freiheit des Marktes. Damals, vor 206 Jahren, sah die revolutionäre Umgestaltung der hergebrachten Strukturen so aus: Mit Beschluss des Regensburger Reichstags vom 25. Februar 1803 wurden 25 Fürstbistümer und 44 Reichsabteien enteignet und in Staatsbesitz überführt, das Kirchengut von Klöstern, Stiften und Abteien wurde säkularisiert; die Landesherren, also die Staaten, erhielten völlige Verfügungsgewalt über die Klöster. Die Hälfte des heutigen bayerischen Staatswaldes geht auf diese Aktion zurück. Dieser Reichs-Enteignungsbeschluss war das letzte Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches; er nahm das Ende des alten Reiches vorweg.

Enteignung zwecks Systemrettung

Die Groß-Kritik am Banken-Enteignungsgesetz tut so, als vergreife sich der Staat 206 Jahre später am Eigentum der Aktionäre so, wie er sich damals am Eigentum der Kirche vergriffen hat; er rüttele in revolutionärer Weise an den Grundstrukturen des heutigen wirtschaftlichen Systems. Die Protagonisten der "Kirche des Kapitals" gerieren sich, als schlage mit dem Enteignungsgesetz die letzte Stunde des alten Finanzkapitalismus. Schade wäre es nicht, aber das Gegenteil ist richtig.

Das Enteignungsgesetz versucht, die bisherigen Strukturen des Finanzmarktes zu bewahren und zu sichern; es ermöglicht die Enteignung von Banken, um das Finanz- und Wirtschaftssystem zu erhalten; es ist im Ergebnis kein Enteignungs- sondern ein Erhaltungsgesetz. Die HRE wird nicht entreichert, sondern bereichert. Gleichwohl und gerade deswegen hat das Gesetz, das soeben vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, historischen Rang: Es ist das erste Enteignungsgesetz der Geschichte, das Werte enteignet, die nichts mehr wert sind. Bisher galt der Satz: Enteignen lässt sich nur, was einen Wert hat

Das war bisher stets das Ziel einer Enteignung: Der Staat macht sich private Werte nutzbar für seine Zwecke: Er braucht Grundstücke, um Eisenbahnen, Autobahnen oder Flughäfen zu bauen - und wenn er sie nicht auf dem freien Markt kaufen kann, nimmt er sie sich gegen Entschädigung des Eigentümers. Nach diesen Regeln und zu diesem Zweck hat der Rechtsstaat Bundesrepublik immer wieder Eigentümer enteignet. Diktaturen haben seit jeher, und zwar grundsätzlich ohne Entschädigung, auf Häuser, Betriebe, Ländereien, Paläste und Bankkonten zugegriffen, um damit ihre Anhänger zu befriedigen, ihre politisch-ideologischen Ziele durchzusetzen oder, vor allem, um ihre Kriegskasse zu füllen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Lobbyisten des Kapitals dem Staat eigentlich auf Knien danken müssten.

Enteignung des Misthaufens

Die HRE-Bank aber, das gilt für andere Teile des Bankensystems auch, hat aktuell keinen solchen verwertbaren Wert mehr. Ihre Aktien sind keine Wertpapiere mehr, sondern allenfalls Hoffnungspapiere - und die Hoffnung stützt sich allein auf das Eingreifen und das Geld des Staates. Der Staat greift zu auf Papiere, die nur dank der Aussicht auf Steuergelder allenfalls noch einen gewissen Hoffnungswert haben, und der Staat will die Eigentümer der wertlosen Papiere auch noch dafür bezahlen. So etwas hat es noch nie gegeben.

Damals, vor 206 Jahren, bei der staatlichen Verwertung des gewaltigen Kirchenvermögens, gingen die Staatskommissare sehr akkurat vor. In der niederbayerischen Benediktiner-Abtei Metten wurde auch noch der gewaltige Misthaufen auf dem Ökonomiehof, er war 147 Fuhren groß, zu Geld gemacht und an zwei ortsansässige Wirte verkauft. Allenfalls damit lässt sich der Fall Hypo Real Estate vergleichen: Die Bank ist ein Silo der Exkremente eines hochriskanten Finanzsystems. Die Enteignung der HRE gleicht der Enteignung des Misthaufens. Eigentlich müssten verantwortungsvolle Lobbyisten des Kapitals dem Staat auf Knien dafür danken, dass er diesen Mist abnimmt - und dafür Mittel zum Einsatz bringt, die ein Drittel des Staatshaushalts ausmachen. Um dem "systemischen Risiko" zu begegnen, dass der Zusammenbruch der Hypo Real Estate die Verwüstung des gesamten Finanzsystems zur Folge hat, setzt sich der Staat selbst allerhöchsten Risiken aus. Mit der klassischen Enteignung, mit dem Bild vom fressenden Staat, hat das nichts zu tun. Diesmal nimmt der Staat nicht, sondern er gibt. Die Enteignung besteht in diesem Fall allenfalls darin, dass er sich selbst enteignet, seiner Finanzmittel nämlich.

Selbstreinigungskraft außer Funktion gesetzt

Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom Oktober 2008 hat die Insolvenzordnung außer Kraft gesetzt: Seitdem es also so ist, dass ein Unternehmen auch bei Überschuldung keineswegs zwingend pleite ist und seitdem der Staat mit ungeheueren Finanzmitteln maroden Unternehmen zur Seite springt, seitdem ist die Selbstreinigungskraft des marktwirtschaftlichen Systems außer Funktion gesetzt. Die Mechanismen des freien Marktes, das also, was als dessen Kultur galt, sind kaputt. Die Staatsgelder schalten das wichtigste und für eine Marktwirtschaft unverzichtbare Risiko eines Unternehmens aus: die Insolvenz. Die Bedrohung durch Zahlungsunfähigkeit gehört aber zu den Grundprinzipien der Marktwirtschaft; sie ist das Pendant zur Chance auf gute Gewinne. Auf der einen Seite steht in einer Marktwirtschaft die Chance, viel Geld zu verdienen. Auf der anderen Seite steht das Risiko, alles zu verlieren. Von dieser Chance und mit diesem Risiko lebt der Unternehmer. Unternehmerverantwortung hat viel mit den Großrisiken des Wirtschaftens zu tun; wenn es das Bankrott-Risiko nicht mehr gibt, geht der Unternehmer unverantwortliche unternehmerische Risiken ein.

Wenn es bei Real Hypo Estate, bei Schaeffler oder Opel kein Konkursrisiko mehr gibt, weil der Staat dieses Risiko aus übergeordneten Interessen auffängt, dann ist das System von Gewinnchancen auf der einen Seite und Unternehmensrisiken auf der anderen außer Balance. Dann ist nicht nur die Unternehmerverantwortung, sondern die Marktwirtschaft außer Funktion gesetzt. In dieser Situation soll die Verstaatlichung - das ist der Hintersinn des Rettungsübernahmegesetzes - das nicht mehr vorhandene Risiko der Insolvenz und der Liquidation ersetzen: der Unternehmer verliert, wie beim Konkurs, die Eigentümer- und Kontrollrechte.

Die staatliche Zwangsaktion einer sogenannten Enteignung etwa bei Hypo Real Estate setzt also nicht die Marktmechanismen außer Kraft, sondern versucht, diese wieder in Kraft zu setzen. Schon eine einzige Enteignung soll der Wirtschaft zeigen: Es gibt auch in diesen Zeiten, in denen der Staat bestimmte Unternehmen aus Gemeinwohlgründen retten will, unternehmerische Risiken. Ob dieses Kalkül, ob diese Rechnung wirklich aufgeht, das weiß derzeit niemand. Wenn der Staat sich verrechnet, stehen wir vor dem größten Bankraub aller Zeiten - einem Bankraub freilich, bei die Räuber nicht von außen kamen, sondern in der Bank saßen.

Steuerzahlen, Wähler, Betroffene, potentiell Geschädigte: Sie flüchten sich vorläufig in Galgenhumor. Was ist der Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus? Im Sozialismus werden die Banken erst verstaatlicht und gehen dann pleite. Im Kapitalismus gehen sie erst pleite und werden dann verstaatlicht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: