Hypo Real Estate:Die Pflicht zur Enteignung

Das Kabinett will die Enteignung von Aktionären der Hypo Real Estate erlauben. Weil der Staat über 100 Milliarden Euro in die marode HRE gesteckt hat, braucht er die Sicherheiten der Bank. Der Staat hat in diesem Fall also nicht nur ein Enteignungsrecht, sondern eine Enteignungspflicht.

Heribert Prantl

Bricht in dieser Woche der Staatssozialismus aus in Deutschland? Führt Angela Merkel einen klitzekleinen Kommunismus ein? Das Kabinett will ein Gesetz verabschieden, das die Enteignung von Aktionären eines Finanzinstituts erlaubt; der Staat behält sich vor, deren Anteile an der Hypo Real Estate (HRE) zwangsweise zu übernehmen.

Hypo Real Estate: Der Staat will Aktionäre der Hypo Real Estate notfalls enteignen

Der Staat will Aktionäre der Hypo Real Estate notfalls enteignen

(Foto: Foto: Reuters)

Einem klassischen Marktwirtschaftler galt so eine Staatsaktion bisher als Todsünde, als ein Kapitalverbrechen an der Wirtschaft und der Eigentumsgarantie. Doch diese Enteignung ist kein sozialrevolutionärer Akt, sie ist nicht einmal ein Instrument zur Gesellschaftsreform. Sie ist auch kein Mittel, das Staatsvermögen zu mehren, sondern nur ein kleiner Versuch, es zu erhalten.

Dieser Versuch hilft einem klassischen marktwirtschaftlichen Prinzip auf die Sprünge: Ich gebe, damit du gibst. Der Staat hat über 100 Milliarden Euro in die marode HRE gesteckt. Dafür braucht er die unsicheren Sicherheiten, die die Bank noch hat. Wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt und die Aktionäre nicht verkaufen, ist das der Zugriff auf die Aktien.

Der Staat hat in diesem Fall also nicht nur ein Enteignungsrecht, sondern eine Enteignungspflicht - es ist dies, wie Juristen sagen, eine Pflicht aus vorangegangenem Tun. Die Enteignung ist eine Aktion, um dem Steuerzahler für seine vielen Milliarden das bisschen an Gegenwert zu geben, was noch da ist.

Sicherlich: Eine solche Enteignung von Aktionären per Gesetz galt bisher als schier unvorstellbar; aber unvorstellbar war es auch, dass der Staat so unvorstellbar viel Geld in eine Kapitalgesellschaft pumpt.

Enteignungen, wie sie bisher ab und an in der Bundesrepublik praktiziert wurden, waren kleine Enteignungen. Sie wurden nicht per Gesetz vom Parlament, sondern von der Verwaltungsbehörde vollzogen, als Administrativ-, nicht als Legislativenteignung. Es waren widerborstige Bauern, die enteignet wurden, wenn sie ihr Feld nicht für den Autobahnbau an den Staat verkaufen wollten - gegen Entschädigung selbstredend. Ein Zwangszugriff auf die Aktien der HRE hat einen anderen Rang: Der Staat greift ins Herz des Kapitalismus. Er tut es nicht zur Systemveränderung, sondern als Nothilfe.

Lesen Sie auf Seite zwei, welchen Bedeutungswandel der Satz "Eigentum verpflichtet" im Laufe der Jahrzehnte erfahren hat.

Die Pflicht zur Enteignung

Jeder Bundesbürger haftet mittlerweile mit mehr als tausend Euro für die HRE. Ohne dieses Geld als Sicherheit wäre die Bank schon lange zusammengebrochen. Sollen die verkaufsunwilligen Aktionäre trotz dieser gigantischen Hilfsaktion ihre Anteile behalten dürfen, um auf einen Kursanstieg zu spekulieren, der nun hoffentlich mit Hilfe der Staatsgelder eintritt?

Es wäre eine sträfliche Vernachlässigung des Gemeinwohls, wenn der Staat den Aktionären ihre Anteile beließe; ohne die staatlichen Subsidien hätten diese gar nichts mehr, wäre ihre Bank nicht mehr existent. Die Entschädigung, wie sie das Grundgesetz im Fall der Enteignung anordnet, kann daher im Fall der HRE allenfalls eine sehr billige sein.

Der Satz des Grundgesetzes, auf den sich die Enteignung eines Aktionärs stützen kann, steht an einer Stelle des Grundgesetzes, die seit Jahrzehnten verlegen überblättert wird. Die Vorschrift über die Enteignung zum "Wohle der Allgemeinheit", noch mehr der Artikel über die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, galt jahrzehntelang als Verirrung aus den Kinder- und Jugendtagen der Republik.

Nun, nachdem sich ein ungebändigter Kapitalismus als Verirrung erwiesen hat, genießen die wirtschaftslenkenden Regularien des Grundgesetzes und die Sozialisierungsmacht des Staates wieder gestiegenes Ansehen.

Um detaillierte Erläuterungen dazu zu finden, muss man allerdings in ziemlich alten Büchern blättern: Von 1949 bis in die Mitte der fünfziger Jahre finden sich in den Werken des Verfassungs- und des Wirtschaftsverwaltungsrechts noch umfangreiche und ernsthafte Abhandlungen über den Ablieferungs- und Aufopferungszwang, über Einziehung, Konfiskation und Eigentumsumschichtung. Später war es dann so, dass schon scheel angesehen wurde, wer auf die Mahnung des Artikels 14 Absatz 2 verwies: "Eigentum verpflichtet."

Gemeinwohl-Artikel - die Kuckuckseier der Verfassung

Das Bundesverfassungsgericht, sonst glanzvoller Architekt und Großmeister beim Bau dogmatischer Gebäude, hat zur Gemeinwohlbindung des Eigentums wenig Profundes gesagt. Seine wichtigen Urteile dazu gehen mit den frühen sechziger Jahren zu Ende.

Stattdessen hat dann das Großmanagement der Wirtschaft bis zur großen Finanzkrise den mahnenden Satz des Grundgesetzes auf perfide Weise ergänzt: Eigentum verpflichtet - zu nichts, außer zur Eigentumsvermehrung und Gewinnmaximierung. Es war, wie sich nun herausstellt, ein schwerer Fehler, dass Politik und Rechtsprechung die zwei Gemeinwohl-Artikel 14 und 15 als die Kuckuckseier der Verfassung betrachtet haben.

Weil das so war, ist heute der erste Satz des Ahlener Programms der CDU wieder aktuell geworden: "Das kapitalistische Wirtschaftssystem", so hieß es da im ersten Satz, "ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des Volks nicht gerecht geworden." Das war 1949. Sechzig Jahre später gelten solche Sätze wieder. Die Enteignung der HRE ist eine Notmaßnahme der sozialen Marktwirtschaft, die deswegen notwendig geworden ist, weil sie auf das Soziale in ihr zu wenig geachtet hatte.

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