HSH Nordbank: Spitzelaffäre:Projekt Schweigen

Die Angst vor der Außenwelt: Die Spitzelaffäre um die HSH Nordbank wird immer dubioser. Die Bank ließ sogar Aktivitäten ihrer Eigentümer beobachten, der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Der Blogger, der sich Libuda nennt, dribbelte nicht lange, sondern kam gleich zur Sache: "Unglaublich, was wir für die Bängster alles abdrücken müssen." Kollege Apatsche sprang ihm bei: "Da gibt es nur eins: an den Pranger mit dem ganzen Pack und Volkes Zorn überlassen."

HSH Nordbank: Spitzelaffäre: Paranoia: Wahnsinn im Wortlaut

Paranoia: Wahnsinn im Wortlaut

Und "Ausser" meinte: "Es brodelt in der Hexenküche." Auf diversen Foren im Internet wird seit vielen Monaten über Banker im Allgemeinen und die HSH Nordbank im Speziellen diskutiert. Es ist eigentlich der übliche Stoff und Klatsch aus der weiten Welt des Web.

Aber offenbar jeder Beitrag über die Staatsbank im Norden, ob bei anarchie.de, bei radio-utopie.de oder sonstwo erschienen, wurde im Auftrag der HSH von Mitarbeitern der Sicherheitsfirma Prevent sorgfältig studiert, und "Risikorelevantes wurde herausgefiltert".

So sollte festgestellt werden, ob jemand Böses gegen HSH-Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher oder Aufsichtsratschef Hilmar Kopper plante. Die privaten Ermittler hatten, wie bei einer richtigen Sicherheitsbehörde, für "besondere Ereignisse" ein WE-System eingerichtet. Das Kürzel meint "Wichtige Ereignisse". Im WE-Fall sollte "eine Alarmierung gewährleistet" sein. Erfasst worden seien, so steht es in einem Leistungsnachweis der Firma, 58 Internet-Plattformen, von "extrem" bis "bürgerlich".

"Erkenntnisse gewinnen"

Parallel dazu sichtete das Team, in dem angeblich "wirtschaftsfachlich, forensisch und medial vorgebildete" Mitarbeiter Dienst taten, die Programmankündigungen der politischen TV-Magazine, um frühzeitig zu erkennen, ob Beiträge über die HSH geplant seien (Grafik). Außerdem wurden "zwei- bis dreistündlich Rundfunknachrichten von zwei nachrichtenorientierten Sendern abgehört, um hier Erkenntnisse zu gewinnen". Prevent nahm sogar die Pressemeldungen der Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft und im Kieler Landtag unter die Lupe. Das Projekt hieß Silence, also Schweigen, und kostete viel Geld.

Das übliche Honorar für solche Geschäftigkeiten und Handreichungen lag pro Achtstundentag und Mann bei 2000 Euro. Insgesamt soll Prevent von der HSH mehr als sieben Millionen Euro für diverse Dienstleistungen inklusive Personen- und Objektschutz erhalten haben.

Es gibt, das hat die Bankenkrise vor Augen geführt, unterschiedlichste Möglichkeiten, viel Geld zu verbrennen, aber eine der seltsamsten Modalitäten ist das Einschalten von Sicherheitsleuten zur Beobachtung der Medien und Parlamente. "Bei der HSH hat Verfolgungswahn dazu geführt, dass solche Methoden angewendet wurden", vermutet der Kieler FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki, dem in seiner langen Zeit als Anwalt und Politiker wenig Menschliches fremd geblieben ist. Die sechs Fraktionen im Kieler Landtag wollen in einer gemeinsamen Erklärung die "verdeckte Observierung" von Medien und Politikern rügen und rückhaltlose Aufklärung verlangen. Dazu ist bereits ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden, und selbst der war laut Prevent-Unterlagen im Blickfeld der Sicherheitsfirma. Das geschah alles für die HSH, die vor allem den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehört und die demnach ihre eigenen Eigentümer beobachten ließ.

Bemerkenswert am Projekt Silence ist auch der Umstand, dass erneut Sicherheitsleute sich der Medien annahmen und dass die Journalistenskandale bei Bahn und Deutscher Telekom offenbar keine abschreckende Wirkung hatten. Denn die Unfähigkeit von Unternehmen, mit ihren hauseigenen Krisen professionell umzugehen, ist keine neue Erscheinung. Es hat schon früher viele Image-Desaster gegeben. Entweder haben Vorstandsleute ihren Mitarbeitern in den Kommunikationsabteilungen lange Zeit die Wahrheit vorenthalten oder gar verboten, die Wahrheit zu verbreiten.

"Top-Brisanz-Journalisten"

Noch nie waren Jobs in den Chefetagen deutscher Konzerne so unsicher wie heute. Anstellungen auf Lebenszeit gibt es nicht mehr. Die Angst vor dem Absturz und - im Fall Nonnenmacher zumindest - um die eigene Sicherheit können zu abenteuerlichen Konstruktionen führen. Lange vor dem Fall HSH hatte die Telekom einen gewaltigen Ansehensverlust erlitten, weil sich Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung mit einer detektivähnlichen Firma aus Berlin zusammengetan hatten, um Lecks zu stopfen. Die Klitsche sollte nach den undichten Stellen im Konzern suchen. Das lief an der PR-Abteilung der Telekom vorbei. Laien legten fest, welche in die Presse geratenen Informationen über das Bonner Unternehmen hochgeheim waren und welche nicht. Eine Rangliste mit den Namen von "Top-Brisanz-Journalisten" wurde erstellt. Noch verrückter und wohl auch illegal war es dann, die Telefon-Verbindungsdaten der Journalisten zu erheben, um festzustellen, mit wem sie im Konzern Kontakt hatten.

Die Deutsche Bahn filterte täglich rund 140.000 E-Mails ihrer Beschäftigten daraufhin, ob sie mit Journalisten oder kritischen Verkehrsexperten Kontakt pflegten. Das Spitzelprojekt hatte den internen Namen Leakage, was Informationsabfluss meint. Die Affäre entpuppte sich als eine absurde Melange aus Verfolgungswut, Paranoia und Größenwahn und endete mit dem Rücktritt von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn und weiteren Spitzenmanagern.

Die in den Abläufen durchaus unterschiedlichen Fälle HSH, Bahn und Telekom verbindet, dass sie bei Unternehmen spielen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Die eingeschalteten Sicherheitsleute haben früher oft für Polizei oder Nachrichtendienste gearbeitet, und ihre Sammelwut war gewaltig.

Wie bei Geheimdiensten üblich hatten die Ermittler von Prevent für die HSH Sicherheitsstufen entwickelt, die von Stufe 1 ("Negative Berichterstattung ohne Gefährdungspotenzial für das Unternehmen und seine Mitarbeiter") bis zu Stufe 5 ("Sonderrisiken") reichte. Falls sich die Bank an der Finanzierung von Energieunternehmen beteilige, heißt es in einem Bericht, könne sie in den "Fokus linksextremistischer Gruppierungen geraten". Dann sollten "sofort erhöhte Sicherheitsmaßnahmen initiiert werden".

Bei der HSH und Prevent versteht man die Aufregung über all diese Maßnahmen nicht. Was man getan habe, sei nicht illegal, sondern normal, sagt Prevent. Die HSH erklärt, bei der Einschaltung des "zum damaligen Zeitpunkt sehr renommierten Sicherheitsdienstleisters Prevent" sei es ausschließlich um die Analyse der allgemeinen Gefährdungslage und die Sicherheit von Bank und Personal gegangen. Was dabei sinnvoll sei, habe grundsätzlich im Ermessen von Prevent gelegen. Bespitzelt worden sei niemand.

War am Ende der Chef des Hauses, Professor Dirk Jens Nonnenmacher, selbst das größte Sicherheitsrisiko? Möglicherweise sei der Mann ein "begnadeter Mathematiker", sagt FDP-Mann Kubicki, "aber ihm fehlt jede soziale Kompetenz."

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