Hochhäuser:Es ist die Höhe

Das Hochhaus ist keine aktuelle Erfindung. Und trotzdem errichten sich vor allem Unternehmen seit 100 Jahren immer gewaltigere Wolkenkratzer. Sie alle wollen möglichst hoch hinaus. Aber warum nur?

Von Gerhard Matzig

In Dubai, wo auch sonst, soll in den nächsten zehn Jahren der "Nakheel Tower" erbaut werden. Vor kurzem wurden die Pläne vorgestellt, die Arbeiten am Fundament haben begonnen. Dem Entwurf zufolge soll das Haus etwa 1000 Meter hoch werden, 200 Stockwerke umfassen und Platz - außer für Menschen - für insgesamt 10.000 Autos bieten. Der Außentemperaturunterschied zwischen ganz unten und ganz oben könnte bis zu zehn Grad Celsius betragen. Vor allem aber: Der Nakheel-Turm wäre im Jahr 2018 das höchste bewohnte Haus der Welt.

Hochhäuser: Das neue Verlagsgebäude des SV ist 95,95 Meter hoch - und damit nachgerade ein "Zwerg" im Vegleich zu anderen Hochäusern überall auf der Welt.

Das neue Verlagsgebäude des SV ist 95,95 Meter hoch - und damit nachgerade ein "Zwerg" im Vegleich zu anderen Hochäusern überall auf der Welt.

(Foto: Foto: SZ / Andreas Heddergott)

Es sei denn: Die Saudis sind schneller. Denn auch Prinz Al-Walid Bin Talal Bin Abdul Aziz Al-Saud plant einen 1000-Meter-Wolkenkratzer, der aussehen könnte, als wollte da jemand seinen durchaus länglichen Namen in die Vertikale umbiegen. Geplant ist der Turm für Dschidda am Roten Meer.

Bislang kaum vorstellbar

Aber egal, welches der beiden Vorhaben sich eher als realistisch erweisen wird: Schon jetzt ist klar, dass das derzeit höchste Bauwerk der Welt, der "Burj Dubai" (Turm von Dubai) seinen Titel nicht lange behalten wird. Der Dubai-Turm ist inzwischen etwa 700 Meter hoch und soll in den nächsten Monaten noch um weitere einhundert Meter wachsen.

Noch vor wenigen Jahren konnte man sich ein 800 Meter hohes Haus kaum vorstellen. Zum Vergleich: Die im Jahr 2001 durch einen apokalyptischen Terroranschlag zerstörten Zwillingstürme des New Yorker World Trade Center (WTC), 415 und 417 Meter hoch, galten zusammen mit dem ebenfalls in den 1970er-Jahren erbauten Sears Tower in Chicago (442 Meter) lange Zeit als die höchsten Bauwerke der Welt. Dann aber wurden vor einigen Jahren die Petrona Towers in Kuala Lumpur erbaut (452 Meter) und schließlich das sogenannte Taipeh 101 (509 Meter) auf Taiwan - bis die Burj-Baustelle auch diese Riesen hinter sich gelassen hat.

Wobei es nur eine Frage von wenigen Jahren sein dürfte, bis die Marke von 1000 Metern geknackt wird. Beispielsweise gibt es auch für Shenzhen in China Überlegungen, ein 1-Kilometer-Haus zu errichten. Die Vision eines von Pflanzen überwucherten und von Windrädern betriebenen Wohnberges, der außerdem auch noch nach Feng-Shui-Prinzipien zu errichten wäre, ist kürzlich auf der Architektur-Biennale in Venedig vorgestellt worden. Zum skeptischen Staunen der Fachwelt allerdings.

Es ist die Höhe

Der Wettbewerb um den Höhenrekord der Architektur ist ein ständiger Begleiter der Moderne. Die an sich archaischen Babel-Träume sind seit alters her bekannt - beispielsweise wurde schon im frühen 17. Jahrhundert über Wohnhochhäuser nachgedacht: Jacques Perret entwarf sie im Zuge seiner Idealstadt-Utopien.

Aber erst das 19. und 20. Jahrhundert der neuen Materialien und Erfindungen, die Zeit des Stahls also und der Aufzüge, führte zum Höhenrausch der Architektur. Spätestens seit 1885 gibt es die Höhen-Konkurrenz. Damals wurde in Chicago das zehnstöckige Home Insurance Building erstmals in Stahlskelett-Bauweise errichtet. Chicago gilt seither als Wiege des Hochhauskults. Derzeit aber werden die kühnsten Pläne nicht in den USA, sondern in Russland, China oder Indien veröffentlicht.

Auch jetzt, inmitten der weltweiten Finanzkrise, vergeht kaum eine Woche, da nicht irgendwo der Entwurf eines titanischen Gebäudes vermeldet wird. In Moskau wird gerade der Business-District "Moscow City" erbaut: geplant für 100.000 Menschen und bestückt mit 200 Wolkenkratzern. Und selbst das nur 328 Meter hohe Haus, das Norman Foster derzeit in Dubai realisiert, birgt einen Rekord: nämlich das höchste Apartment der Welt.

Hochhäuser funktionieren wie Affenfelsen

Wer also gedacht hatte, der Alpinismus der Architektur hätte sich als Hybris spätestens mit den Anschlägen auf das WTC erledigt, sieht sich getäuscht. Die Pläne für immer gewagtere Gipfelstürme waren nur eine Zeitlang in der Schublade verschwunden - und scheinen nun zu sagen: jetzt erst recht.

Wobei nur mit Hilfe der Verhaltensforschung erklärt werden kann, warum so gerne Häuser errichtet werden, die im Vergleich zur baulichen Flachware (etwa wegen der steigenden Anforderungen an Statik und Brandschutz) um bis zu 50 Prozent teurer sind - während der enorme Bedarf an Erschließungs- und Verkehrsflächen den zur Verfügung stehenden Raum um gleichfalls bis zu 50 Prozent reduziert.

Die Erklärung lautet: Hochhäuser funktionieren wie Affenfelsen. Dort sitzt der Oberaffe ganz oben, weshalb etwa Chefs in Hochhäusern auch sehr gerne oben residieren. Die berühmte Filmszene, in der King Kong auf der Spitze vom Empire State Building gegen den Furor der Doppeldecker um die Gunst der weißen Frau kämpft, sollte diesen Chefs allerdings zu denken geben.

Es ist die Höhe

Es ist kein Zufall, dass gerade Unternehmen Hochhäuser bevorzugt als Statussymbole ihrer wirtschaftlichen Macht errichten. Wobei im Nachhinein oft geradezu lachhafte Bemühungen bekannt werden, das eigene Haus durch möglichst gigantische Dachantennen-Anlagen zu verlängern - als habe man es mit einer Art architektonisch-betriebswirtschaftlicher Penisverlängerung zu tun. Hochhäuser sind auch Phallus-Symbole.

Münchner Kleinteiligkeit

In letzter und zugleich bildmächtigster Konsequenz hat sich der österreichische Architekt Hans Hollein einmal ein Hochhaus in Form eines erigierten Riesenglieds erdacht. Natürlich wurde es nie errichtet. Wenn man hört, dass es auch Pläne für ein Projekt namens "X-Seed" gibt, fühlt man sich durchaus erinnert an Holleins Sarkasmus-Architektur. X-Seed: Das ist ein vier Kilometer hohes Gebäude, errichtet auf einer künstlichen Insel, das eine Million Menschen beherbergen soll.

Zum Glück wird in der Architektur wie in den Unternehmen diskutiert, ob es denn nun auf die Größe ankomme - oder eben nicht. Rem Koolhaas glaubt, dass die Zeit der Superwolkenkratzer schon bald vorbei sein könnte. Sein CCTV-Tower in Peking könnte als Fanal wirken. Der Turm markiert eine neue Form des Hochhauses und benötigt für 475.000 Quadratmeter Nutzfläche nur 237 Meter Höhe. Der Stadtplaner Albert Speer sieht die kritische Höhe für Wolkenkratzer bei 300 Metern. Darüber, sagt er, wird es - derzeit - aus technischen und wirtschaftlichen Gründen "unsinnig". In diesem Sinn zeugen, sagen wir doch mal, 99,95 süddeutsche Meter von einer geradezu souveränen Größe innerhalb einer gewissen Münchner Kleinteiligkeit.

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