Harold James:"Der Euro zerbricht an Deutschland"

Lesezeit: 6 min

Wen interessiert Griechenland? Für Wirtschaftshistoriker James stellt Deutschland die größte Gefahr für den Euro dar.

C. Hoffmann und A. Mühlauer

Harold James sitzt im Münchner Stadtcafé und fühlt sich wie zu Hause. Er kennt München, auch hier hat er schon mal gelebt. Der 54-Jährige ist einer der angesehensten Experten für die Geschichte der Weltwirtschaftskrise und für die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Zurzeit lehrt und forscht der Princeton-Professor in Florenz. Nach dem Gespräch wird er an den Starnberger See fahren, zur Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Vorher kauft er noch ein Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn. "Wahrscheinlich Notenbände", sagt er, "in München gibt es einfach eine bessere Auswahl als in Italien."

SZ: Herr James, reden wir über Geld. Droht der Welt nach der Bankenkrise nun eine Schuldenkrise der Staaten?

Harold James: Die Schuldenkrise ist ja schon da. Historisch waren Schuldenberge stets eine Folge militärischer Auseinandersetzungen. Nach dem Krieg wurden die Schulden dann gestrichen. Jetzt aber erleben wir eine einmalige Situation: Wir müssen riesige Schulden schultern ohne den Kriegswahnsinn, weil seit der Lehman-Pleite die Schulden der Privatwirtschaft verstaatlicht werden.

SZ: Aber die Schuldenmacherei ging doch schon vorher los.

James: Es war sehr leicht, einen Kredit zu bekommen. Die Schwellenländer haben uns mit ihren gewaltigen Sparsummen die Gelegenheit dazu geboten. Da nimmt man das Geld gern. Ich will nicht sagen, dass wir von den chinesischen oder indischen Sparern gezwungen worden sind, ihr Geld zu nehmen - aber sie haben die massive Schuldenmacherei erst möglich gemacht.

SZ: Wird nun eine Reihe von Staaten pleitegehen?

James: Es ist nicht wahrscheinlich, dass es eine Welle von Konkursen geben wird. Die kleineren Staaten in Europa können keine Inflation anheizen, weil sie keine eigene Notenbank haben. Wenn sie bankrott gehen, sind die Folgen für sie dramatisch. Betrachtet man die letzten 60 Jahre, ist es erstaunlich, wie wenige Staaten bankrottgegangen sind: Brasilien, Peru, Argentinien.

SZ: Wie kommen die Problemstaaten Europas aus dem Schlamassel?

James: Es gibt nur eine Lösung, und die ist unangenehm: Die Staaten müssen ihre Verschuldung zurückfahren, Steuern erhöhen.

SZ: Ist der politische Wille überhaupt da, dies durchzusetzen?

James: Was ist denn die Alternative? Griechenland weiß, dass es nicht aus der gemeinsamen Währungsunion austreten kann. Es müsste die Schulden ja nach wie vor in Euro bezahlen. Eine Politik der Härte ist das einzig Denkbare.

SZ: Wir erkennen nicht, dass die Politiker zur Härte fähig sind, zumindest ist Sparen für deutsche Politiker noch immer ein Fremdwort.

James: Das Problem ist, dass die Politiker noch immer national denken. Das sehe ich als die große Krisenerfahrung. Das kann leicht zu Protektionismus und nationalen Ressentiments führen. Nehmen wir das Beispiel Deutschland-Griechenland. Man beschimpft sich gegenseitig anstatt zu entpolitisieren.

SZ: Haben wir also nichts aus der Vergangenheit gelernt?

James: Es wird ja immer behauptet, dass wir daraus lernen. Aber wenn Sie jetzt die Reaktionen auf die Krise beobachten, sehen Sie, dass die nationalen Politiker vor allem an eines denken: die nächste Wahl. Das ist verständlich. Die Wähler fragen ja nicht, was haben die Politiker Gutes für die Welt getan, sondern, was haben sie Gutes für mich getan?

SZ: Haben vor diesem Hintergrund nicht doch die Spekulanten recht, die auf ein Scheitern des Euro wetten? Ganz einfach deshalb, weil am Ende die nationalen Interessen siegen.

James: Die Spekulanten haben nicht recht, wenn sie glauben, dass der Euro an Griechenland zugrunde geht. Denn eine griechische nationale Lösung ist nicht vorstellbar. Eher glaube ich, dass der Euro an Deutschland zerbricht. Wenn die deutsche Bevölkerung das Vertrauen in den Euro verliert, besteht die Gefahr, dass sich auch deutsche Politiker von der europäischen Währung abwenden.

SZ: Wie groß ist das Risiko?

James: Es ist nicht akut, aber möglich. Es gibt sogar verfassungsrechtlich, bis hin zum Bundesgerichtshof, große Bedenken gegen eine zu starke europäische Solidarität. In diesem Sinne glaube ich, dass Deutschland eine größere Gefahr für den Euro ist als Griechenland.

SZ: Es gab offenkundig Konstruktionsfehler beim Bau der Europäischen Währungsunion. Was war das schlimmste Versäumnis?

James: Niemand hat darüber nachgedacht, was bei einer nationalen Katastrophe passiert wie dem jüngsten Finanzerdbeben. Irland wäre nicht in Not geraten, wenn sich das Land an die Stabilitätskriterien gehalten hätte, aber dann kam die Finanzkrise und Irland hatte ein gewaltiges Problem.

SZ: Wie lässt sich das in Zukunft verhindern?

James: Man muss einen Europäischen Währungsfonds schaffen. Zudem brauchen wir eine europäische Bankenaufsicht und eine europäische Fiskalpolitik. Schon bei Gründung der Währungsunion hat man darüber diskutiert, die Ideen aber verworfen. Das war ein großer Fehler. Hoffentlich klappt es diesmal.

SZ: Werden Sie selbst von der Politik um Rat gefragt?

James: Nicht zu tagespolitischen Fragen. Aber einige Politiker waren schon daran interessiert, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.

SZ: Wenn Sie die heutige Krise mit jener der dreißiger Jahre vergleichen - haben wir die richtigen Schlüsse gezogen?

James: Ohne Zweifel hat es sehr geholfen, auf Keynes zurückzugreifen. Man hat die alten Theorien des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt.

SZ: Aber die zeitgenössischen Ökonomen haben versagt?

James: Das stimmt. Ihre Modelle konnten die Krise nicht erklären, weil in ihnen der Finanzsektor keine Rolle spielt. Man konnte sich nicht vorstellen, wie Schocks aus der Finanzwirtschaft auf die reale Wirtschaft übergreifen.

SZ: Haben Sie die Hoffnung, dass Ihre Kollegen aus der Ökonomie die richtigen Schlüsse ziehen?

James: Ja, schon. Wenn man sich dieser Aufgabe nicht stellt, wird die ganze Ökonomie marginalisiert, weil sie dann nichts zu sagen hat. Eine berechtigte Klage von vielen Politikern während der Krise war ja, dass wir Wissenschaftler keine Blaupause dafür haben, was zu tun ist.

SZ: Wurde durch die Finanzkrise das Gewicht zwischen Staat und Markt verschoben?

James: Ich bezweifele, dass es eine Kritik am Kapitalismus gibt wie in den zwanziger und dreißiger Jahren. Das hat zwei Gründe. Die populäre Erklärung: Wenn Sie durch die Innenstädte spazieren, sehen Sie, dass die Leute von den Waren angezogen werden, sie freuen sich, dass es komplexe Elektronikprodukte billig zu kaufen gibt. Das Konsumverhalten hat sich durch die Krise nicht wesentlich verändert.

SZ: Und die intellektuelle Antwort?

James: Banken sind in einer marktbegeisterten Welt ein großes Problem. Eigentlich sollten Banken gar nicht existieren. Geldhäuser besitzen immer Informationsvorteile: Die Bank weiß mehr über den Kredit, der vergeben wird, als die Kreditnehmer oder die Anleger. Dieser Vorteil wird verstärkt durch Größe. Je komplexer Finanzprodukte werden, desto wichtiger wird die Größe. Es gibt heute vielleicht 20 oder 30 Banken, die weltweit von Bedeutung sind. Hier muss man mehr Marktwirtschaft einführen.

SZ: Wie will man es schaffen, das Bankenkartell zu zerbrechen?

James: Das ist eine ungelöste Aufgabe. Das Gefahrenpotential ist sehr groß, dass in der nächsten Krise die Verluste wieder sozialisiert werden. Man sollte den Eigenhandel und Geschäfte außerhalb der Bilanz verbieten. Das kann aber nur international geschehen.

SZ: Das ist doch eigentlich ein populäres Thema. Warum geht es nicht voran?

James: Das Problem ist, dass die Banken wie jede Branche ihre Lobby haben, die ihre Interessen vertritt. Länder wie die USA und Großbritannien werden sich schützend vor ihre Finanzinstitute stellen, genauso wie viele Länder auch ihre Automobilindustrie verteidigen.

SZ: Glauben Sie, dass wir die Probleme dennoch meistern werden?

James: Wir sind dazu gezwungen. Die derzeitige Krise ist so existenzgefährdend für den europäischen Gedanken, dass es eine intensive Diskussion geben muss, wie er sich retten lässt.

SZ: Wenn wir in 50 Jahren ein Geschichtsbuch aufschlagen, was stünde über dem Kapitel der heutigen Zeit?

James: Neue Ungewissheiten, eine Verschiebung des globalen Gleichgewichts, das Kommen des asiatischen Jahrhunderts.

SZ: Interessieren sich Ihre Studenten für solche Fragen?

James: Auch sie haben das Gefühl, dass die Welt unsicherer geworden ist. Das spüren sie vor allem persönlich. Eine Zeitlang dachten sie, man könnte seine eigene Karriere detailliert planen. Aber das klappt in der Krise nicht mehr.

SZ: Klingt so, als ob Sie das gut finden.

James: Die ganze moderne Welt will immer sicher sein und versichert sein und gewiss sein. Denken Sie an das Leben in der vormodernen Welt! Da war alles ungewiss. Man wusste nicht, ob man morgen die Pest bekommt. Aber wir wollen alles planen, unsere Zukunft genau kalkulieren. Ob das am Ende eine gute Sache ist, daran zweifele ich. Auch wenn die Erfahrung der Unsicherheit oft mit hoher psychischer Belastung verbunden ist, kann der falsche Glaube an zu viel vermeintliche Sicherheit noch größere Probleme bringen.

SZ: Als optimistischer Wahl-Amerikaner, wo investieren Sie Geld?

James: Vor allem in die Bildung meiner Kinder. Das ist typisch amerikanisch. Die Finanzierungskosten sind gewaltig, besonders für die Universität. Meine Kinder sind gerade in Florenz, wo sie viel malen und zeichnen. Sie haben auch schon ein Jahr in Deutschland gelebt, als ich in München gearbeitet habe. Meine Mutter stammt aus Norddeutschland. Unsere Kinder haben einen englischen Vater, eine polnische Mutter, wir wohnen zur Zeit in Italien. Aber morgen fliegen wir wieder zurück nach Amerika.

© SZ vom 26.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: