Hamburg:Reif für die Insel

Grasbrook

Blick von Westen auf den neuen Hamburger Stadtteil Grasbrook. Was in der Visualisierung fertig erscheint, wird gute 20 Jahre dauern. Visualisierung: Hosoya Schaefer Architects

Am Hafen entsteht ein neuer Stadtteil. 6000 Menschen sollen dort einmal wohnen, mehr als 16000 einen Arbeitsplatz haben. Das Großprojekt war lang umstritten, doch dann wurde eine Lösung gefunden.

Von Sabine Richter

Ein neuer Stadtteil am Wasser, das war das große Versprechen der Hamburger Olympia-Bewerbung. Doch nach dem Nein der Hanseaten zu den Spielen 2024 hatte der Senat die Bebauung des Kleinen Grasbrooks wieder ausgeschlossen. "Ohne Olympische Spiele bleibt der Kleine Grasbrook Hafen", hatte Bürgermeister Olaf Scholz nach dem gescheiterten Referendum 2015 angekündigt. Ohne Förderung des Bundes für Olympia sei das Unterfangen viel zu teuer. Aber nun kommt er doch, der neue Stadtteil - vom Senat weitgehend hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Statt Olympiastadion, Sportstätten und olympischem Dorf sind jetzt 3000 Wohnungen für etwa 6000 Personen sowie 16 000 Arbeitsplätze in neuen Büros, Gewerbegebäuden, Forschungsstätten und Laboren geplant. Dazu Einkaufsmöglichkeiten, eine Grundschule, eine Kindertagesstätte sowie ein Park mit Sport- und Spielplatz.

Für das Projekt wird, anders als für Olympia geplant, nur noch der kleinere, nordöstliche Teil des Kleinen Grasbrooks genutzt und dafür aus dem Hafengebiet entlassen. Die Gesamtfläche wird 46 Hektar umfassen, bebaut mit 880 000 Quadratmetern oberirdischer Bruttogeschossfläche. Die Kosten für Hochwasserschutz und die Erschließung der Grundstücke sollen wie in der Hafencity die Investoren tragen.

Wie bei allen größeren Wohnungsbauvorhaben in Hamburg üblich soll ein Drittel der Wohnungen öffentlich gefördert werden.

Ein neuer Stadtteil muss heute hohe Umweltstandards erfüllen. Geplant ist ein CO₂-armes Nahwärmeversorgungsnetz, die solare Energieerzeugung auf oder an den Gebäuden soll Vorrang haben. 40 Prozent der Stellplätze an Wohngebäuden sollen mit E-Ladesäulen ausgestattet, 30 Prozent der wohnungsbezogenen Stellplätze von Carsharing genutzt werden. Die Anbindung an die nächstgelegene U- und S-Bahnstation Elbbrücken wird zunächst durch Busse gelöst, der spätere Bau einer U-Bahn wird planerisch und vertraglich gesichert.

Ein Schutzriegel aus Bürogebäuden soll Arbeitslärm von den Menschen fernhalten

Die an die Wohnquartiere angrenzenden Flächen auf dem Kleinen Grasbrook verbleiben im Hafengebiet. Der größere, südliche Teil des Kleinen Grasbrooks soll Hafen bleiben, am dortigen O'Swaldkai werden Autos und Früchte verladen, aber auch sperriges Stückgut. Hier liegen die Sorgen und Hauptkritikpunkte von Bürgern und auch der CDU-Opposition. Sie fragen, wie Hafenwirtschaft, Industrie und Wohnen auf engstem Raum ohne Nutzungskonflikte realisiert werden sollen. Für Stadtentwicklungsexperten ist die citynahe Halbinsel ein Traum. Um ihre Zukunft tobt seit Jahren ein Kampf zwischen Stadtentwicklern und Hafenwirtschaft. Die Lobbyisten kämpften um jeden Meter, auch wenn viele Flächen brachliegen.

Nach langen und zähen Verhandlungen - es soll mehr als hundert Verhandlungssitzungen gegeben haben - wurde eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung gefunden. Der Senat hat der Hafenwirtschaft weitgehende Zugeständnisse gemacht und zugesichert, dass die Planungen so erfolgen, dass kein Betrieb Einschränkungen etwa durch verschärfte Lärmschutz- und Emissionsschutzauflagen zu befürchten hat. Die Unternehmen bekommen eine Standortperspektive und werden bei etwaigen Verlagerungen wirtschaftlich abgesichert. Entsprechend unterstützt die Hafenwirtschaft heute die Pläne: "Der Hafen gibt, der Hafen nimmt", philosophierte Gunther Bonz, Präsident des Unternehmerverbands Hafen Hamburg bei der Präsentation der Pläne und lobte: "Der Vertrag ist eine gelungene Kombination aus Stadtplanung und gesicherter Hafenplanung."

Um Arbeitslärm, Gefahrengüter und andere mit der Hafenwirtschaft einhergehenden Belastungen von den in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden Menschen fernzuhalten, wird ein Schutzriegel aus Bürogebäuden zwischen Wohnbebauung und Hafennutzung geschoben. Wohnungen werden mit den sogenannten Hafencity-Fenstern ausgestattet, die auch bei gekipptem Fenster Schallschutz gewährleisten.

Anders als bei Projektentwicklungen auf der grünen Wiese sieht der Naturschutzbund Nabu keine Interessenkollisionen: "Es ist gut und richtig, dass unzureichend genutzte und bereits versiegelte Hafenflächen in attraktiver Lage auch zur Stadtentwicklung herangezogen werden", sagt Malte Siegert, Leiter Umweltpolitik beim Nabu Hamburg. Allerdings erinnert Siegert vorsichtshalber daran, "dass 38 Prozent der Hamburger Stickoxidemissionen aus Handels- und Kreuzschifffahrt stammen und überdurchschnittlich stark auf die hafennahen Wohngebiete wirken".

Um Bürgerprotesten schon im Vorfeld zu begegnen, wird die Öffentlichkeit - sowohl Bürger als auch Stadtplaner, Architekten, Forschungs- und Kultureinrichtungen - frühzeitig in das Projekt mit eingebunden. Ziel sei, die Anliegen der Stadt, Ideen, Wünsche, Anregungen und Hinweise der Hamburger, Experten wie Laien, in die Planung aufzunehmen", so SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf.

Wie der künftige Stadtteil letztlich aussieht, werden erst die städtebaulichen Ideenwettbewerbe und die Planungsverfahren zeigen. Viele Ideen seien von der Planung der Olympic City inspiriert, in der sehr viele technische Aspekte schon detailliert untersucht wurden und jetzt gut genutzt werden können, sagt Jürgen Bruns-Berentelg, Chef der städtischen Hafencity GmbH, die den neuen Stadtteil entwickelt.

"Hafenwirtschaft ist immer auch ein Stück Faszination und stört die Hamburger nicht."

Einige Stichworte sind aber schon gefallen. So ist eine vertikale und horizontale Nutzungsmischung vorgesehen, ausgefallene Architektur, eine feinkörnige Gebäudestruktur, die den Stadtteil abwechslungsreich und überraschend macht, viel Grün, eine Inszenierung der Wasserlagen und hochwertige öffentliche Stadträume. In die Erdgeschosse sollen öffentlichkeitsbezogene Nutzungen, aber auch kleine Gewerbe einziehen.

Der Politik ist klar, dass der Grasbrook kluge Konzepte braucht, um Menschen auf die Insel zu locken. "Die Politik muss für eine schöne urbane Durchmischung sorgen, die in sich funktioniert, mit Einkaufsmöglichkeiten, Schule, Kita. Vor allem sollte die Stadt dringend den U-Bahn-Anschluss sicherstellen", sagt Jan Petersen, Geschäftsführer des Bauunternehmens und Projektentwicklers Aug. Prien.

Auch für den Projektentwickler Arne Weber, Chef des Bauunternehmens HC Hagemann, hat die Verkehrsanbindung, insbesondere der öffentliche Personennahverkehr, Priorität. "Wer auf eine Insel zieht, möchte wissen, wie er da wegkommt", sagt Weber. "Wo es Wasser gibt, gibt es auch Mieter", ist Weber vom Erfolg des neuen Stadtteils überzeugt. Weber hat bereits die Industriebrache des Harburger Binnenhafens zu einem gefragten Viertel gemacht, in dem sich Arbeiten, Wohnen und Freizeit gut vertragen. "Hafenbetriebe sind heute weniger laut und schmutzig, die Verfahren haben sich geändert", sagt Weber. "Hafenwirtschaft ist immer auch ein Stück Faszination und stört die Hamburger nicht", meint auch Jan Petersen, allerdings solle sichergestellt werden, dass der Nachtbetrieb eingeschränkt werde.

Mit der Freimachung der Flächen und der Entwicklung der Infrastruktur soll im kommenden Jahr begonnen werden. Zunächst wird eine Bestandsaufnahme erstellt, Untersuchungen zu den Lärmemissionen aus dem Hafen und dem Straßen- und Bahnbereich, zu ökologischen Themen, zu Uferkanten und Gewässern auch bezüglich des Hochwasserschutzes durch Warften oder Böschungen. Außerdem muss das gesamte Gelände nach Altlasten und Kampfmitteln untersucht werden. Die Planer denken aber weiter, etwa wie eine infrastrukturelle Weiterentwicklung einer Stadt des 21. Jahrhunderts und künftige Mobilitätsformate aussehen könnten. "Hier werden auch internationale Recherchen notwendig werden", sagt Bruns-Berentelg. Und in 20 Jahren soll der neue Stadtteil dann fertig sein.

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