Hamburg:Das zweite Leben der Lüneburger Straße

Geschäftsleute und Grundeigentümer wollen die Fußgängerzone im Stadtteil Harburg attraktiver machen. In den vergangenen Jahren wurde viel erreicht, am Ziel ist man dennoch nicht.

Von Sabine Richter

Die Lüneburger Straße im Hamburger Stadtteil Harburg war einst eine regional bedeutsame und beliebte Einkaufsstraße. In der Fußgängerzone traf man sich zum Klönen und auf einen Kaffee. Der Branchenmix mit vielen inhabergeführten Geschäften war adäquat, Immobilienpreise und Mieten (bis zu 45 Euro pro Quadratmeter) relativ hoch. Das Idyll schien so stabil zu sein, dass die ansässigen Eigentümer und Geschäftsinhaber "vergaßen", dass eine Einkaufsstraße regelmäßig Aufwertungen benötigt, um attraktiv zu bleiben. Die Anziehungskraft des Standortes ließ sukzessive nach.

Der entscheidende Wendepunkt für die Straße war die Eröffnung des Phoenix-Centers im Jahr 2004, und 2016 erweiterten ECE, Deutsche Euroshop sowie die B&L-Gruppe das Einkaufszentrum für 30 Millionen Euro um weitere 2500 Quadratmeter Verkaufsfläche. Anstatt des geplanten vergrößerten Modeangebots wurde im Basement ein riesiger Food Court mit elf Gastronomieanbietern eingerichtet. Damit hat das Shoppingcenter heute 29 000 Quadratmeter Verkaufsfläche in 130 Läden.

Das Phoenix-Center hatte einen Saugeffekt auf die Lüneburger Straße. Namhafte Filialisten wechselten in das Center, auch Neuzugänge entschieden sich für das schickere Umfeld. Bald hatte die Lüneburger Straße Leerstände und in der Folge sieben oder acht Ein-Euro-Läden - ein Trauma für die Grundeigentümer und der Grund, die Notbremse zu ziehen und auf einen "Business Improvement District"-Kurs (BID) einzuschwenken, um den maroden Standort gemeinsam zu reanimieren.

Graffiti, Schmutz und Plakatierungen wurde der Kampf angesagt

Allerdings kam die Mehrheit nur mühsam zustande: Zwei Jahre und mehr als 30 Treffen waren nötig, um alle ins Boot zu holen. Seit 2009 ist die Lüneburger Straße in Harburg als Hamburger BID eingetragen und als sogenannter Innovationsbereich vom Senat bestätigt worden. Damit musste jeder 3,2 Prozent des Wertes seiner Immobilie in den BID-Topf zahlen, erklärt Margit Bonacker, Geschäftsführerin von Konsalt, dem Aufgabenträger des BID Lüneburger Straße. "Für die gesamte Laufzeit von acht Jahren standen uns 1,4 Millionen für die personelle Betreuung und für Investitionen zur Verfügung", erzählt Bonacker.

BID Lüneburger Straße Hamburg

Die Lüneburger Straße ist heute wieder Anziehungspunkt für die Bürger. Das war vor einiger Zeit noch ganz anders.

(Foto: Konsalt)

Als Erstes wurde die Straße "aufgeräumt", um die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Bäume bekamen sogenannte Baumscheiben, Bänke wurden erneuert, Beete angelegt und gepflegt sowie die Erneuerung der Weihnachtsbeleuchtung in Angriff genommen. Ein Platz wurde neu gestaltet, Graffiti, Schmutz und Plakatierungen der Kampf angesagt.

Im Marketingbereich wurde eine Reihe von Veranstaltungen und Aktionen unter Mithilfe von Sponsoren organisiert, es gab regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit. Gut 100 Grundeigentümer, darunter einige Erbengemeinschaften, waren an dem Prozess beteiligt, nicht nur finanziell, sondern auch konstruktiv und gestaltend. Sie standen für insgesamt 64 Grundstücke entlang der Fußgängerzone.

Als Hamburg das BID-Gesetz aufgrund von Klagen überarbeiten musste, kam es im Jahr 2012 zu einer fast achtmonatigen Lücke, die die Harburger Grundeigentümer aus eigenem Antrieb überbrückten. Konsalt konnte weitermachen. 2013 startete dann das "BID Lüneburger Straße 2". Eines der Hauptziele war die weitere Verbesserung des Branchenmix und vor allem die Ansiedelung von anspruchsvollerer Gastronomie - das neue Leitthema einer Einkaufsstraße.

Was hat sich in den fast acht BID-Jahren verändert? Margit Bonacker attestiert der

Einkaufsstraße eine fühlbare Imageverbesserung: "Der Standort Harburg ist heute auf der Landkarte." Dies zeige sich unter anderem an dem hohen Kaufinteresse von Investoren. Und die Anzahl der Passanten hat von ursprünglich 12 000 auf heute 20 000 pro Tag zugenommen.

Mithilfe von 1,2 Millionen Euro Kompensationsmitteln, die der Centerbetreiber ECE aufgrund des städtebaulichen Vertrages zahlen musste, wurde das Leerstandsmanagement mit einem professionellen Vermietungsmanager neu aufgestellt. Er konnte den Branchenmix verbessern, es gab einige interessante Neueröffnungen. Zudem sorgten einige Pop-up-Stores für Aufsehen, die vom BID und vom Citymanagement akquiriert wurden. Die Ein-Euro-Shops verschwanden.

Trotz der offensichtlichen Erfolge scheint es aber keine dritte Auflage des BID zu geben. Grundeigentümer, Politik und Verwaltung streiten offen und arbeiten gegeneinander. So hält Eigentümer Wido Schüttfort (Schuhgeschäft) die Beitragsgestaltung für ungerecht und ist mit dieser Meinung nicht allein. Zudem fühlen sich die Eigentümer von Politik und Verwaltung im Stich gelassen. Die Stadt müsse jetzt stärker in die Pflicht genommen werden. Sie kritisieren, dass die Stadt einer Erweiterung des Phoenix-Centers zugestimmt hat, und wünschen sich bauliche Veränderungen in der Fußgängerzone wie beispielsweise die Erneuerung der Pflasterung, die Verbesserung des Grüns oder hellere Beleuchtung. Ihr Fazit: Das alles sind öffentliche, nicht private Aufgaben.

Business Improvement District (BID)

Das BID (Business Improvement District) ist eine kanadische Erfindung aus den 80er-Jahren. 2005 wurde auch in Deutschland per Gesetz ermöglicht, dass Grundeigentümer zusammen mit Politik und Verwaltung sowie professioneller Unterstützung ihren Standort aufwerten können. Mit dem "Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentren" (GSED) hat die Freie und Hansestadt Hamburg als erstes Bundesland am 1. Januar 2005 (zuletzt geändert im Oktober 2013) das Modell der Business Improvement Districts eingeführt. Widersprechen nicht mehr als 30 Prozent der Eigentümer, werden alle gesetzlich verpflichtet, sich an den Kosten der Maßnahmen zu beteiligen. Seitdem sind 24 weitere BIDs sowohl in der Hamburger Innenstadt als auch in zahlreichen Stadtteilzentren entstanden. Neue Initiativen sind in Vorbereitung. Damit ist Hamburg BID-Hochburg und hat sogar einen BID-Beauftragten. Diese oder ähnliche Formen von Public-private-Partnerships (PPP) zur Zentrenentwicklung werden unter verschiedenen BID-Gesetzesnamen in mehreren Bundesländern angewandt, darunter in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Hessen und Bremen. Berlin und Bayern ebenso wie Niedersachsen lehnen dagegen BID-Modelle vor allem wegen der Eingriffe in Eigentumsrechte ab. Sabine Richter

Bezirksamtsleiter Thomas Völsch hält diese Kritik angesichts der Vorleistungen und mannigfaltigen Unterstützungen von Politik und Verwaltung für "nicht nachvollziehbar". Er sagt: "Die Stadt hat viel Geld in die Hand genommen, um die Fußgängerzone attraktiver zu machen - allein jährlich 50 000 Euro für das City-Management, über 800 000 Euro für den Umbau einer unterirdischen Wegeverbindung, den sogenannten Schmuddeltunnel".

Ohnehin fließt weiter öffentliches Geld in den Stadtteil: Mitte März dieses Jahres nahm der Senat die Harburger Innenstadt in das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (Rise) auf. Hiermit soll unter anderem die Aufwertung von Plätzen und Straßen gefördert werden. Harburgs CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer attackiert das BID: "Das Gemaule gegenüber der Politik kann ich nicht mehr hören. Die Probleme der Lüneburger Straße lassen sich nicht durch andersfarbige Bänke beheben. Wir haben zum Beispiel keine Angebote für großflächige Vermietung, zu wenig attraktive Gastronomie. Da müssten sich mehrere Eigentümer mal zusammentun."

Es gibt aber noch eine andere Sicht auf die Einkaufsstraße: "Man kann den Einzelhandel nicht als alleinigen Problemlöser sehen", warnt Marit Pedersen, Abteilungsleiterin für Landes- und Stadtentwicklung. Margit Bonacker bestätigt das: "Wir haben schon in der ersten BID-Phase einen Paradigmenwechsel angeschoben - weg von der Shopping-Meile hin zu einem urban-gemischten Standort mit Wohnen, Shoppen, Freizeit. Deshalb raten wir Grundeigentümern, gewerbliche Fläche in den Obergeschossen in Wohnraum umzubauen. Einige erfolgreiche Projekte zeigen, dass das funktioniert."

Die Stadtplanerin Sofia Petersson sagte auf einer öffentlichen BID-Veranstaltung, dass die Zukunft der Lüneburger Straße auch in der Umgestaltung als öffentlicher Freizeitort liegen könnte. Danach hätte das Modell der klassischen Einkaufsstraße abgedankt.

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