Grünflächen:Wo die Stadt aufatmet

Blick auf Berlin

Berlin ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch eine sogenannte A-Stadt, sagen Immobilienexperten.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Stadtnahen Wäldern in Deutschland geht es heute viel besser als noch vor vierzig Jahren. Grünflächen in den Zentren sind dagegen mancherorts in Gefahr.

Von Felicitas Wilke

Der Wind lässt ein Paar Zweige knacken, das Rauschen der Autos wird langsam leiser. Und plötzlich steht man mitten im Wald. Keine fünf Minuten zu Fuß entfernt von dem Ort, wo man eben noch in einem Münchner Wohngebiet aus der Tram gestiegen war, läuft man nun auf einem schnurgeraden Pfad entlang, vorbei an Fichten, Linden, Buchen und mit Moos bewachsenen Baumstämmen. Vorher in der Straßenbahn saßen sich die Menschen noch schweigend gegenüber, jetzt rufen das ältere Ehepaar und der Hundebesitzer einander ein freundliches "Grüß Gott" zu.

Etwa ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands besteht aus Waldgebiet, ähnlich wie der Perlacher Forst befindet sich ein Teil davon auch in urbanen Regionen. Die Stille und das viele Grün machen sie vor allem für dauerbeschallte Großstädter zu einem beliebten Erholungsgebiet.

Doch die Wälder um Städte wie Berlin, Frankfurt oder Leipzig sorgen nicht nur dafür, dass die Bürger von ihren Smartphones aufblicken und den Blick ins Grüne wagen, sie erfüllen auch ökologische Funktionen. Wälder sind wilden Tieren eine Heimat, bieten Lärmschutz, schützen vor Hochwasser und kühlen in Zeiten des Klimawandels die Temperaturen in der Stadt um etwa drei Grad ab. Ganz nebenbei sind sie auch noch ein Standortfaktor: Der Wald werte den Preis von Wohnungen und Grundstücken in der Nähe deutlich auf, "das macht gerne 20 Prozent und mehr aus", sagt Gerd Lupp vom Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der TU München.

So wertvoll stadtnahe Wälder auch sind, in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrzehnten gingen die Menschen nicht immer pfleglich mit ihnen um. Besonders in stark industriell geprägten Regionen wie dem Ruhrgebiet litten die Waldböden und Bäume unter den Schadstoffen der Produktionsanlagen. Auch der saure Regen, der durch das Heizen mit Kohle in den Städten entstand, setzte den Böden zu.

Anderswo fielen die Wälder neuen Straßen und Siedlungen zum Opfer. So auch im Reichswald bei Nürnberg. "Der Wald musste als Flächenreserve für den Großraum Nürnberg herhalten", berichtet Thomas Frey vom Bund Naturschutz. Allein zwischen 1950 und 1980 wurden dort etwa 3000 Hektar Wald gerodet, das entspricht weit mehr als 4000 Fußballfeldern.

Daraufhin gründete sich in den Siebzigerjahren eine Bürgerbewegung, die gemeinsam mit dem Bund Naturschutz durchsetzte, dass der artenarme und für Käferbefall anfällige Kiefernwald in einen ökologisch attraktiven Mischwald umgebaut wurde. Zudem wies das Land Bayern den Reichswald 1979 als Bannwald aus. Darunter versteht man noch heute Wälder, die für die Menschen und die Ökologie in urbanen Gebieten so wichtig sind, dass sie nur unter besonderen Bedingungen gerodet werden dürfen - nämlich dann, wenn jeder gefällte Baum in einem direkt angrenzenden Gebiet durch einen neuen Baum ersetzt wird.

Heute stehen viele stadtnahe Wälder in Deutschland unter diesem besonderen Schutz. Eine Errungenschaft, die den Zustand und den Bestand deutscher Stadtwälder in den vergangenen Jahrzehnten vorangebracht hat. Doch Ersatz hin oder her, es sei immer ein Verlust, wenn ein alter Baum in der Stadt gefällt werde, gibt Forstwissenschaftler Gerd Lupp zu bedenken. Seine volle ökologische Wirkung könne ein Baum erst mit den Jahren entfalten, so ganz einfach austauschbar sei eine 100 Jahre alte Linde oder Eiche nicht.

Zwar regeln die Waldgesetze der Bundesländer, ab welcher Größe ein Wald offiziell ein Wald ist, doch de facto sei Grün in und um die Stadt herum immer gut, sagt Lupp. "Die Übergänge sind oft fließend", erklärt der Forstwissenschaftler. Auch Parks mitten in der Stadt können der Erholung dienen, und auch Alleebäume oder kleine Grünflächen in Innenhöfen erfüllen eine ökologische Funktion. Gerade in den Städten scheint sich heute die Geschichte zu wiederholen. Ob in Hamburg, Mannheim oder Erfurt - vielerorts werden Bäume für neue Bauprojekte geopfert, und vielerorts haben sich Anwohner, die das verhindern wollen, in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen. Ihre Sorge ist oft die gleiche: dass alter, wertvoller Baumbestand verschwindet und in Einzelfällen, wie in Hamburg geschehen, durch neue, 60 Kilometer entfernte Bäume ersetzt wird. "Solche Maßnahmen machen für das Stadtklima überhaupt keinen Sinn", sagt Peter Trute, der als Stadtklimatologe vor 20 Jahren die Firma Geo-Net mitgegründet hat und sich seitdem mit dem Thema befasst.

Bei der Stadtplanung zeigt sich ein Dilemma: Einerseits gilt die sogenannte Nachverdichtung als Lösung, um grüne Freiflächen außerhalb der Stadt vor einem Kahlschlag zu bewahren. Darunter versteht man beispielsweise, bislang frei stehende Innenhöfe von Mehrfamilienhäusern neu zu bebauen. "Allerdings darf dabei das städtische Grün nicht vergessen werden", sagt Stephan Pauleit, Professor für Landschaftsentwicklung an der TU München. Immer mehr Bauprojekte in Metropolen versuchen, Wohnraum mit Grün zu verknüpfen. Das Bosco Verticale beispielsweise, ein Hochhaus in Mailand, ist von unten bis oben mit riesigen Balkonen umgeben, auf denen Bäume, Sträucher und Hecken gepflanzt. Doch haben die auch einen ökologischen Zweck? "Ja und nein", findet Peter Trute. Für die Bewohner solcher exklusiver Anlagen sei das viele Grün ein Gewinn, den Passanten auf der Straße bringe es aber wenig, wenn ein Baum im 17. Stock Schatten spende.

Wälder und größere Grünflächen in der Stadt erzielten den stärksten Effekt , wenn es darum ginge, die Temperatur in den Wohngebieten abzusenken, sagt Wissenschaftler Pauleit. Doch auch Straßenbäume und "jedes noch so kleine Stück Grün" trügen dazu bei, das Klima in den Innenstädten zu verbessern. Umso mehr gilt das Pauleit zufolge, wenn die Grünflächen wie ein grünes Netz ineinander übergehen und mit Wäldern und naturnahen Flächen am Stadtrand verknüpft sind. Um die Stadtbäume zu schützen, plädiert Pauleit für "intelligente Flächennutzungen und kreative Ideen für die Stadtentwicklung". Statt Innenhöfe zu bebauen, könne man Häuser aufstocken oder Brachen nutzen. Klima-Experte Trute fügt hinzu, dass die Städte in einer Zeit, in der immer weniger Bürger in der Stadt Auto fahren, für den ruhenden Verkehr weniger Platzbereitstellen müssen. Hier könne Platz für Bäume und Grün geschaffen werden.

Vor vierzig Jahren schützten Bürgerbewegungen die Stadtwälder, heute machen sie genauso wie Umweltverbände und Wissenschaftler darauf aufmerksam, wie wichtig Grün in der Stadt ist. Damit man nicht unbedingt erst die Tram nehmen muss, um den ersten Bäumen zu begegnen.

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