Grillen:Notarzt statt Steak

Es macht Spaß, aber beim Grillen kann auch so einiges schiefgehen. Das erleben Mediziner jedes Jahr wieder. Sie berichten über häufige Unfälle - und wundern sich über den Leichtsinn mancher Zeitgenossen.

Von Felicitas Witte

Der Mann will nur frisches Bier holen und bereitet damit dem Arzt einige schmerzhafte Stunden. "Verflixt, tut das weh!", ruft Michael Christ, Chef-Notfallmediziner an der Paracelsus-Uni in Nürnberg. Sein Freund hatte beim Vorbeigehen den Grill gestreift, der jetzt umzufallen droht. Christ greift reflexartig an das Metallbehältnis, Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand sind sofort knallrot. Gott sei Dank nur eine leichte, oberflächliche Verbrennung. Der Arzt kühlt die Finger unter fließendem Wasser und grillt weiter, aber die Schmerzen lassen ihn die halbe Nacht nicht schlafen. "Ich will ja keinem die Lust auf EM-Grillabende vermiesen", sagt er. "Aber Unfälle können so schnell passieren, man muss einfach aufpassen."

Im Laufe der Jahre habe er schon viele schlimme Verbrennungen gesehen, vor allem, wenn sie flüssige Grillanzünder verwendet haben wie Benzin, Spiritus, Terpentin oder Petroleum, erzählt Günter Germann, plastischer Chirurg und Chef der Ethianum-Klinik in Heidelberg. "Seit Jahren gibt es Aufklärungskampagnen, aber die Leute sind entweder total ungeduldig oder beratungsresistent." Verdunsten die Brandbeschleuniger, entsteht ein hochexplosives, brennbares Gas-Luft-Gemisch.

Benzin ins Feuer? Das kann ins Auge gehen

Germanns kleiner Patient, ein zehnjähriger Bub, stand wie viele kleine Jungs dicht neben dem Papa, als der den Grill anzündete. Der Mann schüttet Benzin auf die Kohle, Feuer flammt auf, der Junge fängt an zu brüllen. Sein gesamtes Gesicht, Hals und Oberkörper sind verbrannt, beim Papa "nur" der Bauch. "Zum Glück handelten die Eltern total schnell und machten genau das Richtige", erzählt Germann. Sie tauchen ihren Sohn kurz in das Garten-Schwimmbad und wickeln ihn in feuchte Tücher. "Er sah aus wie ein Monster mit dem rotverbrannten Gesicht und den Blasen", sagt Germann. "Aber Gott sei dank war die Verbrennung nicht so tief, dass wir mit Brandsalbe behandeln konnten."

Grillen im Park

Für viele ist Grillen das Sommervergnügen schlechthin. Damit der Spaß nicht in einem Fiasko endet, muss man einiges beachten.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Für jede größere Verbrennung gilt: Notarzt rufen und sofort kühlen. "Am besten unter den Wasserhahn oder Wasser aus dem Gartenschlauch drüber laufen lassen - auf keinen Fall Eis."

Nicht so glimpflich davon kam Germanns 50-jähriger Patient. Gedankenlos hatte der Mann Benzin ins Feuer geschüttet und sich nicht nur Brust und Bauch schwer verbrannt, sondern auch ein Inhalationstrauma erlitten. Der eingeatmete Rauch hatte die Schleimhaut in Rachen und Kehlkopf so geschädigt, dass der Mann beatmet eine Woche auf der Intensivstation lag. Noch ein Jahr später sieht man die Narben; er brauchte lange, um psychisch über diesen Schreck hinwegzukommen.

"Man muss halt den gesunden Menschenverstand einschalten."

"Bei manchen ist die Grill-Lust offenbar so groß, dass sie den gesunden Menschenverstand ignorieren", bestätigt Notfallmediziner Christ. "Es muss schnell gehen, auch wenn das Wetter nicht mitspielt." Das wurde vergangenen Sommer einem Paar zum Verhängnis. Als es zu regnen anfing, grillten sie drinnen weiter. Am nächsten Morgen waren die beiden tot - gestorben an einer Kohlenmonoxid (CO)-Vergiftung. "Eigentlich müsste man sich doch denken, dass drinnen die giftigen Gase nicht entweichen können", sagt Christ. Das gefährliche an CO ist, dass sich die Vergiftung oft erst dann bemerkbar macht, wenn es fast schon zu spät ist. Am Anfang hat man Kopfschmerzen und einem ist übel - da denkt man vielleicht eher, das könnte an zu viel Bier gelegen haben. Man grillt weiter, hört dem Regen zu, und auf einmal wird man wegen der hohen CO-Konzentrationen schläfrig, bewusstlos und kann schließlich sterben.

Nur knapp dem Tode entronnen ist eine 82-jährige Patientin von Christ. Blau im Gesicht war sie, als der Notarzt zu ihr kam, und schnappte nach Luft. "Ich dachte sofort, da muss etwas die Atemwege verstopfen", erinnert er sich. Beim Intubieren sah er ein großes Stück Hühnerfleisch im Kehlkopf, das er mit einer speziellen Zange entfernte. Bleibt jemandem ein Bissen im Hals stecken, beim Husten unterstützen, möglicherweise hilft auch der Heimlich-Handgriff, bei dem man von hinten auf den Bauch drückt. Wird der Betroffene ohnmächtig, 112 anrufen und Wiederbelebungsmaßnahmen starten. "Bei älteren Herrschaften bleibt durchaus mal was stecken", sagt Christ. Die können oft den Schluckvorgang nicht mehr so gut koordinieren.

Auf Nummer Sicher gehen

Gefahrloses Grillen beginnt mit dem richtigen Gerät. "Kaufen Sie nur Grills, die sicherheitstechnisch nach DIN geprüft sind", empfiehlt die Aktion "Das sichere Haus" (DSH). Bei dem gemeinnützigen Verein arbeiten Verbände und Institutionen zusammen, die sich für den Unfallschutz in Heim und Freizeit einsetzen.

Sichere Grills werden laut DSH nach der Norm DIN EN 1860-1 gebaut, die seit 2003 gültig ist. Trage der Grill einen Hinweis auf die EN 1860-1, das DIN-CERTCO-Zeichen oder ein GS-Prüfzeichen, sei seine Sicherheit gewährleistet. Diese Grillgeräte stünden kippsicher, seien frei von scharfen Kanten und spitzen Ecken. Auch werde der Griff des Grillspießes nicht zu heiß. Gas- oder Elektrogrillgeräte böten einige Vorteile: Das Anheizen und Bedienen sei einfacher und weniger gefährlich als beim Holzkohlegrill. Die Geräte seien sofort grillbereit, feste Reststoffe wie Asche fielen nicht an. Die DIN EN 1860-2 und das DIN-CERTCO-Zeichen wiesen auf sichere Grillholzkohle und Grillholzkohlebriketts hin. Auch bei den Anzündhilfen könne man sich an Prüfsiegeln orientieren, zum Beispiel an nach DIN EN 1860-3 geprüften Grillanzündhilfen mit DIN-CERTCO-Zeichen. Mehr Informationen unter www.das-sichere-haus.de, Faltblatt "Feuer und Flamme für sicheres Grillen". SZ

"Auch nach zu viel Alkohol verschluckt man sich leichter, vor allem, wenn man fasziniert dem EM-Finale zuschaut und nicht mehr ans Kauen denkt." Von einem spannenden Fußballspiel abgelenkt schien auch der 50-Jährige gewesen zu sein. Er habe so ein komisches Fremdkörpergefühl, klagte der Mann in der Notaufnahme. Dem erstaunten Mann zeigte Christ im Röntgenbild den Grund seiner Beschwerden: In der Schleimhaut der Speiseröhre steckte eine zwei Zentimeter lange Stahlborste. Der Mann hatte seinen Grill tags zuvor sorgfältig mit einer Bürste geschrubbt, Borsten hatten sich gelöst, waren im Rost hängengeblieben und hatten sich dann ins Fleisch gebohrt. "Dass der Mann das nicht gemerkt hat beim Essen, ist mir schleierhaft", sagt Christ. "Andererseits merkt man ja manchmal auch Fischgräten nicht." Er habe sich danach sofort eine neue Bürste für den Grill gekauft. "Bei den billigen lösen sich die Borsten schneller - da lohnt es sich, ein paar Euro mehr auszugeben."

Spätestens jetzt ist wohl vielen Grill-Fans die Lust auf Fleisch vergangen. Man solle das Grillen bei der EM aber ruhig genießen, sagt Germann, er freue sich selber auch schon darauf. "Man muss halt den gesunden Menschenverstand einschalten und auf Kinder besonders aufpassen", sagt er. "Und wenn wir ins Finale kommen, grillt man am besten vor dem Sieg. Später fließt zu viel Alkohol, und der eine oder andere kippt im Jubel bestimmt den Grill um."

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