Griechenland:Strategische Panik

Die Meldung über Griechenlands Flucht aus dem Euro versetzte Europa in Panik - gut so, sagt der griechische Ökonom Yanis Varoufakis. Es stecke sogar Absicht dahiner.

Bastian Brinkmann

Yanis Varoufakis, 50*, leitet an der Universität Athen das internationale Doktorandenprogramm für Wirtschaftswissenschaftler. Er hat ursprünglich Mathematik studiert und früher in Cambridge und Essex als Ökonom gelehrt und geforscht. Griechenland soll nach neuesten Berichten ein weiteres Hilfspaket im Umfang von bis zu 60 Milliarden Euro erhalten, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Im Gegenzug müsse das hochverschuldete Land noch härtere Auflagen als bisher erfüllen. Die EU wolle in einigen Wochen darüber entscheiden, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn. Erst müssten Ergebnisse einer Überprüfungsmission von EU und Internationalem Währungsfonds in Athen vorliegen, die den Finanzbedarf für 2012 klären sollen. Zum Umfang möglicher zusätzlicher Hilfen äußerte er sich nicht.

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Yanis Varoufakis.

(Foto: privat)

sueddeutsche.de: Herr Varoufakis, will Griechenland aus dem Euro raus?

Yanis Varoufakis: An der Meldung, die von Spiegel-Online am Wochenende verbreitet wurde, ist nichts dran. Ein Ausstieg aus dem Euro ist nur ein Planspiel der Regierung, das sie niemals umsetzen würde. Der griechische Premier Giorgos Papandreou hat am Wochenende Spekulanten dafür verantwortlich gemacht, das Gerücht in die Welt gesetzt zu haben. Das ist aber total unglaubwürdig.

sueddeutsche.de: Wenn es nicht die Spekulanten waren, wer wollte dann Griechenland und den Euro taumeln sehen?

Varoufakis: Seit Anfang April erschien eine Reihe von Texten in verschiedenen Publikationen, die Verhandlungsdetails preisgaben und so darauf zielten, die Debatte zu beschleunigen, wie man mit der Schuldenkrise und den Banken umgehen sollte. Die Financial Times hat die entsprechenden Zitate chronologisch zusammengestellt. Sie deuten darauf hin, dass deutsche Regierungskreise diese Informationen streuen. Ich glaube, hinter dem Gerücht, Griechenland wolle die Eurozone verlassen, steckt das deutsche Bundesfinanzministerium.

sueddeutsche.de: Das Finanzministerium will das nicht kommentieren. Was sollte es davon haben, wenn es solche Gerüchte streuen würde?

Varoufakis: Minister Wolfgang Schäuble ist seit einiger Zeit darauf bedacht, dass die Debatte über die Schuldenkrise endlich richtig geführt wird. Seit einem Jahr ist die Eurokrise ungelöst. Über eine Umschuldung oder eine Reform der Euro-Architektur wird nicht gesprochen. Schäuble sieht klugerweise, dass das Aufweichen der Kreditbedingungen für Griechenland das Problem nicht löst - sondern sogar Öl ins Feuer gießt. Kanzlerin Angela Merkel und Premier Papandreou sind dagegen darauf bedacht, einen Mantel des Schweigens über die Angelegenheit zu legen. Eine Umschuldung oder ein Euro-Umbau sind für sie tabu. Der Artikel war ein Weckruf, er hat kurz Panik verursacht, und das absichtlich, da bin ich mir sicher. Damit wurde ein Tabu gebrochen: Man muss keine Angst vor Reformen haben, wenn man weiß, dass es etwas noch viel Schlimmeres geben könnte - den Kollaps des Euro.

sueddeutsche.de: Ein Schuldenschnitt wird offiziell stets dementiert - an den Märkten rechnen dagegen viele damit. Können wir jetzt also offen darüber reden?

Varoufakis: Es ist grotesk, dass deutsche Steuerzahler für Kredite bürgen, die an den griechischen, den irischen und den portugiesischen Staat gehen. Denn diese Pleite-Staaten stimulieren damit nicht ihre Wirtschaft, sondern das Geld verschwindet in den schwarzen Löchern der nationalen Banken, die damit ihre Bilanzen stopfen und das Geld nicht an die Wirtschaft weitergeben. Kredite können das Problem nicht lösen.

sueddeutsche.de: Was dann?

Varoufakis: Wenn der politische Wille da wäre, könnte die Eurokrise in einem Monat zu Ende sein. Dazu sind drei Dinge nötig: Erstens sollte der Rettungsschirm des EFSF nicht mehr Länder mit Krediten versorgen, die der Kapitalmarkt abgeschnitten hat, sondern die Banken rekapitalisieren. Zweitens muss das Schuldenproblem gelöst werden. Das geht über Eurobonds, die die Europäische Zentralbank ausgibt. Dadurch würden die Zinsen fallen, unter drei Prozent. Drittens muss Wachstum angeregt werden. Aber nicht durch Staatsausgaben, sondern durch direkte Kredite der Europäischen Investitionsbank, der unabhängigen EU-Bank. Sie könnte ein paneuropäisches Investmentprogramm auflegen.

sueddeutsche.de: Über einen solchen Umbau der Euro-Architektur bloggen Sie auch seit ein paar Monaten. Warum haben Sie damit angefangen?

Varoufakis: Die Eurokrise hat mich elektrisiert, denn in der Debatte übertrumpft der Blödsinn momentan die rationalen Argumente. Die Krise dauert an, weil die Politik versagt. Darunter leidet ganz Europa. Die Griechen werden deutschenfeindlich und die Deutschen werden griechenfeindlich. Dabei müsste Europa zusammenhalten, gerade jetzt.

Linktipp: In seinem Blog hat Varoufakis detailliert beschrieben, wie er sich eine Finanzarchitektur vorstellt, die den Euro retten könnte.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wurde Varoufakis' Alter mit 40 angegeben. Er ist zehn Jahre älter.

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