Griechenland-Krise:Hans Eichel, der Oberschurke

Die "Bild"-Zeitung sucht nach dem Schuldigen für die katastrophalen Folgen des griechischen Euro-Beitritts - und findet diesen im früheren Finanzminister Hans Eichel. Doch das ist ein Fall von Geschichtsklitterung.

Claus Hulverscheidt

Eichel also. Ausgerechnet Hans Eichel. Zum vierten Mal binnen einer Woche hat die Bild-Zeitung am Dienstag eine ihrer kostbaren Seiten beinahe komplett freigeräumt, um in einem "großen Report" nachzuzeichnen, wie sich Griechenland den Beitritt zur Europäischen Währungsunion (EWU) im Jahr 2001 erschummelte.

EICHEL

Für die Bild-Zeitung ist der Schuldige an der Griechenland-Krise gefunden: Ex-Finanzminister Hans Eichel.

(Foto: AP)

Das Boulevard-Blatt schickte Reporter nach Berlin, Bonn, Athen und Brüssel, die mit den damaligen Protagonisten sprachen, Akten sichteten und tatsächlich eine Menge interessanter Details zu Tage förderten: Wie die Griechen ihre Statistiken frisierten, die EU-Behörden beide Augen zudrückten, und elf Regierungschefs dem Athener Kollegen Konstantinos Simitis am Ende allen Warnungen zum Trotz erlaubten, die Gemeinschaftswährung einzuführen. Nur die Rolle des Oberschurken war bislang unbesetzt geblieben. Seit der Veröffentlichung von Teil Vier des Reports ist nun klar: Der böse Bube hieß Hans Eichel.

Als Beleg für ihre These präsentiert die Zeitung einen Brief, den der damalige Bundesfinanzminister im Mai 2000 an Bundesbankchef Ernst Welteke gesandt hatte. Darin fordert Eichel Welteke auf, dem hessischen Landeszentralbankpräsidenten Hans Reckers weitere öffentliche Kritik am bevorstehenden EWU-Beitritt Griechenlands zu untersagen. Reckers hatte die Euro-Reife des Landes zuvor in Frage gestellt und die Athener Börse damit auf Talfahrt geschickt. Für Bild ein klarer Fall, wie die Überschrift über den Report an diesem Dienstag offenbart: "So machte Finanzminister Eichel den wichtigsten Kritiker platt."

Das Problem ist nur: Nicht ein deutscher Minister entscheidet darüber, wer den Euro einführen darf und wer nicht, sondern der Europäische Rat der Regierungschefs. Und: Hans Reckers war zwar in der Tat ein Kritiker des griechischen EWU-Beitritts, aber beileibe nicht der wichtigste. Er war sogar vergleichsweise unwichtig - dafür aber stets ein wenig vorlaut. In seinen zehn Jahren als vermeintlich überparteilicher Zentralbanker meldete sich der CDU-Mann jedenfalls immer wieder mit Kritik zu Wort, wobei die Adressaten meist Minister aus den Reihen der SPD waren. Eichel jedenfalls steht auch heute noch zu seinem damaligen Schreiben: Reckers sei in Sachen Griechenland "absolut unzuständig" gewesen "und hätte sich als nachgeordnetes Mitglied im System der Europäischen Zentralbanken zu dieser Frage öffentlich gar nicht äußern dürfen."

Die Replik bedeutet nicht, dass es seinerzeit mit Blick auf den bevorstehenden EWU-Beitritt Griechenlands keine mahnende Stimmen gegeben hätte. Im Gegenteil: Industriepräsident Hans-Olaf Henkel etwa sprach von einem "verheerenden Signal" für die Stabilität des Euro. Auch aus der rot-grünen Regierungskoalition und der EU-Kommission verlautete seinerzeit, die Griechenland-Frage sei weniger eine ökonomische als eine politische. Dennoch trugen alle Verantwortlichen die Entscheidung am Ende mit: die Kommission, die Europäische Zentralbank, die Staats- und Regierungschefs.

Genauso war 1998 schon mit den Kandidaten Italien und Belgien verfahren worden. Auch sie hätten bei strenger Auslegung der Kriterien den Euro nicht einführen dürfen, die EU aber entschied anders. Von Hans Reckers übrigens, damals noch Haushaltsabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, ist keinerlei Kritik überliefert. Der zuständige Minister hieß allerdings auch nicht Hans Eichel, sondern Theo Waigel. Ein Unions-Mann.

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