Griechenland:Goldmans Desaster

Politiker und Banker haben zusammenarbeitetet, um in Griechenland Lasten in die Zukunft zu verschieben. Für Goldman Sachs wächst sich die Kooperation zum PR-Desaster aus.

M. Koch und N. Piper, New York

Die Autobahn Augsburg-München ist ein guter Ort, um das Drama um Goldman Sachs und die griechischen Schulden besser zu verstehen. Der notorisch überlastete Teilabschnitt der A 8 wird derzeit mit hohem Aufwand sechsspurig ausgebaut. Träger des Großprojekts ist aber nicht der Bund, dem die Autobahn gehört, sondern ein Konsortium privater Firmen.

Griechenland, dpa

Das "kapitalistische Monster" soll das Graffiti darstellen. In Griechenland wächst der Widerstand gegen die Sparmaßnahmen der Regierung.

(Foto: Foto: dpa)

Dieses stellt die Finanzierung bereit, wickelt den Bau ab, steht für den Betrieb gerade - und bekommt zum Ausgleich auf 30 Jahre die Einnahmen aus der Lkw-Maut. Das Ganze nennt sich "Public Private Partnership, PPP" und wird von Politikern wie Wirtschaftsverbänden als Zukunftsmodell gepriesen.

Verdeckte Schulden

Auch der Flughafen Athen ist eine Public Private Partnership. Gebaut wurde es von einem Konsortium, in dem der griechische Staat zwar die Mehrheit hält, das aber vom Hochtief-Konzern geführt wurde. Seit der Fertigstellung 2001 bekommt das Konsortium zum Ausgleich die Athener Flughafengebühren.

PPPs können sehr sinnvolle Instrumente sein, zum Beispiel weil private Konsortien große Projekte effizienter abwickeln als eine staatliche Behörde. Aber sie bleiben bei allen Vorteilen eines: verdeckte Staatsschulden. Gäbe es das PPP nicht, müsste der Staat das betreffende Projekt entweder verschieben oder entsprechende Schulden aufnehmen.

Nun ist es ein Unterschied, ob die Bürger eines Staates für die verdeckten Schulden etwas Konkretes bekommen, einen Flughafen etwa oder eine Autobahn. Oder ob die einzige Leistung darin besteht, Lasten in die Zukunft zu verschieben. Genau dies war aber bei einigen Geschäften der Fall, die Banken wie JP Morgan und UBS in der Zeit rund um den griechischen Euro-Beitritt mit Athen abschlossen: Lotterie-Einnahmen und Autobahngebühren wurden verpfändet, nur um Kredite zu strecken.

Die Grenze zwischen einem guten und einem schlechten Deal. Auch Währungs-Swaps, wie Goldman Sachs 2002 einen mit der damaligen griechischen Regierung vereinbart hatte, können etwas sehr Sinnvolles sein. Zum Beispiel wenn ein Unternehmen oder eine Regierung einen günstigen Wechselkurs für die Zukunft sichern will.

Im konkreten Fall jedoch war von vorneherein erkennbar, dass das Geschäft der Statistik-Verschönerung diente: Schulden des griechischen Staates, die in Dollar und Yen lauteten, wurden in einen langfristigen Euro-Kredit über eine Milliarde Dollar umgewandelt. Der zugrunde liegende Wechselkurs lag unter dem tatsächlichen Marktpreis. Auf diese Weise kam Athen in den Genuss einer hohen Einmalzahlung, die sie erst viele Jahre später - mit Zins - zurückzahlen musste.

Seit die griechische Schuldenkrise akut wurde, haben sich diese Geschäfte zu einem Public-Relations-Desaster für Goldman Sachs ausgewachsen: "Goldman hilft den Schuldentricksern", lauten die Schlagzeilen auf der ganzen Welt. Jetzt kam noch eine Drehung hinzu: Die Nachrichtenagentur Bloomberg veröffentlichte einen Bericht, wonach Goldman Sachs Griechenland dabei half, Staatsanleihen in Höhe von 15 Milliarden Euro aufzunehmen - und zwar nach Abschluss eines Swap-Geschäfts aus dem Jahr 2002. Zehnmal platzierte Goldman Sachs in der Folgezeit griechische Anleihen.

Problematik schon lange bekannt

In mindestens sechs Fällen, so Bloomberg, hätten die Banker den Investoren den Swap und damit das Ausmaß der griechischen Staatsschulden verschwiegen. Bill Blain, Manager der Londoner Brokerfirma Matrix Corporate Capital, sagte dazu: "Der Preis von Anleihen sollte die Realität der griechischen Finanzen widerspiegeln. Wenn eine Bank diese auf der Basis öffentlicher Informationen verkauft und sie sich bewusst ist, dass diese Informationen unvollständig sind, dann wurden die Anleger getäuscht."

Goldman Sachs verdiente 24 Millionen Dollar mit der Platzierung der Anleihen. In Kreisen von Goldman hieß es, die erwähnten Informationen müssten bei der Emission von Staatsanleihen nicht veröffentlicht werden. Der Währungs-Swap mache außerdem nur ein Prozent der griechischen Staatsschuld aus. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass Käufer griechischer Staatsanleihen Goldman Sachs verklagen werden. Dazu müsste der Investmentbank aber Täuschungsabsicht nachgewiesen werden.

"Extensiver Gebrauch von Finanzderivaten"

Erstaunlich ist die derzeitige Aufregung um die Zusammenarbeit zwischen Goldman und Griechenland insofern, als das Geschäft bei Abschluss schon publik wurde und sich alle Beteiligten, einschließlich des statistischen Amtes Eurostat, dessen Problematik bewusst waren.

Im November 2001 hatte die griechische Regierung in einer offiziellen Erklärung angekündigt, die Kosten seines Schuldendienstes durch den "extensiven Gebrauch von Finanzderivaten" zu verringern. Drei Monate später, im Februar 2002, bemängelte die EU-Kommission, dass Griechenland bei seiner Strategie zu sehr auf den Effekt niedriger Zinsen baue, die mit dem Beitritt zur Euro-Zone automatisch verbunden waren, und verlange weitere Haushaltskürzungen. Fünf Monate später wurde das Geschäft mit Goldman abgeschlossen.

Die Experten bei Eurostat billigten den Deal damals. "Da war nichts Geheimes", sagte ein griechischer Beamter der Financial Times. Allerdings gab es hinter den Kulissen eine heftige Debatte über den Umgang mit dem Problem, wie Risk Magazine, eine amerikanische Fachzeitschrift, bereits im Juli 2003 berichtet hatte. Danach verlangten die "Statistiker" in der EU, dass Derivate mit ihrem aktuellen "Wert" in den Büchern auftauchen mussten.

Im Falle des Währungs-Swaps der Griechen wäre der Wert negativ gewesen, da er ja künftige Zahlungsverpflichtungen der Regierung in Athen beinhaltete. Die "Schulden-Manager" dagegen hätten darauf bestanden, Derivate zu benutzen, um die ausgewiesenen Defizite herunterzurechnen. Kurzfristig scheinen sich damals die Schuldenmanager durchgesetzt zu haben, langfristig die konservativen Statistiker. Heute könnte ein vergleichbarer Swap die Schuldenbilanz nicht mehr beeinflussen.

Wenn Goldmans griechische Tragödie eines zeigt, dann dies: Der Markt für Derivate bedarf dringend der Regulierung und der Transparenz. Wären die Maßnahmen zur Finanzreform, die die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten im September in Pittsburgh beschlossen, 2002 bereits in Kraft gewesen, dann wäre das Geschäft zwischen Goldman und Athen auf jeden Fall anders abgelaufen.

Gefährliche Verzögerung

Entweder hätten sich beide auf eine standardisierte Form des Swaps entschieden, der dann über eine öffentliche Plattform abgewickelt worden und damit transparent gewesen wäre. Oder sie hätten ein maßgeschneidertes "Over-the-Counter"-Geschäft gewählt; dies hätte dann mit deutlich mehr Eigenkapital unterlegt werden müssen und wäre entsprechend teuer geworden. Gut möglich, dass es dann ganz unterblieben wäre.

Derzeit verliert das Thema Finanzmarktregulierung für Politiker an Dringlichkeit. Das Schlimmste der Finanzkrise ist vorbei, anderes erscheint dringlicher. In den USA dürfte das Reformgesetz, das das Repräsentantenhaus bereits beschlossen hat, an der politischen Blockade im Senat scheitern. Europa hinkt mit der Regulierung ebenfalls hinter den Plänen her. Der Fall Griechenland zeigt, wie gefährlich diese Verzögerungen sind.

Die Regeln müssen unzweifelhaft sein; Investmentbanken werden ihren Kunden immer die Produkte anbieten, die legal sind, selbst wenn die Kunden deren Folgen nicht überblicken oder selbst unlautere Absichten haben. "Der Eisverkäufer ist immer da, wo die Leute Eis kaufen wollen," sagte ein New Yorker Investmentbanker in diesen Tagen.

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