Göttinger Gruppe:Katastrophe für mehr als 100.000 Sparer

Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat ein Insolvenzverfahren gegen die Securenta AG, dem Herzstück der Göttinger Gruppe, eingeleitet. Die Pleite ist der größte Anlageskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Beobachter halten ihn allerdings auch für einen Justizskandal.

Thomas Öchsner

Es ist gut 20 Jahre her, da hatte der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Erwin Zacharias eine ziemlich verheißungsvolle Idee. Zusammen mit Kollegen vom Fach in der niedersächsischen Universitätsstadt Göttingen wollte Zacharias ein Steuersparmodell für den kleinen Mann kreieren.

VfB Stuttgart warb für die Göttinger Gruppe

Die Spieler des VfB Stuttgart bejubeln 1998 einen Sieg. Auf der Brust werben sie für die Göttinger Gruppe.

(Foto: Foto: dpa)

So entstand der Anlagekonzern Göttinger Gruppe, bei dem gut 100.000 Sparer mehr als eine Milliarde Euro investierten und auf eine solide Altersvorsorge hofften.

Nun ist klar, dass die Anleger von diesem Geld nicht mehr viel sehen werden: Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat ein Insolvenzverfahren gegen die Securenta AG, dem Herzstück der Göttinger Gruppe, eingeleitet.

Die bevorstehende Pleite ist der größte Anlageskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Rechtsanwälte sprechen von einem Justizskandal. ,,Das ist ein Super-Gau für Anleger und die Politik'', sagt Volker Pietsch, Chef des Deutschen Instituts für Anlegerschutz (Dias).

Das Ende für den Finanzkonzern kam nicht mehr überraschend: Am vergangenen Samstag berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass das Amtsgericht Göttingen 170 Haftbefehle gegen führende Manager der Securenta erlassen hatte, um sie zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über die aktuellen Vermögensverhältnisse zu zwingen.

Zuvor hatten sie Termine mit dem Gerichtsvollzieher platzen lassen, der Geld von klagenden Anlegern eintreiben wollte. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ein Gläubiger Antrag auf Zahlungsunfähigkeit stellen würde.

Abwendung der Pleite möglich, aber nicht wahrscheinlich

Ende dieser Woche war es so weit. Der Berliner Anwalt Rolf Rattunde wird nun als vorläufiger Insolvenzverwalter prüfen, ob in der Securenta noch Vermögenswerte stecken. Theoretisch ließe sich die Pleite also noch abwenden. Aber sehr wahrscheinlich ist dies nicht.

Verkaufsschlager des Finanzkonzerns war die sogenannte ,,Securente'' - ein Name, der den Kunden Sicherheit suggerieren sollte. In Wirklichkeit handelte es sich um ein hochriskantes Anlagemodell, weil ein Großteil des Geldes in unternehmerische Beteiligungen floss.

Und die entpuppten sich schnell als Geldgräber: Die Göttinger Gruppe verpulverte zum Beispiel Millionen im Fußballverein Tennis Borussia Berlin, den Zacharias in die Champions League bringen wollte. Auch der Kauf der Partin-Bank erwies sich als Flop - das Geldhaus wurde von der Finanzaufsicht geschlossen.

Schon 1998 Zweifel

Schon früh kamen Zweifel an der Solidität des Göttinger Unternehmens auf. Der Prüfungsverband Deutscher Banken kam zu dem Ergebnis, dass die Anleger bis 1998 mehr als 1,8 Milliarden DM eingezahlt hätten, aber nur 520 Millionen DM investiert worden seien.

Der frühere Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, Wolfgang Artopoeus, stellte Strafanzeige. Doch erst auf Druck des Justizministeriums begann die Staatsanwaltschaft Braunschweig, wegen des Verdachts auf Untreue und des Kapitalanlagebetrugs zu ermitteln.

Heraus kam dabei nichts: Die Strafverfolger stellten weder einen vorsätzlichen Betrug noch sittenwidriges Verhalten fest.

Zivilrichter fanden klarere Worte. Sie hielten es für zulässig, die Göttinger Gruppe als ,,Abzockgruppe'' und ,,modifiziertes Schneeballsystem'' zu bezeichnen. Auch der Bundesgerichtshof schlug sich auf die Seite der Anleger. Aber Geld einsammeln durfte das Unternehmen bis jetzt weiter, obwohl der Vertrieb der ,,Securente'' bereits im Jahr 2000 eingestellt wurde - die Verträge haben eine Laufzeit von bis zu 40 Jahren.

Monat für Monat Geld abgebucht

,,Mit Billigung der Justiz konnte die Göttinger Gruppe Monat für Monat von den Ratensparern Millionen abbuchen'', sagt der Münchner Rechtsanwalt Wilhelm Lachmair. Dadurch sei ,,der Schaden nur vergrößert und der Todeskampf des Unternehmens verlängert worden''.

Katastrophe für mehr als 100.000 Sparer

Lachmair, der bereits 2004 eine Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung stellte und dem Unternehmen "planlose Vermögensvernichtung" vorwirft, spricht von einem "Justizskandal".

Göttinger Gruppe: Ob Jürgen Rinnewitz hinter Schloss und Riegel muss, ist fraglich: Die Grenzen zwischen wirtschaftlichem Schaden und Betrug sind fließend.

Ob Jürgen Rinnewitz hinter Schloss und Riegel muss, ist fraglich: Die Grenzen zwischen wirtschaftlichem Schaden und Betrug sind fließend.

(Foto: Foto: privat)

Er kreidet den Strafverfolgern an, den Fall nicht intensiv genug untersucht zu haben. Dass die Staatsanwaltschaft jetzt wieder wegen des Verdachts auf Anlagebetrug ermittele und einen Gutachter beauftragt habe, um die Geschäfte der Göttinger Gruppe zu prüfen, hält er für absurd. "Warum wurden denn nicht bereits 1999/2000 Wirtschaftsprüfer eingeschaltet?", fragt sich Lachmair.

Fragwürdige Steuersparmodelle

Anlegerschützer Pietsch geht noch einen Schritt weiter: Die Politiker hätten fragwürdige Steuersparmodelle jahrelang gefördert und die Missstände auf dem Grauen Kapitalmarkt über viele Jahre ignoriert. "Die Chefs der Göttinger Gruppe sonnten sich im Rampenlicht höchster politischer Kreise", sagt der Dias-Chef.

Zacharias und Securenta-Vorstand Jürgen Rinnewitz schafften es jedenfalls immer wieder, sich mit politischer Prominenz ins rechte Licht zu rücken.

So schloss der ehemalige baden-württembergische Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder als Präsident des VfB Stuttgart einen Trikotwerbevertrag mit der Gruppe ab und ließ sich stolz mit Zacharias ablichten.

Das Unternehmen sponserte mehrfach das Kinderfest im Bundeskanzleramt in der Ära Helmut Kohl. In einem Werbeprospekt der Gruppe tauchten Bilder auf, in dem mal Rinnewitz mit Ex-Kanzler Kohl, mal Zacharias mit Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und mal beide mit dem FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff zu sehen sind.

Auch Professoren ließen sich einspannen

Auch Universitätsprofessoren ließen sich für das Unternehmen einspannen. 17 nannte die Gruppe mit Namen auf ihrer Homepage - da könne, so die Botschaft, mit dem Steuersparmodell ja nichts schiefgehen.

Die mehr als 100.000 Anleger werden inzwischen schlauer sein. Die meisten dürften aber noch nicht wissen, dass sie bei einer Insolvenz womöglich Geld nachschießen müssen.

Der Insolvenzverwalter werde "unter Garantie" auf der vollen Einzahlung der gezeichneten Einlage bestehen, sagte der Bremer Anwalt Henning Ahrens.

Ob sich führende Köpfe der Göttinger Gruppe verantworten müssen, ist dagegen fraglich: "Ich glaube nicht, dass Rinnewitz hinter Schloss und Riegel landet", sagt der Göttinger Anwalt Jürgen Machunsky.

Rechtzeitig vorgesorgt

Die Grenzen zwischen Betrug und wirtschaftlichem Scheitern seien fließend. Und Erwin Zacharias, der immer als das Gehirn der Gruppe galt, hat rechtzeitig vorgesorgt.

2001 trennte er sich von dem Unternehmen. Seit November 2006 ist er untergetaucht, nachdem er wegen Steuerhinterziehung im privaten Bereich zu 16 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Zacharias soll in Kanada Immobilien besitzen.

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