Globale Finanzkrise:Von Tätern und Straftätern

Die Finanzakteure haben im gesetzesfreien Raum Geschäfte gemacht - wofür also sollen sie büßen?

Christian Wernicke

Noch gibt es keine Beweise. Nicht einmal von einer heißen Spur zu milliardenschwerem Lug und Trug mag das US-Justizministerium bisher berichten. Doch die Nachricht, dass nun das FBI in 26 Finanzhäusern an der Wall Street nachschaut, ob ganze Banken ihre Bilanzen gefälscht oder einzelne Manager ihre Klienten mit Falschinformationen hintergangen haben - sie passt so recht in das Bild, das sich Amerika, ja alle Welt inzwischen von den Zuständen im Zentrum des globalen Kapitalismus so malt. Zuzutrauen ist allen längst alles.

Vorerst leistet das FBI kaum mehr als pflichtgemäße Vor-Ermittlungen. Die Mutmaßung, so mancher Finanzjongleur habe in der Not seine Bücher oder gar die Märkte zu manipulieren versucht, liegt auf der Hand. In gewisser Weise leisten die Kriminalbeamten sogar Beihilfe zur Rettung der Wall Street: Amerikas Bürger werden von der Regierung gerade angegangen, die fragilen Bankhochhäuser an der Südspitze Manhattans mit bis zu 700 Milliarden Dollar abzustützen. Für diesen Preis dürfen die Steuerzahler (und Wähler) sehr wohl verlangen, dass den bislang Verantwortlichen genau auf die Finger geschaut wird.

Nur, anders als bei früheren Wirtschaftsskandalen wie etwa der Bankenkrise vor 20 Jahren oder der Megapleite des Energiekonzerns Enron dürfte es den Kriminalisten schwerfallen, konkrete Straftatbestände und Täter dingfest zu machen. Das Kernproblem der aktuellen Krise ist ja gerade, dass ein Mangel an gesetzlichen Vorschriften das riskante Vabanque an der Wall Street erst ermöglichte. Ein Beispiel: Mehr als die Hälfte all jener Subprime-Darlehen, die heute als oft faule Kredite die Portfolios in die Knie zwingen, wurde von Finanzdienstleistern verscherbelt, die keinerlei US-Bundesaufsicht unterlagen. Und die Börse in New York hat diese fragwürdigen Subunternehmer bedenkenlos refinanziert. Diese langjährig geduldeten, ja von der Bush-Regierung beförderten Auswüchse rufen das alte Dichterwort in Erinnerung: "Was ist der Einbruch in eine Bank im Vergleich zur Gründung einer Bank?," aufgeschrieben von Bertolt Brecht vor bald 80 Jahren.

Wer weiß, vielleicht liefert das FBI irgendwann tatsächlich die Vorlage für ein neues Hollywood-Drehbuch. Der Film "Wall Street" als Sujet für (ein wenig) Sex und (sehr viel) Crime spielte schon Ende der achtziger Jahre Millionen ein. Das wahre Drama jedoch findet live statt. Die Finanzkrise erschüttert mehr denn je das Vertrauen der Amerikaner in ihre Nation. Nur noch jeder siebte US-Bürger glaubt, sein Land befinde sich auf dem richtigen Kurs.

So pessimistisch schaute Amerika zuletzt vor 35 Jahren auf sich selbst. Das könnte die Zukunft der Vereinigten Staaten entscheiden: Neue Umfragen sehen Barack Obama deutlich vor seinem republikanischen Konkurrenten. Der Krimi an der Wall Street hat, da das FBI noch ermittelt, die politischen Aktien des Demokraten auf Rekordniveau getrieben.

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