Gewerkschaften gegen Rente mit 67:"Nicht länger schönfärben"

Allen Jubelmeldungen des Familienministeriums zum Trotz: Arbeitnehmer in vielen Berufen schaffen es nicht, bis 65 voll zu arbeiten. Die Gewerkschaften verlangen deswegen ein Stopp der Rente mit 67.

Die Rente mit 67 wäre für den Großteil der Arbeitnehmer derzeit kaum erreichbar. Der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten mit 63 oder 64 Jahren lag 2009 deutlich unter zehn Prozent. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sowie Sozial- und Wohlfahrtsverbände haben deshalb gefordert, die Einführung der Rente mit 67 auf Eis zu legen.

Gewerkschaften gegen Rente mit 67: Nicht nur Dachdecker halten nicht durch: In vielen Berufen gibt es kaum vollständig versicherungspflichtige Arbeitnehmer, die älter als 60 Jahre sind. Für eine Tabelle der verschiedenen betroffenen Berufe auf das Foto klicken.

Nicht nur Dachdecker halten nicht durch: In vielen Berufen gibt es kaum vollständig versicherungspflichtige Arbeitnehmer, die älter als 60 Jahre sind. Für eine Tabelle der verschiedenen betroffenen Berufe auf das Foto klicken.

Das Familienministerium verkündete kürzlich erfreuliche Botschaften. Das Alter, in dem die Menschen in den Ruhestand gehen, hat sich auf 63 Jahre erhöht. Der Anteil der über 60-Jährigen, die noch einen Job haben, steigt.

Die Zahlen, die das "Netzwerk für eine soziale Rente" am Freitag bei seinem vierten Monitoring-Bericht zur Rente mit 67 vorlegte, wirken im Vergleich eher ernüchternd: Danach beläuft sich der Anteil der Beschäftigten im Alter von 60 bis 64 Jahren an allen Beschäftigten ihrer jeweiligen Berufsgruppe auf lediglich 3,8 Prozent.

Extrem wenige alte Dachdecker

In den Gesundheitsberufen sind nur 2,6 Prozent aller Arbeitnehmer über 60 Jahre alt, bei Dachdeckern sogar nur 1,6 Prozent. Zu diesem Ergebnis kamen die Professoren Gerhard Bäcker (Uni Duisburg-Essen) und Ernst Kistler (Internationales Institut für Empirische Sozialökonomie) in ihrem Bericht für das Netzwerk.

Auch bei ihrer Untersuchung zeigt sich: Es kommt immer darauf an, wie man die Statistiken interpretiert. Das Familienministerium wies in der Studie "Deutscher Alterssurvey" darauf hin, dass bereits ein Drittel der Menschen in Deutschland auch nach ihrem 60. Geburtstag einer Arbeit nachgehen. Dies wird von den beiden Professoren nicht bestritten. Sie weisen aber darauf hin, dass unter Erwerbstätigkeit jede Form der Arbeit ab einer Stunde pro Woche verstanden wird. Auch Selbständige und Minijobber werden hier mitgezählt.

Zieht man dagegen nur die sozialversicherungspflichtigen Jobs heran, mit denen sich nennenswerte Rentenansprüche erwerben lassen, verändert sich das Bild dramatisch: Hier beläuft sich die Quote der vollbeschäftigten Arbeitnehmer mit 63 Jahren auf 9,2 Prozent. Bei den 64-Jährigen liegt sie nur noch bei 6,3 Prozent - und dabei werden bereits freigestellte Beschäftigte in Altersteilzeit mitgezählt. So geht laut der Studie fast jeder zweite Altersrentner mit Abschlägen in den Ruhestand, weil die Altersgrenze nicht erreicht ist. Im Durchschnitt kommt es dadurch zu Rentenkürzungen von 114 Euro im Monat.

Drohende Altersarmut

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach und die Vorsitzende des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, warnten deshalb davor, das gesetzliche Rentenalter auf 67 Jahre zu erhöhen.

Buntenbach forderte die Koalition auf, die Situation nicht länger schönzufärben. "Die Fakten belegen, dass die Einführung der Rente mit 67 nicht vertretbar ist." Zunächst müsse es darum gehen, dass mehr Arbeitnehmer überhaupt bis 65 gesund in Arbeit bleiben können. "Dafür brauchen wir mehr Weiterbildung und Gesundheitsförderung in den Betrieben."

Mascher kritisierte, die Rente mit 67 werde die ohnehin drohende Altersarmut verschärfen. Älteren Arbeitnehmern drohe dann noch mehr als bisher der Verlust ihres Jobs, der Absturz ins Hartz-IV-System und die Zwangsverrentung: "Auch wenn die Regelaltersgrenze auf 67 Jahre erhöht wird, können langjährig Versicherte mit 63 in Rente geschickt werden - mit Abschlägen von 14,4 Prozent", sagte die VdK-Vorsitzende. Außerdem würde eine verlängerte Lebensarbeitszeit Menschen mit gesundheitlichen Problemen hart treffen. Schon jetzt liege der durchschnittliche Zahlbetrag der Erwerbsminderungsrente mit 643 Euro unter dem Sozialhilfeniveau.

SPD will "Rente mit 67" frühestens 2015 beginnen lassen

Die Bundesregierung will die Rente mit 67 von 2012 schrittweise bis zum Jahr 2029 einzuführen, sodass erst für Versicherte ab Jahrgang 1964 die neue Regelaltersgrenze ganz gilt. Das SPD-Präsidium hatte im August beschlossen, die Rente mit 67 frühestens 2015 beginnen zu lassen.

Als Bedingung wollen die Sozialdemokraten festschreiben, dass mindestens die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat. Die Gegner der Rente mit 67 pochen auf eine Klausel im Rentengesetz: Danach muss die Bundesregierung erstmals 2010 dem Bundestag "über die Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer" berichten und erläutern, ob die Anhebung der Altersgrenze unter den gegebenen Umständen "weiterhin vertretbar erscheint". Dieser Bericht steht noch aus.

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