Gewerbegebiete im Wandel:Nine-to-Five-Quartiere will niemand mehr

Reine Büroquartiere haben ein schlechtes Image, viele von ihnen stehen leer. Wohnungen und Geschäfte sollen die Viertel nun für Mitarbeiter und Bevölkerung attraktiver machen.

Von Miriam Beul-Ramacher

Mit 768 000 Quadratmetern Bürofläche und 25 000 Beschäftigten ist Frankfurt Niederrad eine der größten Dienstleistungsagglomerationen in Deutschland. Doch die Vermietungs- und Preisentwicklung ist seit Jahren verheerend. Hohe Leerstände und menschenleere Straßen haben das Viertel in Verruf gebracht. Hotels, Wohnungen und Geschäfte konnte man sich zwischen den vielen Betonklötzen lange nicht vorstellen. Einwohnerzuwächse und Wohnungsmangel haben den Druck auf Politik und Immobilieneigentümer in den vergangenen Jahren aber merklich erhöht. Der bereits begonnene Umwandlungsprozess gewinnt an Dynamik. Der Satellitenstandort soll sich in ein gemischt genutztes Quartier verwandeln, wobei die Ankernutzung Büro nicht verdrängt, sondern durch Komplementärangebote und Substanzaufwertungen gestärkt werden soll.

An jeder Ecke Kräne, die ersten Wohnungen und Fitnessstudios werden gebaut. Auch die Statistiken machen die städtebauliche Transformation bereits sichtbar. Nach Recherchen des Immobilienberaters CBRE wurden in Niederrad seit 2009 etwa 130 000 Quadratmeter Bürofläche in Wohnraum umfunktioniert. "Wir sind auf dem richtigen Weg zu einer lebendigen Bürostadt, in der die Menschen künftig auch wohnen und einkaufen können", sagt David Roitman, Vorsitzender der 2014 gegründeten Standort-Initiative Neues Niederrad (SINN) und Geschäftsführer der Access Tower Grundbesitz GmbH. Bis 2017 sollen 3000 neue Wohnungen für 6000 Menschen entstehen, außerdem bestehende Büroflächen aufgewertet werden.

Die Stadt Frankfurt unterstützt die Umstrukturierung der Bürostadt Niederrad

"Niederrad erlebt derzeit einen Nachfrageboom, und es sind auch weniger Incentives nötig, um Büromieter zu gewinnen", sagt Roitmann. In der Tat: Etliche Bauprojekte werden angepackt, einige sind bereits abgeschlossen. So sind etwa die 196 Wohnungen im Energieeffizienzhaus "Green Six" der Mercurius Real Estate AG seit Ende 2014 bezugsfertig. Intensiv gebaut wird auch auf dem Nestlé Campus. Dort entstehen unter anderem ein Konferenzcenter, eine Kita und ein Nestlé-Shop.

Die Verkehrsinfrastruktur hat sich ebenfalls verbessert, seitdem car2go allein fünf Parkspots im Viertel etabliert hat. Die Fahrzeuge stehen im Geschäftsgebiet verteilt. Kunden lokalisieren das nächst verfügbare Fahrzeug im Internet, über eine Smartphone-App oder direkt auf der Straße und nutzen es spontan. "Anwohner, Arbeitnehmer und Geschäftsreisende können schnell den Flughafen oder die Innenstadt erreichen und das Auto dort abstellen", sagt SINN-Vorsitzender Roitman.

Die Stadt unterstützt die Aktivitäten. "Mit der Vergabe eines Erbbaurechts an einem städtischen Grundstück können wir die Umstrukturierung der Bürostadt Niederrad zu einem gemischt genutzten Stadtteil weiter voranbringen", sagt Frankfurts Bürgermeister Olaf Cunitz. Weitere 200 Wohnungen, eine Kita und eine Grünfläche könnten auf diese Weise entstehen. Das Positive: Von den Umnutzungsaktivitäten und Aufwertungen profitiert auch der lokale Büromarkt. "Der Büroleerstand im Teilmarkt hat sich in den vergangenen Jahren deutlich reduziert", sagt Jan Linsin, Head of Research bei CBRE. 2011 habe die Quote noch bei knapp 23 Prozent gelegen. Derzeit stünden "nur" noch 15,6 Prozent der Flächen leer. Auch wenn Leben einzieht ins Viertel und die Leerstände sinken: Bewegung in die Büromieten hat die Modernisierungsoffensive bisher nicht gebracht. Seit 2011 liegt die Spitzenmiete in Niederrad konstant bei 15 Euro.

"Junge Fachkräfte wollen nicht in einem Büroghetto sitzen, sie suchen Urbanität und Vielfalt."

Doch vielleicht braucht es da noch einen längeren Atem. Denn Alternativen zur Transformation der tristen Arbeitsquartiere sehen Experten kaum. "Das reine Büroquartier, wo um 17 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden und Büschel über die Straße wehen, ist ein Auslaufmodell", sagt etwa Marcus Mornhart, Managing Director und Leiter Bürovermietung Deutschland bei Savills. Verantwortlich dafür sind gesellschaftliche Veränderungen, angetrieben durch die Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelt. "Die Unternehmen befinden sich im War for Talents. Und dies bedeutet, dass sie die Standortpräferenzen ihrer Mitarbeiter ernst nehmen müssen. Junge Fachkräfte wollen nicht in einem Büro-Ghetto sitzen, sie suchen Urbanität und Vielfalt", sagt der Manager. Attraktiv seien Arbeitgeber, die neben einem attraktiven Gehalt ein bestimmtes städtebauliches Umfeld sowie eine gute Erreichbarkeit, möglichst ohne eigenen PKW, bieten.

Vielfalt, ein urbanes Umfeld und autofreie Anreise: Das hat auch der Düsseldorfer Satellitenstandort Seestern bisher nicht zu bieten. Auch ihm hilft eine Standortinitiative. Mit 520 000 Quadratmetern Nutzfläche verteilt auf 30 Gebäude zählt der linksrheinische Teilmarkt seit Langem zu den Sorgenkindern am lokalen Bürovermietungsmarkt. Für diejenigen, die nur auf die Zahlen schauen, hat sich daran seit der Gründung der Eigentümerinitiative im Jahr 2010 auch kaum etwas geändert. Etwa 30 Prozent des gesamten Leerstandes in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt befinden sich am Seestern.

Das Image des Standortes hat sich in den vergangenen Jahren dennoch zum Positiven gewandelt. "Der Seestern ist heute keine No-Go-Area mehr, sondern eine beliebte Backoffice-Lage mit moderaten Preisen", sagt Ignaz Trombello, Head of Investment Germany bei Colliers in Düsseldorf. Die städtebaulichen Fehler vergangener Jahrzehnte ließen sich nicht in einem halben Jahrzehnt rückgängig machen. "Zu den Versäumnissen der Ursprungsplanung gehörte vor allem die Monostruktur aus Büros. Das wird jetzt gerade durch ein Wohnprojekt sowie den Bau mehrerer Hotels verbessert", zeigt sich Alexander Fils, bei der Stadt Düsseldorf Vorsitzender des Ausschusses für Planung und Stadtentwicklung, zufrieden.

Auf Hotels und Wohnimmobilien als Komplementäre für eine aus der Zeit gefallene Bürolandschaft setzt man auch in Offenbach. So soll das von Leerständen gepeinigte Büroquartier Kaiserlei durch neue Nutzungen zu einem gemischten Viertel werden. "Erst vor Kurzem hat die Europäische Zentralbank ihren neuen Sitz westlich von Kaiserlei eröffnet. Für die Wiederbelebung dieses Quartiers ein wichtiges Signal", sagt Offenbachs Oberbürgermeister Horst Schneider. Der erste Großinvestor im Kaiserlei-Quartier ist auch schon da: Die Berliner CG Gruppe hat mehrere Grundstücke, Immobilien und leere Bürogebäude erworben und will dort 300 Millionen Euro in den Bau von neuen Büroflächen, temporären Wohnungen, Hotels und Geschäften investieren. Durch Neu- und Umbauten sollen allein 1100 neue Mietwohnungen entstehen.

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