Gesundheitssystem:Eine unmögliche Reform

Zehn Monate Dauerstreit, gebrochene Versprechen, ruiniertes Ansehen und verlorenes Vertrauen in der Wählerschaft: Das Kabinett hat die Gesundheitsreform beschlossen. Für die Regierungsparteien gerät sie zum politischen Desaster.

Guido Bohsem

Gemessen an den Maßstäben seiner Partei, ja selbst an seinen eigenen Ansprüchen, ist Philipp Rösler gescheitert. Auch dem gelernten Mediziner und FDP-Mitglied ist es nicht gelungen, dem deutschen Kassensystem ein neues Finanzfundament zu legen. Im Wahlkampf versprach Röslers Partei lautstark, den ungeliebten Gesundheitsfonds wieder abzuschaffen und den Wettbewerb im System zu stärken. Die Liberalen stellten den Apothekern Schutz vor Konkurrenz in Aussicht, und den Ärzten weniger Bürokratie sowie leistungsgerechtere Honorierung. Was das Kabinett an diesem Mittwoch beschließen wird, hat mit diesen Ankündigungen und liberalen Heilsversprechen einer umfassenden Neuausrichtung des Systems eigentlich nichts mehr zu tun. Auch dem schwarz-gelben Bündnis und dem FDP-Politiker Rösler im Gesundheitsministerium ist keine Reform gelungen, die nicht in den nächsten vier Jahren von einer anderen verbessert oder abgelöst werden dürfte.

Oettinger will zehn Prozent Zuzahlung der Patienten

Wer das Gesundheitssystem ändern möchte, hat einen harten, undankbaren Job. Wahlen gewinnt man damit nicht.

(Foto: ddp)

Das Ergebnis ist spärlich. Das alleine wiegt schon schwer. Zur politischen Katastrophe mutierte die Gesundheitsreform für CDU, CSU und FDP, weil sie für die mageren Beschlüsse mehr als zehn Monate lang im Dauerstreit versanken. Sie brachen nicht nur Wahlkampfversprechen. Sie ruinierten damit ihr Ansehen und das Vertrauen ihrer Wählerschaft. "Die können das" - diesen Vertrauensvorschuss wird Union und FDP so schnell keiner mehr gewähren. Das schmerzt enorm, weil beide sich als berufene Regierungsparteien verstehen.

Die aktuelle Reform wird der breiten Bevölkerung vor allem deshalb in Erinnerung bleiben, weil mit ihr eine kräftige Anhebung der Beiträge verbunden ist. Zwar kommen auch Ärzte, Kliniken und Krankenkassen nicht ungeschoren davon. Gekürzt wird dort nicht, lediglich das Plus soll knapper werden. Als Erfolg verkündet Rösler, dass in ein paar Jahren der Einstieg in die Zusatzbeiträge gelingen könnte, die vom Einkommen unabhängig sind. Ob diese kleine Kopfpauschale tatsächlich das Licht der Welt erblicken wird, darf getrost bezweifelt werden. Die CSU wird jedenfalls nichts unversucht lassen, das Vorhaben zu boykottieren. Auch sind die bürokratischen Hürden offenbar größer, als Rösler glauben machen möchte. Punkte beim Wahlvolk sammelt der Minister mit dem Plan ohnehin nicht. In punkto Beliebtheit rangiert die Kopfpauschale auf gleicher Höhe mit Kater und Kopfschmerz.

Bestürzend an der Reform ist vor allem, dass ausgerechnet diese Koalition einen echten Wettbewerb unter den Kassen für die nächsten Jahre verhindert. Weil die schwarz-gelbe Regierung das Defizit der Kassen derartig großzügig tilgt, kommen die meisten auf lange Zeit mit dem staatlich gesetzten Einheitsbeitrag aus. Wenn aber der Preis der Krankenkassen fast überall gleich ist, wird auch richtiger Wettbewerb verhindert.

Immer die Torte im Gesicht

Nach sieben Jahren Rot-Grün, vier Jahren Schwarz-Rot sowie zehn Monaten Schwarz-Gelb erweist sich, dass kein denkbares Parteienbündnis im Bundestag einen fundamentalen Umbau des Systems wird leisten können oder wollen - aller Oppositionsreden zum Trotz. Darunter leidet vor allem das Ansehen der Liberalen, denen das lange zugetraut wurde. In den einschlägigen Internet-Foren von Fachärzten und Apothekern muss Rösler inzwischen geben, was seine Vorgängerin Ulla Schmidt so lange war: den Sündenbock für alle Dinge, die im Gesundheitssystem schieflaufen. Weil die Freiberufler das Versprechen der FDP auf einen Neuanfang im System geglaubt haben, trägt Rösler einen gewichtigen Anteil am Niedergang der Liberalen in den Umfragen.

Für das Gesundheitssystem ist all das - ein wenig fatalistisch gesehen - weitaus weniger dramatisch. Gewiss, die Gesundheitsversorgung ächzt und stöhnt unter dem Spardiktat der vergangenen Jahre. Einiges geht nicht mit rechten Dingen zu, manches ist ungerecht, vieles könnte und müsste dringend verbessert werden. Jedoch, eine Radikalreform wünscht sich weder die Mehrzahl der Akteure noch die der Patienten. Ein solcher Umbau wäre nämlich mit dem Abschied vom Vertrauten und großer Unsicherheit verbunden. Er gleicht einem Wettlauf ins Ungewissen. Wer jetzt Profiteur der Versorgungsmaschinerie ist, könnte danach als Verlierer durchs Ziel gehen. Das will keiner riskieren. Denn für alle ist das bestehende System bei weitem nicht so schlecht, wie es von Wahlkämpfern und Lobbyisten geredet wird.

Das heißt nicht, dass es keine Reformen mehr geben sollte; beileibe nicht. Jedoch sollten die politischen Akteure die Versprechen einer Totalreform aufgeben und sich stattdessen auf Verbesserungen am Bewährten konzentrieren: auf immerwährende Feinabstimmung, lokal und zeitlich begrenzte Experimente, das vorsichtige Einbauen von Wettbewerbselementen an vielen Stellen. Das alles geschieht bereits, könnte aber noch konsequenter betrieben werden. Für den Minister heißt das, immer wieder den gleichen Stein den gleichen Berg hochzustemmen. Das ist harte, undankbare Arbeit. Wahlen gewinnt man damit nicht, und die Akteure im System verärgert man auch. Ulla Schmidt hat mal gesagt: "Gesundheitsminister ist immer Torte im Gesicht." Und so wird das bleiben.

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