Gesundheitspolitik: Zusatzbeiträge:Die Flucht, die wenig bringt

Abzockende Krankenkassen verlieren scharenweise Mitglieder, doch etliche Versicherte sind leidensfähig - sie wechseln einfach nicht. Müsste sich die Politik nicht einmal fragen, woran das liegt?

Johannes Aumüller

Wer dem deutschen Verbraucher gegenüber wohlwollend urteilen will, kann ihn als treue Seele charakterisieren; wer es kritisch mit ihm meint, sieht in ihm einen etwas faulen und hörigen Dienstleistungsempfänger. Auf jeden Fall wechselt der deutsche Verbraucher nicht gerne: Gerade mal fünf Prozent der Bevölkerung zählen Erkenntnissen von Sozialwissenschaftlern zufolge zu den "Wechselwählern", denen der Schreibkram bei einem Anbieterwechsel nicht zu viel ist und die sich auch um günstigere Alternativen bemühen.

Gesundheitsreform startet - Zusatzbeiträge bleiben

Manche Kassen verlangen Zusatzbeiträge - und verlieren deshalb Mitglieder.

(Foto: dpa)

Für die Gesundheitsversorgung müssen die Sozialwissenschaftler ihre Einschätzungen nur ein wenig nach oben korrigieren. Denn die noch von der großen Koalition getroffene Entscheidung, den gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2010 erstmals die Möglichkeiten von sogenannten Zusatzbeiträgen einzuräumen, führte nicht zu einer "Massenflucht" - jedoch durchaus zu einer größer als ursprünglich erwarteten Absatzbewegung.

Alle Kassen, die Extrageld verlangten, verloren in der Zeit von Januar bis Dezember Mitglieder: die BKK Gesundheit zum Beispiel 5,9 Prozent, die DAK 6,6 Prozent und die KKH sogar 8,5 Prozent. Die Versicherer wiederum, die auf Zusatzbeiträge verzichteten, verzeichneten steigende Mitgliederzahlen - allen voran die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK).

Grundsätzlich ist ein solcher Wechselschritt natürlich verständlich. Niemand kann bestreiten, dass diese Entscheidung erst einmal Geld spart. Zumal sich die finanzielle Lage der Krankenkassen etwas gebessert hat und fürs kommende Jahr nicht damit zu rechnen ist, dass es auf breiter Front neue Zusatzbeiträge gibt, sondern lediglich in seltenen Ausnahmefällen.

Gleichwohl stellt sich die Frage: Was ist mit dem Rest der BKK-Gesundheit-, DAK- und KKH-Versicherten? Warum folgten sie nicht denen, die auf die monatlichen Zusatzkosten von acht, zwölf oder gar 37,50 Euro verzichten wollen? Ist es wirklich nur der lästige Schreibkram? Oder nicht vielmehr die Vermutung, dass der finanzielle Vorteil eines Kassenwechsels nur vorübergehend und/oder nur scheinbar existieren dürfte?

Hauptsache, Geld berappen

Erstens haben zwar manche Krankenkassen Garantien abgegeben, 2011 keine Zusatzbeiträge einführen zu wollen - doch wer weiß schon, was von 2012 an gilt? Und zweitens ist die Gesundheitspolitik nun einmal etwas anderes als zum Beispiel die Telekommunikationsbranche.

Bei Letzterer kann der Verbraucher noch relativ eindeutig erkennen, für welchen Preis er welches Produkt erhält und ob ihm das einen Wechsel wert ist. Bei der Gesundheit hingegen stellt sich zwischen dem - nun schon wieder um 0,6 Prozent erhöhten - allgemeinen Arbeitnehmeranteil und den von 2011 an nicht mehr nach oben gedeckelten Zusatzbeiträgen, den Gebühren für den Arztbesuch und der Zusatzversicherung für die Zahnfüllung, den Extrakosten für einen Krankenhaus-Aufenthalt und den Zuzahlungen für Medikamente das Gefühl ein: Egal, wie das Instrument nun heißt, im Kern geht es darum, für den großen undurchsichtigen Topf namens Gesundheit Geld zu berappen.

Bloßes Herumdoktern

Und das Schlimme ist: Dieses Gefühl ist zu einem Teil ja auch richtig. Die demographische Entwicklung und der medizinische Fortschritt machen das Gesundheitssystem teurer - um Milliarden von Euro. Es gibt nur kaum einen Politiker, der a) den Mut hat, das so deutlich zu formulieren, und b) daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Durch das Herumdoktern an Dingen wie den Zusatzbeiträgen wird das deutsche Gesundheitswesen jedenfalls nicht genesen. Da bedarf es schon tiefergreifender Korrekturen, muss es um Dinge wie eine angemessene Einbeziehung der derzeit privat versicherten Arbeitnehmer und aller Vermögen gehen.

Der deutsche Verbraucher wechselt vielleicht nicht gerne. Das Gesundheitssystem als solches würde er jedenfalls gerne mal wechseln.

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