Jens Spahn im Interview:"Die Wartezeiten sind inakzeptabel"

Vierbettzimmer und elend lange Wartezeiten: Die medizinische Versorgung in Deutschland ist ausbaufähig. Der CDU-Gesundheitsexperte Spahn plädiert für massive Änderungen.

Guido Bohsem

Vor kurzem wurde Jens Spahn als Nachwuchspolitiker 2010 ausgezeichnet - ein etwas niedlicher Titel für den 30-jährigen 1,91-Meter-Mann, der für die Unionsfraktion die Geschäfte in der Gesundheitspolitik führt, dem wohl am härtesten umkämpften Politikfeld. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit Spahn über gute Versorgung und die Frage, warum Kassenpatienten in der Klinik bald ruhiger schlafen könnten.

Krankenkassen wollen Aerzte-Honorare um 2,5 Prozent kuerzen

"Wir sollten Mediziner besser bezahlen, die in schlecht versorgten Gebieten arbeiten. Die leisten oft einen Wahnsinnsjob", sagt CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn.

(Foto: ag.ddp)

Süddeutsche Zeitung: Ist die medizinische Versorgung in Deutschland wirklich so schlecht?

Jens Spahn: Nein! Wie kommen Sie denn darauf?

SZ: Weil die Koalition 2011 ein eigenes Gesetz auf den Weg bringen will, um sie zu verbessern...

Spahn: Unsere medizinische Versorgung ist ausgezeichnet. Sie ist als Ganzes gesehen wahrscheinlich die beste auf der Welt. Dennoch gibt es Probleme, und die wollen wir lösen.

SZ: Glaubt man den Umfragen, wird das Vertrauen in das Gesundheitssystem von Reform zu Reform schlechter. Die Leute haben den Eindruck, es wird teurer, aber nicht besser - so auch bei der jüngsten Reform.

Spahn: So eine Finanzreform ist eine abstrakte Sache mit vielen komplizierten Details. Das ist nicht immer leicht verständlich. Sie war notwendig, um unser gutes System auf eine sichere Grundlage zu stellen. Das war die Pflicht, das Versorgungsgesetz soll die Kür werden.

SZ: Aber auch da wird es doch wieder nur darum gehen, wie viel Geld die Akteure des Systems in Zukunft bekommen werden - egal ob es sich um die niedergelassenen Ärzte oder um die Krankenhäuser handeln wird.

Spahn: Aus meiner Sicht ist es das wichtigste, dass die Patienten direkt und unmittelbar von den Veränderungen profitieren. Kliniken und Ärzte haben in den vergangenen zwei Jahren insgesamt 8,5 Milliarden Euro zusätzlich bekommen. Das ist eine Riesensumme und die muss sich jetzt in einer besseren Versorgung bemerkbar machen.

SZ: Dann nennen Sie mal Beispiele. Kriegen Kassenpatienten bessere Krankenhaus-Betten?

Spahn: Die Betten sind für Privat- und Kassenpatienten die gleichen. Kassenpatienten müssen aber in vielen Fällen noch zu viert in einem Zimmer liegen. Das wird den Bedürfnissen der Menschen einfach nicht mehr gerecht, das ist etwa für einen Krebspatienten eine ziemliche Zumutung.

SZ: Zweibettzimmer sind in der Regel für Privatpatienten vorgesehen, weil deren Kassen dafür lukrative Aufschläge zahlen. Das dürfte einen Aufschrei geben.

Spahn: Es geht nicht darum, wer am lautesten schreit. Die Liegezeiten und die Bettenzahlen sind in den vergangenen zehn Jahren deutlich gesunken. Die meisten Krankenhäuser könnten ohne Probleme auf Zweibettzimmer umstellen. Dazu müssen wir Anreize geben.

SZ: Wer nur noch Zweibettzimmer anbietet, bekommt mehr Geld?

Spahn: Nein, umgekehrt. Wer noch Vierbettzimmer anbietet, bekommt dann weniger Geld.

Was ein gutes Krankenhaus ausmacht

SZ: Kann man daran künftig ein gutes Krankenhaus erkennen - an der Bettenzahl pro Zimmer?

Spahn: Daran und an vielen anderen Dingen. Die Menschen müssen mehr über die Qualität einzelner Ärzte und Krankenhäuser erfahren können. Wer ist der beste Arzt vor Ort, welches ist das beste Krankenhaus. Dabei geht es oft um sehr einfache Dinge.

SZ: Zum Beispiel?

Spahn: In Deutschland ist die Zahl der Patienten, die sich im Krankenhaus eine schwere Infektion durch Krankenhauskeime zuziehen, viel größer als in den Niederlanden. Da müssen wir was tun. Wir brauchen einen Wettbewerb der Kliniken, bei dem es darum geht, die wenigsten Infekte zu haben.

SZ: Wie soll das gehen?

Spahn: Indem wir den Krankenhäusern vorschreiben, die Zahl dieser Infektionen zu veröffentlichen, im Internet und am Eingang des Krankenhauses.

SZ: Die Fachausdrücke für die Krankheiten versteht doch keiner...

Spahn: Diese Information muss in einer allgemein verständlichen Sprache abgefasst werden. Der Patient soll sich selbst ein Bild machen können. Ich stelle mir ein Formular vor, das überall gleich aussieht und eine Gesamtnote enthält. Wer wenig Keime hat, kriegt fünf Sterne, wer viele hat nur einen oder keinen. Es sollte möglich sein, so ein Keimregister innerhalb eines Jahres aufzubauen.

SZ: Manche Kassenpatienten vermuten eine Zweiklassenmedizin, wenn sie in der Arztpraxis länger warten müssen als privat Versicherte. Termine bei einem Facharzt zu bekommen, dauert mitunter Monate. Gehen Sie da auch ran?

Spahn: Die Wartezeiten sind meist eine Frage der Organisation. Ich finde, zu einer gut geführten Arztpraxis gehört auch, dass Termine eingehalten werden. Wenn ein Patient für zehn Uhr bestellt ist, sollte er nicht erst um halb eins drankommen. Wir haben den niedergelassenen Ärzten in den vergangenen zwei Jahren sehr viel mehr Geld gegeben. Das muss sich auch hier auswirken.

Gute Versorgung auf dem Land

SZ: Wenn man mal einen Facharzttermin hat, lohnt sich auch das Warten...

Spahn: Sie dürfen nicht alle Fachärzte über einen Kamm scheren. So gibt es beispielsweise zu wenig Neurologen. Da sind Termine verständlicherweise nur schwer zu kriegen. Bei anderen Fachärzten müssen wir offenbar deutlich machen, dass ihr Schwerpunkt bei der Behandlung von Kassenpatienten liegt. Die Kassen müssen hier aktiver werden und verbindliche Absprachen mit den Ärzten treffen, damit ihre Versicherten zeitnah Termine erhalten. Mehr als zwei, drei Wochen Wartezeit sind inakzeptabel.

SZ: Das dürfte für Kassen mit Versicherten schwierig werden in Gebieten, wo es zu wenig Ärzte gibt.

Spahn: Stimmt. In Zukunft müssen deshalb die Ärzte in sehr dünn besiedelten Gebieten zu den Patienten kommen - in mobilen Arzt-Stationen beispielsweise. Montags fährt dann der Orthopäde vor, dienstags der Urologe, mittwochs der Augenarzt. Unter Umständen können auch die örtlichen Krankenhäuser diesen Service anbieten. Wir müssen hier die Grenze zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken aufbrechen.

SZ: Ist gute Versorgung, etwa auf dem Land, auch eine Frage des Honorars?

Spahn: In manchen Fällen schon. Wir sollten Mediziner besser bezahlen, die in schlecht versorgten Gebieten arbeiten. Die leisten oft einen Wahnsinnsjob. Beispielsweise könnten die Regresse und Abschläge abgeschafft werden, um die ihr Honorar ab einer bestimmten Summe gemindert wird. Und in überversorgten Gebieten, könnte durch Aufkauf die Zahl der Arzt-Sitze gesenkt werden.

SZ: So eine Regelung kann aber leicht ausgenutzt werden, indem die Mediziner Leistungen aufschreiben, die sie gar nicht erbracht haben.

Spahn: Die beste Kontrolle erfolgt da durch den Patienten selbst. Er hat ein Recht auf Transparenz über die Kosten. Hier könnte das Lieferscheinprinzip helfen. Der Arzt legt dem Patienten eine Übersicht über die erbrachten Leistungen vor, und erst wenn dieser sie ihm quittiert hat, kann der Arzt abrechnen.

SZ: Und bis wann wollen Sie das alles hinkriegen?

Spahn: Ich bin Optimist. Bis Ostern sollten wir Eckpunkte haben und bis Ende 2011 durch sein.

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