Gesundheitsfonds:Die Herren der Umverteilungsmaschine

Der Gesundheitsfonds hat viele Gegner: Wissenschaftler, Kassenvorstände, Lobbyisten. Ein Besuch im Bundesversicherungsamt, das den Fonds verwaltet.

G. Bohsem

Hier also schläft ein bürokratisches Monster: Ein Büro, etwa 15 Quadratmeter groß, weiße Wände. Rechts reingequetscht ein Konferenztisch mit sieben Stühlen, links ein Arbeitsplatz mit Computer, dazwischen eine Yukka-Palme. Vom Fenster aus kann man den platten Hügel betrachten, den die Bonner Venusberg nennen. Hier soll also der berüchtigte Gesundheitsfonds verwaltet werden? Irgendwie enttäuschend.

Operationssaal, AP

Der Gesundheitsfonds ist für die Gegner schon jetzt ein bürokratisches Monster. Für Kliniken ist er überlebenswichtig - denn mit dem Fonds kommt das Geld in die Krankenhauskasse.

(Foto: Foto: AP)

"Was hatten Sie erwartet", fragt Bernd Marschewski, der in diesem Zimmer sitzt und den man mit Fug und Recht als Herrn des Fonds bezeichnen kann. Gute Frage. Mehr natürlich. Einen gigantischen Verwaltungskomplex vielleicht, gilt der Gesundheitsfonds doch als undurchschaubare Umverteilungsmaschine. Hatte es nicht Anfragen von Abgeordneten des Bundestages gegeben, den Fonds in ihrem Wahlkreis anzusiedeln? In stillgelegter Kasernen? Ein Rechenzentrum mit Großcomputern und dicken Daten-Leitungen - das wäre das Mindeste gewesen für ein Vorhaben, das seit mehr als zweieinhalb Jahren für erbitterten Streit in der Politik und im Gesundheitswesen sorgt und das die Arbeitsweise der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umwälzen wird wie kein anderes in ihrer 125-jährigen Geschichte.

Fehlanzeige. In diesem kleinen, unscheinbaren Büro im Bundesversicherungsamt auf dem Weg von Bonn nach Bad Godesberg, soll es Anfang 2009 starten, das letzte große Projekt der großen Koalition. Ein Projekt, von dem manche befürchten, es könne ein solches Chaos auslösen wie die Umstellung von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe auf HartzIV. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihr politisches Geschick an den Fonds gebunden, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ebenso. Merkel machte ihren CDU-Parteifreund, den ehemaligen saarländischen Gesundheitsminister Josef Hecken, vor allem deshalb zum Chef der Bonner Behörde, um eine reibungslose Umsetzung des Gesundheitsfonds zu gewährleisten. Im Bundesversicherungsamt arbeiten insgesamt 21 Leute daran.

155 Milliarden auf dem Konto

Der Fonds hat viele Gegner, ja sogar Feinde. Es sind Wissenschaftler, Kassenvorstände, Ärztevertreter und Krankenhaus-Lobbyisten. Einige von ihnen versammelten sich am vergangenen Dienstag in Berlin auf Einladung von FDP und Grünen zu einem mehrstündigen Expertengespräch. Es gab Schnittchen und Plunderteilchen und die einhellige Auffassung, dass der Fonds ins Chaos führt - selbst wenn er kein bürokratisches Monster ist. Sie warnen vor steigenden Beiträgen für Mitglieder von sehr günstigen Kassen. Sie prognostizieren einen Wettbewerb unter den Kassen, der auf Kosten der Versicherten geht, eine schlechtere Versorgung auslöst. Der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr bietet sogar Wetten an, dass der Fond doch nicht zum Jahresanfang eingeführt wird. Auch unter den Gesundheitsexperten der großen Koalition gibt es kaum jemanden, der den Fonds noch für sinnvoll hält, öffentlich darüber reden will kaum einer.

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Die Herren der Umverteilungsmaschine

Bernd Marschewski ist 39 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Kinder. Als Hintergrundmotiv auf seinem Computerschirm hat er das Bild einer karibischen Insel gespeichert. Von diesem Rechner aus wird er im kommenden Jahr etwa 155 Milliarden Euro überweisen. Das ist ein Zahl mit zwölf Stellen. Es ist das Geld, mit dem Operationen in den Krankenhäusern bezahlt werden und Medikamente. Geld, mit dem die Honorare der niedergelassenen Ärzte beglichen werden. Vom 1.Januar an hat Marschewksi Zugriff auf alle Einnahmen, die die gut 210 Krankenkassen in Deutschland erzielen. Er sieht das gelassen. "Ich habe mich inzwischen an die Vorstellung gewöhnt, im nächsten Jahr mit dem vielen Geld umzugehen", sagt er.

Wie beim Online-Banking

Der Fonds ist im Prinzip nichts anderes als ein Gemeinschaftskonto der GKV. Es hat eine Kontonummer und wird bei der Bundesbank geführt. Als Leiter des Referats VII 3 ist Marschewski so etwas wie der Haushaltsvorstand, der den Topf verwaltet.

Nach einem festgesetzten Schlüssel überweist er das Geld zurück an die Kassen. Das geht wie beim Online-Banking: Er meldet sich mit seinem Computer auf der Internet-Seite des Fonds an und gibt ein Kennwort ein. Dieser Befehl aktiviert ein Gerät, das so aussieht wie ein EC-Kartenleser an der Supermarkt-Kasse. Marschewski muss die Karte reinstecken und eine PIN eingeben. Dann kann er zum Beispiel 30 Millionen Euro an die AOK in Bayern überweisen oder 20 Millionen Euro an die Barmer. Ein anderer Kollege muss die Überweisung bestätigen, das war's. Ist einmal zu wenig Geld auf dem Konto, sorgt der Bund kurzfristig für einen Ausgleich. "Wie eine Oma, die der Familie im Notfall aushilft", sagt Marschewski.

Dirk Göpffarth sitzt nur ein paar Meter von Marschewski entfernt. Er leitet das Referat VII 2, "Risikostrukturausgleich" (RSA). Weil RSA auch die Abkürzung für "Republic of South Africa" ist, ziert die südafrikanische Flagge die Namens-Schilder der Büros. Wenn Marschewski der Auszahler des Fonds ist, dann ist Göpffarth der Verteiler. Er stellt die Formel zusammen, nach der bestimmt wird, wie viel die einzelnen Kassen übers Jahr bekommen. Kassen mit gesunden Gutverdienern geben einen Teil an Kassen mit vielen alten und einkommensschwachen Menschen ab. Das System gibt es schon seit 1994. Startet der Gesundheitsfonds, soll ein weiteres Verteilungs-Kriterium hinzukommen, der Gesundheitszustand der Versicherten. Göpffarths und Marschewski haben alles zigmal durchgespielt und geprüft. Sie sind sich sicher: "Alles wird klappen. Ein Chaos bei der Umstellung wird es nicht geben."

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