Gestiegene Steuereinnahmen:Was braucht der Staat?

Bislang sind in Deutschland neun von zehn Euro in die Vergangenheit geflossen, nur ein Euro wurde in die Zukunft investiert. Eine solche Budgetstruktur muss langfristig in die Katastrophe führen. Deshalb ist es notwendig, Prioritäten neu zu definieren.

Claus Hulverscheidt

Es ist, als habe irgendjemand einfach den Schalter umgelegt: Haushaltslöcher verwandeln sich in Überschüsse, Minder- in Mehreinnahmen, Arbeitslose in Arbeitnehmer. Selbst die notorisch klamme Bundeshauptstadt Berlin, eigentlich ein hoffnungsloser Fall, kündigt für 2008 einen Haushalt ohne Nettokreditaufnahme an. Dem Konjunkturhoch sei Dank.

Gestiegene Steuereinnahmen: Bildung: Eine Investition die sich auch für den Staat lohnt.

Bildung: Eine Investition die sich auch für den Staat lohnt.

(Foto: Foto: AP)

Es ist die Zeit der guten Nachrichten und der frohen Botschaften. Schon sitzen die Verteilungspolitiker des Landes wieder in den Talkshows und überbieten sich mit Ideen, wie die rund 200 Milliarden Euro, die der Staat bis 2011 angeblich mehr in der Kasse haben wird, ausgegeben werden könnten: Der Verteidigungsminister will Kasernen sanieren, die SPD verspricht den Studenten mehr Bafög, die Entwicklungshilfeministerin verlangt mehr Geld für Afrika.

Die Politik ist damit auf dem besten Wege, die Fehler der achtziger Jahre zu wiederholen. Auch damals wurde im Aufschwung das Geld mit der Gießkanne verteilt. Viele Spaßbäder, die etwa die westdeutschen Städte damals bauten, rotten heute vor sich hin.

Es gäbe also Anlass genug, einmal innezuhalten und grundsätzlich zu werden: Wie viel Geld braucht der Staat? Gibt er es für die richtigen Dinge aus? Und woran bemisst sich eigentlich der Erfolg der Haushaltspolitik?

Wie es bisher läuft, zeigt ein Blick auf das letzte Jahr. 2006 beliefen sich die sogenannten konsumtiven Ausgaben des Bundes auf 238 Milliarden, die investiven auf knapp 23 Milliarden Euro. Vereinfacht gesagt bedeutet das: Neun von zehn Euro flossen in die Vergangenheit, einer in die Zukunft.

Mehr junge Menschen müssen besser ausgebildet werden

Es dürfte nicht schwerfallen zu begreifen, dass eine solche Budgetstruktur angesichts einer alternden Gesellschaft langfristig in die Katastrophe führen muss.

Deshalb ist es notwendig, Prioritäten zu definieren: Vorrangig ist alles, was in der Zukunft eine Rendite abwirft und das Wachstumspotenzial der Wirtschaft erhöht.

Dazu müssen junge Menschen besser ausgebildet werden, Mütter und Väter benötigen mehr Kinderbetreuungsangebote und flexiblere Arbeitszeiten, die Grundlagenforschung muss ausgeweitet werden.

Als Export- und Transitland ist Deutschland aber beispielsweise auch auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen, also etwa auf Straßen ohne riesige Krater. Das zeigt, dass man mit simplen Politikersprüchen wie dem, dass der Staat künftig statt in Beton in die Köpfe der Menschen investieren müsse, nicht weiterkommt.

Was braucht der Staat?

Wer aber Vorrangiges definiert, muss auch sagen, was nachrangig ist. Davor hat sich die Politik bisher stets gedrückt. Nachrangig ist all das, was einfach konsumiert wird. Größter Brocken ist dabei der Bundeszuschuss zur Rentenkasse, der 2006 mit 77 Milliarden Euro die kompletten Mehrwertsteuereinnahmen des Bundes auffraß.

Dieser Block wird zwar nie wieder aus dem Haushalt verschwinden, weil niemand ernsthaft die Renten kürzen will. Umso wichtiger ist es aber, mit Reformen wie der Rente mit 67 dafür zu sorgen, dass der Anteil an den Gesamtausgaben zumindest nicht weitersteigt.

Rücklagen in guten Zeiten

Interessanter sind die nächstgrößeren Posten: die Bundesschuld und die Arbeitsmarktausgaben. Vor allem die Ausgaben für Zinsen, die sich 2006 auf fast 38 Milliarden Euro beliefen, sind mit Blick auf die Zukunft verschenktes Geld. Sie müssen deshalb zumindest anteilsmäßig sinken, indem die Nettokreditaufnahme rasch auf null reduziert wird.

In der Arbeitsmarktpolitik sollte die Nürnberger Bundesagentur vom Bundeshaushalt abgekoppelt werden: Sie könnte in guten Zeiten wie gegenwärtig Rücklagen bilden, die in der nächsten Wirtschaftsflaute aufgebraucht werden. Ist kein Geld mehr da, müsste sie Kredite aufnehmen.

Eine andere Haushaltsstruktur aber reicht nicht, vielmehr geht es auch um eine bessere Budgetqualität. Heute bemessen sich Erfolg und Misserfolg in den Haushaltsverhandlungen vor allem daran, ob ein Fachminister dem Chef des Finanzressorts mehr Geld abverhandelt hat, als der zu geben bereit war.

Künftig muss es dagegen um die Frage gehen, was mit dem eingesetzten Geld eigentlich erreicht wurde. Beispiel Bildung: Deutschland gibt hier schon heute nicht weniger aus als andere große Industrieländer, die Ergebnisse - Stichwort: Pisa - sind aber schlechter. Woran liegt das? Und hilft es angesichts dieser Ergebnisse, einfach noch mehr Geld in die Hand zu nehmen?

Beseitigung der dringendsten Altlasten

Am Beginn jeder Finanzplanung muss jedoch eine ehrliche Bestandsaufnahme stehen. Für die aktuelle Diskussion bedeutet das: Hat Steinbrück recht, dann stehen dem Bund bis 2011 zwar etwa 90 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. 50Milliarden davon sind aber längst verplant. Allein der Bundeszuschuss an die Krankenkassen wird den Minister bis 2011 weitere 19 Milliarden Euro kosten.

Statt 90 können also nur 40 Milliarden Euro verteilt werden. Zwei Drittel davon sollten in die Senkung der Neuverschuldung fließen. Der Rest könnte für den Ausbau der Krippenplätze und die Beseitigung der dringendsten Altlasten verwendet werden.

Denn bei allen Sparnotwendigkeiten: Es ist nicht menschenwürdig, wenn Soldaten in verschimmelten Kasernen schlafen müssen. Die Debatte um die Verteilung von Überschüssen wäre damit erledigt. Die um die richtigen Ziele beginnt erst.

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