Generationenübergreifendes Wohnen :Ein Miteinander mit klaren Regeln

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Wohnprojekte, die gezielt Alt und Jung vereinen,  sind deutschlandweit im Kommen. Vor allem Baugenossenschaften setzen auf das Konzept. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit.

Von Johanna Pfund

Was tun, wenn die Druckerpatrone spätabends ihren Dienst versagt, was, wenn keine Betreuung für das Kind zu finden ist oder die Nachbarin aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Einkaufen gehen kann? Man hilft sich gegenseitig - ganz wie im gallischen Dorf von Asterix und Obelix oder früher in der Großfamilie. In einer Zeit, in der viele Familien fern von den Großeltern leben, die Zahl der Senioren wächst und der Ein-Personen-Haushalt zur häufigsten Wohnform geworden ist, erlebt das Modell der Großfamilie - übertragen auf ein Haus, eine Anlage oder gar ein Viertel - eine Renaissance in Wohnprojekten quer durch die Republik. Es ist ein Trend. Aber keiner mit Erfolgsgarantie, denn das Modell steht und fällt mit dem Engagement der Bewohner.

"Das Mehr-Generationen-Wohnen ist eine schöne Sache für die eigene Einbettung in eine Gemeinschaft", sagt Martin Okrslar. Er lebt seit Jahren in einem Mehr-Generationen-Wohnprojekt und gründete nach einigen Jahren Arbeit in der freien Wirtschaft die Maro Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen. "Die Gemeinschaft, in der man die anderen Leute nicht nur als Nachbarn, sondern auch als Mensch kennt, ermöglicht erst vieles", sagt Okrslar.

Dabei ist seiner Ansicht nicht jede Art der Wohnnutzung ideal. Am besten funktioniere das Gemeinschaftsprinzip in einer Genossenschaft, findet Okrslar: "In Genossenschaften finden sich eher die Leute, die ihren persönlichen Vorteil dem genossenschaftlichen Zweck unterordnen." In Eigentümergemeinschaften werde dagegen eher einmal die Frage diskutiert, ob beispielsweise der Strom aus dem Gemeinschaftsraum fürs Autosaugen verwendet werden darf. "So etwas spielt doch keine Rolle, das ist eine Denkweise, die in gemeinschaftliche Wohnprojekte nicht passt." Der Vorteil einer Genossenschaft: Alle Bewohner, die in der Regel lebenslanges Wohnrecht bekommen, müssen Anteile an der Genossenschaft zeichnen, und das sind oft mehrere Zehntausend Euro. Die Investition ist groß, und so fühlen sich alle für "ihr" Haus zuständig.

In Oberbayern hat die Maro Genossenschaft Erfolg mit ihrem Konzept - viele Gemeinden im Speckgürtel der Millionenstadt München legen mittlerweile Wert darauf, den Bürgern Alternativen zum überteuerten Wohnen bieten zu können. In München selbst gibt es einige Wohnbaugenossenschaften, die den Mehr-Generationen-Ansatz verfolgen. Die Wohnbaugenossenschaft Wagnis hat in der Stadt mehrere solche Projekte verwirklicht, etwa in Nähe des Olympiageländes. Die Genossenschaft Frauenwohnen hat speziell für Frauen in Riem ein Projekt entwickelt. Der Gedanke des gemeinschaftlichen Wohnens hat natürlich nicht nur in München, sondern überall in Deutschland Anhänger: Tübingen und Freiburg haben viele Gemeinschafts-Wohnprojekte. In Bonn hat sich die Villa Emma dem Mehrgenerationenwohnen verschrieben, es gibt zum Beispiel einen gemeinsamen Mittagstisch für die Bewohner des Gebäudes mit elf Wohnungen. Die Bewohner sind zwischen 24 und 92 Jahren alt. Auch in Hamburg ist generationenübergreifendes Wohnen seit Jahren ein Thema, erklärt Tobias Behrens, Geschäftsführer der Stattbau Hamburg GmbH, die Projektentwicklung und Baubetreuung übernimmt oder soziale Stadtentwicklung fördert. "Wir planen beispielsweise ein Bauprojekt mit einer Gruppe junger Familien, deren Eltern alle weit außerhalb Hamburgs leben. Die wollen in ihrem Wohnprojekt gezielt zwei Wohnungen für ältere Menschen freihalten, die eventuell als Oma-Opa-Ersatz dienen können."

Im Grunde aber ist das generationenübergreifende Wohnen, also in einer Wohnung zu leben und gleichzeitig Teil einer definierten Gemeinschaft zu sein, immer noch eine Sonderwohnform, wie Claus Wedemeier, Referatsleiter Demografie und Digitalisierung beim GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs-und Immobilienunternehmen) erläutert. Ausgangspunkt sei überwiegend die Wohnversorgung älterer Menschen, für die gezielt versucht werde, jüngere Mitbewohner in der Umgebung anzusiedeln. Der GdW hat eine Umfrage zum Thema "Sharing" gemacht, um einen Überblick über die Kultur des Teilens in Wohngebäuden und -vierteln zu bekommen. Wenig überraschend war, dass Grünflächen oder Waschräume oft gemeinschaftlich genutzt werden. Mehrgenerationenprojekte hingegen sind die Ausnahme, nur 50 wurden in der nicht repräsentativen Umfrage genannt. Meist wurden sie von Unternehmen initiiert, die zwischen 100 und 1000 Wohnungen in ihrem Portfolio haben. An weiteren verlässlichen Zahlen fehlt es, doch der Trend ist laut Wedemeier sichtbar: "Mehr-Generationen-Projekte haben eine steigende Verbreitung."

Die Gründe liegen auf der Hand: Die Großfamilie gibt es kaum noch, das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt. Je länger ältere Menschen in ihrem Umfeld bleiben können, umso besser. Ein Umstand, den die Bundesländer auf ihrer Rechnung haben. "Generationenübergeifende Wohnformen bieten einen idealen Rahmen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter", erklärt das bayerische Sozialministerium, das im Mai 2017 erstmals den Innovationspreis "Zu Hause daheim" vergeben hat.

"Einen Automatismus, nach dem Jung immer Alt hilft, den gibt es nicht."

Auch die horrenden Preise für Wohnen sind ein Argument für gemeinschaftliche Projekte. "Die Frage lautet, wie können wir uns davor retten? Am schlauesten ist, man baut in Gemeinschaft, und das führt zur Auferstehung der alten Tante Genossenschaft", sagt Josef Bura, Vorsitzender des Forums für gemeinschaftliches Wohnen. Auch im Eigentum könne das funktionieren; das Problem: Wenn Eigentümer oder Erben verkaufen oder vermieten wollen.

Wobei Bura vor Romantik warnt. Gemeinschaftliches Wohnen sei ein "Geschäft auf Gegenseitigkeit". Das bedeutet, am besten nicht zusammen mit Freunden ein Wohnprojekt zu gründen - das endet erfahrungsgemäß oft im Streit. Das bedeutet auch, auf größere Gemeinschaften zu setzen, in denen man Nachbarschaftskonflikten besser ausweichen kann. Zudem kommt es auf Ausgewogenheit und Rücksicht an. "Im Zusammenleben kann man die Risiken des Alters dämmen, aber einen Automatismus, nach dem Jung immer Alt hilft, den gibt es nicht. Ein Ausgleich ist immer nötig", sagt Bura. Auch entstehe ein Risiko mit den Jahren. Dann, wenn die Alten älter und aus Kindern Jugendliche werden, die selten so putzig sind wie Kleinkinder. "Wie das Zusammenleben funktioniert, das hängt ein Stück weit davon ab, wie sich die Menschen darauf einlassen."

Doch es müssten noch viel mehr gemeinschaftliche Projekte werden: "Es ist notwendig, sich auf den demografischen Wandel einzustellen - anderenfalls wird es schlimm", prognostiziert Bura. Es gebe aber Chancen, das zu tun, nämlich mit anderen Grundstücks- und Wohnkonzepten. "Bei den derzeitigen Preisen hat das Soziale keine Chance."

© SZ vom 30.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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