Freundschaft zwischen Arm und Reich:Eine Frage des Geldes

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Was tun, wenn die Freundinnen essen gehen und Cocktails trinken wollen, aber das eigene Budget nicht reicht? Manche Freundschaften halten solche Asymmetrien besser aus als andere.

Von Kathleen Hildebrand

Irgendwann sagte sie nur noch ab. Wenn ihre Freundinnen anriefen und mit ihr essen gehen wollten, Cocktails trinken in der Stadt, dann sagte Hanna Siebert: "Keine Zeit, zu viel zu tun", so was eben. Stressfloskeln, bei denen Karrieremenschen wie ihre Freundinnen nicht nachfragten - klar, kenn' ich, sagten die. Dann eben beim nächsten Mal. Das nächste Mal aber war für Hanna Siebert keine Frage der Zeit. Es war eine Frage des Geldes. Denn das hatte sie nicht mehr.

Das war lange anders gewesen. Nach ihrem BWL-Studium arbeitete Hanna Siebert, die eigentlich anders heißt, ein paar Jahre in einer großen deutschen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und verdiente gut. Doch dann, mit 28, warf sie von heute auf morgen alles hin. Sie machte sich selbständig und gründete ein kleines Unternehmen, das Werbemittel vertreibt. Für die ersten Aufträge musste sie in Vorleistung gehen, sich langsam einen Kundenstamm aufbauen - rein kam da erst mal nichts. Damit hatte sie gerechnet. Doch dass das ihre Freundschaften belasten könnte, damit nicht.

Nach und nach schmolzen Hanna Sieberts Ersparnisse dahin, irgendwann kam die Existenzangst. Als die zu groß wurde, nahm sie ein Praktikum in einem Verlag an. Monatsgehalt: 600 Euro. Ihre Freundinnen aus dem Studium blieben derweil in ihren gut bezahlten Beraterjobs, stiegen auf, verdienten immer mehr. Weil sie wussten, wie es finanziell um ihre Freundin stand, bezahlten sie die Flasche Wein im Restaurant auch mal allein oder besuchten sie zu Hause. "Die waren total nett", sagt Hanna Siebert, "aber auf die Dauer ist das einfach blöd." Anfangs lud sie die anderen noch zu sich nach Hause ein. Aber nach und nach fiel sie aus ihrem Freundeskreis heraus.

"Den Reichen stört das nicht"

Wenn wohlhabende und Menschen mit wenig Geld befreundet sind, dann bleibt es meistens nicht nur bei dem Ungleichgewicht auf dem Kontostand. Einer fühlt sich unwohler als der andere - und fast immer ist es der finanziell Unterlegene. Der, der nicht mit kann ins teure Restaurant oder auf den gemeinsamen Wochenendtrip. Oder die, die immer dazu eingeladen wird. "Den Reichen stört das nicht", sagt Horst Heidbrink, Psychologiedozent an der Fernuniversität Hagen und einer von sehr wenigen Wissenschaftlern, die zum Thema Freundschaft forschen. "Der Reiche kommt sich fürsorglich vor. Aber der Ärmere hat das Gefühl, dass er besonders nett sein muss." In engen Zweierfreundschaften könne man das Problem ansprechen, findet Heidbrink. In größeren Freundeskreisen jedoch sei das schwierig.

Ein trubeliger Münchner Altstadt-Italiener, ein Jahr nach der letzten Cocktailabend-Absage an ihre Freundinnen, Hanna Siebert bestellt einen Salat mit Avocado und Flusskrebsen. Damals, als sie in prekärer Arbeit versank und langsam vereinsamte, wäre das undenkbar gewesen. Doch sie hatte Glück: Nach knapp zwei Jahren Unsicherheit war ihre finanzielle Durststrecke vorbei. Heute arbeitet sie in einer Führungsposition in jenem Verlag, bei dem sie damals das schlecht bezahlte Praktikum machte, ihr Werbeunternehmen leitet sie nebenbei. Und ihre Freundinnen trifft Hanna Siebert wieder. "Mich wollte ja niemand rausdrängen damals", sagt sie. "Eigentlich hatte ich selbst das größte Problem mit der Situation."

Wenn die Balance fehlt, dann belastet das viele Freundschaften. In Aristoteles' philosophischem Lebensratgeber, der Nikomachischen Ethik, steht ein sicher gut gemeinter Tipp: In Freundschaften zwischen "Ungleichen" solle der Unterlegene die Asymmetrie in der Beziehung durch ein höheres Maß an Zuneigung ausgleichen. So werde zwischen den ungleichen Freunden wieder Gleichheit hergestellt. Und Gleichheit und Übereinstimmung - das sei Freundschaft. Diesen Tipp würde Horst Heidbrink so nicht geben. Aber auch er hat in seiner Beschäftigung mit dem Thema erkannt, dass das Geben und Nehmen unter Freunden ausbalanciert sein müssen. Und das gilt nicht nur in Geldfragen - "die Währung der Freundschaft kann alles Mögliche sein". Wer zehnmal bei einem Freund anruft, der wartet erst mal ab, bevor es beim nächsten Mal schon wieder er selbst ist, der zum Hörer greift. "Wir führen immer solche kleinen Rechnungen durch und fühlen uns unwohl, wenn wir uns ausgenutzt vorkommen", sagt Heidbrink.

Freundschaften zwischen Arm und Reich sind gar nicht so ungewöhnlich, wie man glauben mag. Für die Jacobs-Studie 2014 hat das Allensbach-Institut 1624 Menschen verschiedenen Alters über ihre Freundschaften befragt. 44 Prozent gaben an, Freunde zu haben, die deutlich wohlhabender seien als sie selbst. Und 41 Prozent sind mit Menschen befreundet, denen es finanziell deutlich schlechter geht. Und doch ist der alte Spruch nicht falsch, nach dem beim Geld die Freundschaft aufhört.

Laut der Studie helfen sich Freunde zwar bei Umzügen und Renovierungsarbeiten, hören zu und geben Rat. Aber größere Geldbeträge haben nur zehn Prozent je von ihren Freunden geliehen bekommen. "Viele haben die Vorstellung, dass so etwas eine Freundschaft belasten könnte", sagt Psychologe Horst Heidbrink. Die meisten würden eher ihre Eltern um Geld bitten, weil Verwandtschaftsbeziehungen nicht in gleichem Maß wie Freundschaften auf Symmetrie beruhen. Trotzdem: "Eine gute Freundschaft kann auch einen Kredit überstehen."

Andrea Brandt würde sagen: Sie kann daran sogar wachsen. Ihren besten Freund Micha kennt die 52-Jährige seit 20 Jahren. Als 1997 Andrea Brandts Beziehung zerbrach, musste sie das Haus, das sie mit ihrem Ex-Partner gebaut hatte, mit Verlust verkaufen. Ihr Freund Micha, Inhaber einer erfolgreichen Werbeagentur, lieh ihr das fehlende Geld, 30 000 D-Mark, damit sie ihren teuren Kredit bei der Bank auslösen konnte. Sie setzten einen Vertrag auf, Andrea Brandts Eltern bürgten. Alles ganz offiziell. Aber Zinsen nahm Freund Micha keine.

"Das Geld habe ich ihm so schnell wie möglich zurückgezahlt", sagt Andrea Brandt - auch sie heißt in Wirklichkeit anders. "Das war mir total wichtig. Ich wollte, dass er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann." Diese Probe, findet sie, hat ihre Freundschaft gestärkt. "Wir sagen mittlerweile oft: Wir werden zusammen alt", lacht sie. Andrea wehrt sich heute auch nicht mehr dagegen, dass Micha eigentlich immer die Rechnung bezahlt, wenn sie zusammen mittagessen und währenddessen nonstop zwei Stunden durchplappern. Und wenn ihr Michas Frau, wie jedes Jahr, den großen Sack voll aussortierter Designer-Kleidung ins Auto packt, dann denkt Andrea Brandt nicht: Was für eine diskriminierende Kleiderspende. Sondern freut sich und lädt ihre Tochter zur Anprobe ein.

Enge Freundschaften halten solche Asymmetrien aus, davon ist Freundschaftsforscher Horst Heidbrink überzeugt. Doch Männer- und Frauenfreundschaften sind unterschiedlich gefährdet. Weil sie sich über verschiedene Aktivitäten definieren. Während Männer mit ihren Freunden Sport treiben oder gemeinsam basteln und schrauben, reden Frauen meistens übers Leben, wenn sie sich mit ihren Freundinnen treffen. "Da ist es deutlich schwieriger, den finanziellen Hintergrund rauszulassen. Man vergleicht sich stärker", sagt Heidbrink. Wenn zwei Männer zusammen Fußball spielen gingen, sei es hingegen egal, ob der eine danach in eine Villa und der andere in eine Plattenbauwohnung führe.

"Was zählt, ist Vertrauen", sagt Horst Heidbrink. Wenn das nicht gerechtfertigt ist - wenn Hilfe verweigert oder Geheimnisse ausgeplaudert werden -, dann zerbrechen Freundschaften, nicht am unterschiedlichen Kontostand. Wer nicht von Eifersucht und Neid zerfressen wird, oder nicht darunter leidet, dass die beste Freundin nicht mit zum Wellness-Urlaub kommt, hat gute Chancen auf eine gelungene Freundschaft zwischen Arm und Reich. Das wusste auch schon Aristoteles. "Die Lösung ist diese", steht bei ihm, "dass der Freund dem Freund Gutes um des Freundes willen wünscht."

© SZ vom 26.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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