Frauen und Finanzen:"Geld ist ein Tabuthema"

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Ist Finanzberatung speziell für Frauen heute noch nötig? Ja, sagt Finanzexpertin Svea Kuschel. Denn die Zeiten, in denen der Ehemann als beste Altersvorsorge galt, sind immer noch nicht vorbei.

Nina Jauker

Svea Kuschel gründete 1986 das erste Finanzdienstleistungsunternehmen für Frauen in Deutschland, das heute 20 Mitarbeiterinnen in drei Büros in München, Hamburg und Berlin beschäftigt.

Finanzberaterin Svea Kuschel (Foto: Foto: oh)

Kuschel hat mehr als 10.000 Kundinnen beraten und mehrere Bücher veröffentlicht, das neueste - den Ratgeber "Geld steht jeder Frau" - gemeinsam mit Geschäftspartnerin Constanze Hintze. Mit sueddeutsche.de spricht sie über Frauenrenten, Finanzgespräche in Ehen und warum Frauen die erfolgreicheren Anleger sind.

sueddeutsche.de: Frau Kuschel, Sie wollten eigentlich mit 63 in Rente gehen. Jetzt arbeiten Sie mit 65 Jahren immer noch. Das hat aber nichts mit finanziellen Problemen bei Ihrer Altersvorsorge zu tun?

Svea Kuschel: Nein, wenn eine Finanzberaterin kein Geld zurückgelegt hätte, dann macht sie irgendetwas falsch. In meinem Fall hängt das glücklicherweise nur damit zusammen, dass ich Freude an meiner Arbeit habe - und Erfahrungen aus mehr als 20 Jahren Beratung nicht am Kochtopf verkümmern lassen will.

sueddeutsche.de: Ist Finanzberatung speziell für Frauen heute noch nötig? Junge Frauen gehen doch nicht mehr von der klassischen Versorgerehe aus, oder?

Kuschel: Doch, das erschreckt mich selbst immer wieder. Ich habe vor mehr als 20 Jahren mal in einer Broschüre geschrieben: Die Zeiten, in denen der Mann als die beste Altersvorsorge gesehen wird, sind endgültig vorbei. Die Statistik beweist, dass es leider nicht so ist. Auch jüngere Frauen sind immer noch stärker als Männer durch Altersarmut gefährdet. Sie erhalten deutlich niedrigere Renten. Das liegt einfach daran, dass Frauen im Schnitt 22 Prozent weniger verdienen und immer noch diejenigen sind, die lange Ausfallzeiten durch Kinderbetreuung haben. Am dramatischsten sieht es bei den Hausfrauen aus: Von ihnen hat heute nur jede Dritte Anspruch auf staatliche Rente.

sueddeutsche.de: Keine Veränderung seit 20 Jahren?

Kuschel: Doch, es gibt einen Lichtblick. Als ich 1986 angefangen habe, ging eine Frau eigentlich nur in dramatischen Situationen zum Finanzberater - bei Trennung, Scheidung, Todesfall. Heute kommen vor allem junge Frauen frühzeitig zu uns, um Finanzpläne aufzustellen.

sueddeutsche.de: Man muss aber doch erst mal etwas besitzen, bevor man großartige Anlagepläne entwerfen kann.

Kuschel: Im Gegenteil: Es ist wenig dramatisch, wenn jemand mehrere Millionen besitzt und verliert mal 10.000. Aber wenn die 10.000 Euro das einzige Vermögen sind, dann sollten sie wesentlich liebevoller behandelt werden. Egal, wie hoch das Vermögen ist - man muss sich darum kümmern.

sueddeutsche.de: Wie sind Sie mit der aktuellen Finanzkrise umgegangen?

Kuschel: Wir haben schon im vorigen Jahr, als sich die Krise abzuzeichnen begann, unseren Kundinnen empfohlen, ihr Aktienrisiko zu reduzieren. Einige haben es dann auf 20 Prozent gesenkt; andere, für die es nicht die erste Krise war, haben abgewartet. Jede Kundin hat den Prozentanteil der Aktien in ihrem Depot mitgeteilt bekommen. Ganz wenige waren bei 100 Prozent, die meisten liegen zwischen 20 und 40 Prozent.

sueddeutsche.de: Und was haben Sie alternativ empfohlen?

Kuschel: Die meisten wollen einen Teil ihres Vermögens in Produkte anlegen, die nicht mit dem Aktienmarkt korrelieren. Da geht es um die Frage, wie viel Risiko man eingehen will.

sueddeutsche.de: Was haben Sie den Anlegerinnen geraten, die bereits Verluste erlitten hatten?

Kuschel: Wenn jemand ein Produkt schon vor Jahren gekauft hatte, war er sich möglicherweise nicht über den hohen Aktienanteil im Klaren. Wir raten dazu - auch wenn die Kurse runtergegangen sind -, sich trotzdem davon zu trennen und in Produkte zu investieren, die einem auf Dauer besser gefallen. Aber nur wegen der Krise jagen wir die Leute nicht aus ihren Fonds.

Auf der nächsten Seite: "Man fragt sich immer, ob sich das je wieder erholt" - Svea Kuschel über den dritten Börsencrash in ihrem Berufsleben.

sueddeutsche.de: Eine grobe Schätzung, wie lange die Krise noch anhält?

Börsenkrisen: Frauen kommen besser raus - wegen ihrer vorsichtigeren Anlagepolitik. (Foto: Foto: Digitalstock)

Kuschel: Das ist der dritte Crash, den ich in meinem Berufsleben miterlebe. Da fragt man sich immer, ob sich das je wieder erholt. Vor allem als die Kurse am Neuen Markt immer weiter fielen, dachte man, das wird nie mehr was. Und jedes Mal sind die mit dem langen Atem auf Dauer doch besser davongekommen. Wer in guten Fonds geblieben ist, hat das nicht bereut.

sueddeutsche.de: Was ist denn finanzplanerisch das Must-have für jede Frau?

Kuschel: Das Wichtigste in der heutigen Zeit ist die Absicherung der eigenen Arbeitskraft - also eine Berufsunfähigkeitsrente. Denn die Berufsanfängerinnen von heute werden keine gesetzliche Berufsunfähigkeitsrente mehr bekommen. Die ist definitiv abgeschafft und die Erwerbsminderungsrente, die man jetzt bekommt, ist damit überhaupt nicht zu vergleichen. Das ist der erste Schritt - die eigene Arbeitskraft abzusichern. Denn man kann die tollsten Finanzpläne machen - wenn man kein Einkommen hat, weil man invalide ist, dann ist alles aus.

sueddeutsche.de: Sind denn bei weiblichen Kunden die Entscheidungsprozesse anders als bei Männern?

Kuschel: Völlig anders. Frauen zu beraten ist arbeitsintensiver, weil die alles genau wissen wollen. Männer begeistern sich eher mal für Grafiken mit roten und blauen Linien, und wenn die rote Linie schön nach oben zeigt, dann sind sie zufrieden. Eine Frau fragt sich dagegen, warum sie sich mit der blauen Linie, die da am unteren Rand herumkrebst, überhaupt beschäftigen soll. Die will wissen, wie das Geld angelegt wird - ökologisch, ethisch - und was bei einem finanziellen Engpass passiert. Frauen sind viel gründlicher in der Vorbereitung einer Anlageentscheidung.

sueddeutsche.de: Sind sie entscheidungsscheu?

Kuschel: Sie brauchen lange für die Entscheidung, bleiben aber dann auch dabei. Wenn Krisen auftauchen, sind die Frauendepots besser aufgestellt - wesentlich risikoärmer, wesentlich besser gestreut. Männer setzen eher mal alles auf eine Karte - Hauptsache, es brummt.

sueddeutsche.de: Treffen Finanzkrisen nicht alle Anleger gleich hart?

Kuschel: Zumindest die Studien, die damals nach dem Crash beim Neuen Markt gemacht wurden, haben gezeigt, dass die Frauen besser rauskommen - aufgrund ihrer etwas vorsichtigeren Anlagepolitik und nicht diesem ewigen Rein und Raus. Hin und Her macht Taschen leer - das bewahrheitet sich tatsächlich. Und auch diese sorgfältigen Überlegungen - was passt zu mir, was will ich - sind etwas Positives. Es dauert alles länger, es ist arbeitsintensiver, aber unterm Strich auch erfolgreicher.

sueddeutsche.de: Laut einer Emnid-Studie von 2007 sollen Frauen steuerehrlicher sein. Warum sind bei Finanzmanövern in Liechtenstein immer nur Männer aufgefallen, nie aber Frauen?

Kuschel: Ich glaube, dass bei Frauen das Gier-Gen etwas verkümmert ist. Die haben bei Geldanlagen, und was wir sonst noch so betreuen, andere Prioritäten. Wir haben ganz selten Frauen, die sagen: "Mir geht es ums Steuersparen." Dieser eher männliche Wunsch - nicht Steuern zu hinterziehen, sondern Steuern zu sparen - macht bei Frauen nur einen kleinen Teil ihrer Gedanken aus. Die interessieren sich für andere Sachen - Ökologie, Ethik, Flexibilität.

sueddeutsche.de: Wo stellen Sie am häufigsten Widerstände und Scheu fest, wenn sich Ihre Kundinnen mit Geld beschäftigen sollen?

Kuschel: Langfristig denken! Sich festlegen auf eine lange Zeit. Das ideale Frauenprodukt - das natürlich nichts bringen würde - hätte eine hohe Rendite, wäre steuerfrei und jeden Tag verfügbar. Aber die Entscheidung, langfristig was zu machen, fällt vielen Frauen schwer.

sueddeutsche.de: Warum?

Kuschel: Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, dass Frauen eher vernetzt denken. Männer sehen zum Beispiel überhaupt keine Schwierigkeiten, sich bis 65 festzulegen. Die denken, jetzt hab ich den Job, bis ich 65 bin - ein klares Bild. Familienzeit - ja, das hat auf mich überhaupt keine Auswirkungen, wo ist da das Problem. Frauen dagegen nehmen, auch wenn sie noch keine Kinder haben und keine Familienpläne, alle Eventualitäten in ihre Planung mit auf.

Fortsetzung auf der nächsten Seite: Svea Kuschel über Finanzgespräche in Ehen und Anrufe aus dem Kindergarten.

sueddeutsche.de: Wie sieht das konkret aus?

Kuschel: Ich hatte heute wieder so einen Fall: Bei einer Mitarbeiterin ist das Kind im Kindergarten krank geworden. Beide Eltern sind berufstätig, sie bei uns, der Mann in einer Bank. Da kommt nie eine Kindergärtnerin auf die Idee, beim Mann anzurufen und zu sagen: Ihr Kind ist krank! Natürlich wird die Mutter angerufen, obwohl die auch voll berufstätig ist: "Sie müssen sofort kommen!" Die Frauen wissen, dass es letztendlich immer sie trifft und nicht den Mann. Der sagt, natürlich möchte ich gerne eine Familie - aber was hat das mit meinem Beruf zu tun? Deshalb denken Frauen sehr vernetzt und über alle Eventualitäten nach - eben auch bei der Geldanlage.

sueddeutsche.de: Seit Januar 2008 ist das neue Unterhaltsrecht in Kraft. Spätestens jetzt müsste doch jeder Frau vollends klar sein, dass man für sich selbst vorsorgen muss.

Kuschel: Das Unterhaltsrecht ist für eine Frau, die es heute erwischt, dramatisch. Die jetzt Betroffenen sind arg dran, weil sie nichts mehr ändern können. Die Jahre, die sie während ihrer Ehe hätten vorsorgen können, sind verschenkt.

sueddeutsche.de: Was ist das Schwierigste an der Übergangsphase?

Kuschel: Die größte Schwierigkeit war, dass die Frauen mit einer sehr großen Erwartungshaltung zu uns kamen. Viele gehen immer noch davon aus, dass ihr Lebensstandard auch nach der Scheidung gesichert ist. Die sind dann entsetzt, wenn ich sage: Sie werden nicht auf Dauer Unterhalt bekommen, die Kinder sind so weit, dass Sie ohne weiteres wenigstens halbtags arbeiten können. Die Frauen sind nicht unwillig, aber viele sagen zu Recht: Ich bin so lange aus dem Beruf raus, ich hab keine Chance, wieder einen Job zu bekommen.

sueddeutsche.de: Ist das ein Problem einer bestimmten Generation?

Kuschel: Die problematischen Fälle gehören zu einer Generation, die ohnehin sehr belastet ist. Die in den sechziger Jahren Geborenen müssen nicht nur für sich sorgen, sondern meist auch für ihre Kinder und ihre Eltern, wenn die Pflegefall werden. Diese Gruppe ist am schlimmsten dran. Den Frauen, die heute schon in Rente sind, geht es in den meisten Fällen besser. Und die Nachkommenden, die müssen ohnehin für alles selbst sorgen.

sueddeutsche.de: Unter Berücksichtigung eines fordernden Unterhaltsrechts.

Kuschel: Das ist ein zukunftsweisendes Modell. Es bekräftigt, was wir seit 20 Jahren predigen: Die Ehe ist kein Versorgungswerk, man kann sich auf Dauer nicht darauf verlassen. Das Risiko ist ja extrem groß, weil jede dritte bis zweite Ehe geschieden wird. Dieses Bewusstsein durch das neue Unterhaltsrecht rettet Frauen vor der Altersarmut. Es könnte dazu führen, dass sie sich bei einer Heirat Gedanken machen und einen Ehevertrag abschließen.

sueddeutsche.de: Nützt ein Ehevertrag dem finanziell schwächeren Partner?

Kuschel: Die alten Eheverträge sollen Frauen vom Vermögen des Mannes fernhalten. Aber wenn die Frau zum Beispiel wegen Kinderbetreuung auf Erwerbsarbeit verzichtet, dann könnte man durchaus mal einen Ehevertrag machen, der sie schützt, falls die Ehe schiefgeht.

sueddeutsche.de: Reden Frauen zu wenig über Geld?

Kuschel: Zumindest in Beziehungen wird extrem wenig über Finanzfragen gesprochen - ich wundere mich jedes Mal. Das ist in Ehen immer noch ein Tabuthema. Vor zwanzig Jahren war ich mit einer Freundin in einem Münchner Café. Hinter uns saßen zwei Frauen, die sich über Geld unterhalten haben. Damals war ich ganz elektrisiert - heute findet darüber deutlich mehr Kommunikation statt. Sogar Eltern sprechen mit ihren Kindern drüber - also mit den erwachsenen Kindern - so nach dem Motto "Du musst was tun, es schaut nicht gut aus."

sueddeutsche.de: Was passiert eigentlich, wenn ein Mann Beratung will?

Kuschel: Kann er haben - ist ja viel einfacher!

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