Foodwatch-Gründer Thilo Bode:"Was teuer ist, muss nicht gut sein"

Foodwatch-Chef Thilo Bode über riskante Lebensmittel, die Tricks der Nahrungsmittelproduzenten und - den verlorenen Kampf um die Ampelkennzeichnung.

Silvia Liebrich und Hans von der Hagen

Der frühere Greenpeace-Chef Thilo Bode hat vor acht Jahren die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch gegründet und kämpft seitdem für bessere Lebensmittel. Konsumenten werden nach seiner Ansicht von Industrie und Politik systematisch hintergangen und getäuscht. Er fordert mehr Transparenz bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln und einen besseren Verbraucherschutz.

Verbraucherschützer Thilo Bode

Thilo Bode: Gut hat mit Güte zu tun. Die Qualität eines Lebensmittels kann ein Verbraucher aber nicht feststellen. Der Preis allein ist kein hinreichender Indikator.

(Foto: dpa)

Weitere Auszüge des Geprächs finden Sie im Videointerview. SZ: Herr Bode, Lebensmittel waren noch nie so sicher. Wenn man Ihnen zuhört, könnte man glauben, dass das Gegenteil der Fall ist. Was ist nun richtig?

Bode: Wir haben in Europa heute zum Beispiel sauberes Trinkwasser, insofern gibt es mehr Sicherheit. Doch vor einem Jahr sind mindestens acht Menschen nach dem Essen von Harzer Käse gestorben, der die mit Listeria-Bakterien verseucht war. Er wurde von der österreichischen Firma Prolactal hergestellt und vom Discounter Lidl in Deutschland vertrieben. Das ist nicht gerade beruhigend.

SZ: Vor dem Verzehr wurde gewarnt, es gab eine Rückrufaktion.

Bode: Es gab erst eine deutliche Warnung, als Todesfälle auch in Deutschland bestätigt waren. Auch danach ist noch ein Mensch nach dem Verzehr gestorben, weil er nichts davon wusste. Die Lebensmittelsicherheit kann also noch deutlich verbessert werden.

SZ: Solche Fälle stellen aber die absolute Ausnahme dar, im Vergleich zu früheren Zeiten.

Bode: Das sehe ich nicht so. Es geht ein Risiko von vielen Lebensmitteln aus, das zwar in der Regel nicht dazu führt, dass man sofort daran stirbt, das aber langfristige Schäden verursacht. Von mehr als 300 in der EU zugelassenen Zusatzsstoffen gilt die Hälfte als gesundheitlich umstritten. Aber nicht der Hersteller muss die Unschädlichkeit der Stoffe beweisen, sondern der Verbraucher die Schädlichkeit, und das kann er nicht. So enthalten immer noch viele Produkte künstliche Azo-Farbstoffe, die bei Kindern das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom auslösen können. Dabei gibt es Ersatzstoffe, die völlig ungefährlich sind.

SZ: Woran kann der Verbraucher erkennen, ob ein Lebensmittel gut ist?

Bode: Gut hat mit Güte zu tun. Die Qualität eines Lebensmittels kann ein Verbraucher aber nicht feststellen. Der Preis allein ist kein hinreichender Indikator. Was teuer ist, muss nicht unbedingt gut sein und billige Lebensmittel sind nicht zwangsweise schlecht. Es fehlen klare Informationen über die Qualität von Produkten, die eine Unterscheidung möglich machen.

SZ: Können Sie ein Beispiel nennen?

Bode: Nehmen wir Backwaren. Früher haben Bäcker ohne Enzyme, Emulgatoren und andere künstliche Zusatzstoffe gebacken. Die Kunden wussten, was sie bekommen. Heute ist das nicht mehr so, nicht einmal bei der Herkunft. In Südtirol kann man Brot kaufen, das in Hannover hergestellt wurde, auf der Verpackung aber trotzdem als Südtiroler Bauernbrot ausgewiesen wird. Das ist Industrieware und kein traditionelles, handwerklich gebackenes Brot. 60 Prozent der Bäcker in Deutschland arbeiten inzwischen industriell, das heißt, sie beziehen gefrorene Teiglinge, die sie im Ofen nur noch aufbacken. Der Begriff 'ofenfrisch' ist also kein Qualitätskriterium. Es gibt aber eine Klientel, die würde gern echte Backwaren kaufen und dafür auch mehr zahlen. Doch das ist kaum möglich, weil nachprüfbare Angaben für Qualitätsmerkmale fehlen.

SZ: Warum geschieht das nicht? Gerade traditionelle Bäcker müssten daran doch ein großes Interesse haben?

Bode: Der Bäckerverband hat da ein großes Problem. Die Lobbyarbeit wird vor allem von den großen Herstellern gemacht und die Backketten haben überhaupt kein Interesse daran, dass Qualitätsstandards eingeführt werden. So können sie ihre Billigware mit denselben Qualitätsversprechen verkaufen wie ein traditioneller Bäcker.

SZ: Wie kann man diese Transparenz herstellen?

Bode: Der Kunde muss Lebensmittel im Laden sehr schnell und einfach anhand ihrer Qualitäten beurteilen können. Wenn also ein Produkt als Geflügelwurst angeboten wird, sollte kein Schweinefleisch drin sein. Auch nicht, wenn es auf der Verpackung im Kleingedruckten steht. Das entspricht nicht unserem Bild vom Verbraucher. Die Industrie hat hier aber andere Vorstellungen. Hauptsache der Konsument wird nicht krank, fällt nicht tot um und kann mit der Lupe nachschauen, was drin ist.

SZ: Wie sieht das ideal gekennzeichnete Produkt aus?

Bode: Uns ist schon klar, dass man nicht nur sagen kann, wie es nicht geht, sondern auch Vorschläge machen muss, wie es gehen könnte. Das perfekte Kennzeichnungssystem für alle Produkte ist eine Aufgabe, an der wir selbst noch knabbern. Geben Sie uns noch ein bisschen Zeit!

SZ: Trotzdem. Worauf kommt es besonders an?

Bode: Angaben auf den Verpackungen müssen klar und verständlich sein, das ist derzeit nicht der Fall. Im Schnitt bestehen heute höchstens 15 Prozent der Verpackungen aus Information. Der Rest ist Werbung, häufig irreführende. Die Nährwerte sollten eindeutig angegeben werden. Über die Produktionsweise müssen Aussagen gemacht werden, wie etwa Tiere gehalten werden. Auch die Herkunft muss klar gekennzeichnet werden. Es gibt beispielsweise Verbraucher, die wollen nur einheimische Fleischprodukte kaufen. Die EU-Verbraucherminister aber wollen jetzt nur den Verpackungsort kennzeichnen - das ist wenig hilfreich, denn wir wollen vor allem wissen, wo das Schwein herkommt.

SZ: Foodwatch hat sich für die Lebensmittel-Ampel und damit für eine einfache Nährwertkennzeichnung eingesetzt. Die EU-Regierung hat das Modell abgelehnt. Ist die Ampel damit vom Tisch?

Bode: Das Europaparlament und der Ministerrat haben sich nicht nur gegen die Ampel entschieden, sondern wollen sie als Pflicht-Kennzeichnung sogar verbieten. Alles was nicht ausdrücklich erlaubt ist, wird nach dem neuen Lebensmittelrecht verboten. Zuvor war es genau umgekehrt. Das ist eine Zeitenwende. Die Länder müssen dann die von der Industrie vorgeschlagene Nährwertkennzeichung anwenden und es ist ihnen nicht erlaubt, zusätzlich eine Ampelkennzeichnung vorzuschreiben. Das ist ein schwerwiegender Eingriff in nationale Rechte.

SZ: Geben Sie den Kampf um die Ampel auf?

Bode: Nein. Fettleibigkeit und Diabetes nehmen schon bei Kindern rasant zu. Die Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten belaufen sich in Deutschland auf 70 Milliarden Euro pro Jahr. Ich bin deshalb überzeugt davon, dass langfristig kein Weg an der Ampel vorbeiführt. Schon allein die Aussicht auf die Einführung der Ampel hätte den Effekt, dass Hersteller ihre Rezepturen ändern. Man darf außerdem nicht unterschätzen, dass es in der Bevölkerung einen großen Unmut über die unverständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln gibt.

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