Folge des Wachstums:Platzmangel in Berlin

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Blick vom 33. Stock der Baustelle des neuen Hochhauses "Upper West" am Kurfürstendamm auf den Potsdamer Platz. Im Frühjahr 2017 soll der Komplex mit seinem 118 Meter hohen Turm bezogen werden. Unten ist für ein Hotel und für Läden reserviert, oben sind Büroflächen geplant. Foto: Maurizio Gambarini / dpa (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Die Bundeshauptstadt hat eine große Anziehungskraft. Büros werden stark nachgefragt, aber es werden zu wenig neue gebaut. Eine Studie zeigt die Risiken des fehlenden Angebots auf.

Von Lars Klaaßen

Vor 15 Jahren sang die Band Seeed in ihrer Berlin-Hymne "Dickes B": "Coolnessmäßig platzt die Stadt aus allen Nähten / aber wo sind jetzt die Typen, die auch ernsthaft antreten / um ihr Potenzial, ihre Styles heiß zu kneten / zu viel Kraft in der Lunge für zu wenige Trompeten".

Die Typen, die ernsthaft antreten, sind mittlerweile in Sicht, aber der Platz zum Arbeiten fehlt oft, wie aus der "Marktprognose 2020 - Berlins Büronutzer von morgen" hervorgeht. Die Studie, im September von Bulwiengesa im Auftrag der TLG Immobilien herausgegeben, konstatiert in der Hauptstadt einen boomenden Immobilienmarkt, in dessen Folge die Büroflächen bald knapp werden könnten.

"Ein geringer Leerstand von unter 3,5 Prozent, historisch niedrige Fertigstellungsvolumina von Büroflächen und ein kräftiges Wachstum der Bürobeschäftigten führen auch zukünftig zu einem überdurchschnittlichen Mietwachstum", fasst Niclas Karoff die Ergebnisse der Studie zusammen. Der Vorstand der TLG Immobilien AG ergänzt: "Die Zahl der Bürobeschäftigen wird sich bis 2020 um 62 000 erhöhen. Geht man davon aus, dass jeder von ihnen rund 20 bis 25 Quadratmeter verbraucht, ist bis zum Jahr 2020 mit einem Büroflächenbedarf von bis zu 1,6 Millionen Quadratmetern zu rechnen." Das ist etwa dreimal so viel wie die Büroflächen an Potsdamer und Leipziger Platz zusammen.

Die steigende Nachfrage basiert auf dem wirtschaftlichen Strukturwandel in den vergangen fünf bis zehn Jahren. Diesen bezeichnet die Marktprognose als "herausragend - auch im europäischen Kontext". Einhergehend mit einem boomenden Tourismus, starkem Zuzug aus dem In- und Ausland und einer kulturellen Strahlkraft in den Bereichen Musik, Kunst und Mode habe sich auch die wirtschaftliche Basis erkennbar stabilisiert - vor allem bei Start-ups und IT-Unternehmen - "und ist nun auf einem stabilen Wachstumskurs". Die Zahl der Erwerbstätigen ist in Berlin von 2005 bis 2015 um 290 000 Personen gestiegen und damit deutlich stärker als im Bundesgebiet, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) feststellte. Damit ging auch die Arbeitslosenquote von 19 Prozent im Jahr 2005 auf knapp zehn Prozent im Jahr 2015 zurück.

Dass Büroflächen knapp werden, spiegelt sich in der Entwicklung der Spitzen- und Durchschnittsmieten wider. "In den letzten drei Quartalen ist die Spitzenmiete von 22 Euro pro Quadratmeter im Monat auf 25,50 hochgeschnellt. Das entspricht einer Steigerung von über 15 Prozent - in noch nicht einmal einem Jahr", sagt Bulwiengesa-Vorstand Andreas Schulten. Innerhalb eines Jahres seien auch die Durchschnittsmieten um rund sieben Prozent auf 15,60 Euro pro Quadratmeter im Monat gestiegen. Schulten prognostiziert: "Im Laufe des Jahres 2016 und darüber hinaus wird sich dieser Trend fortsetzen."

Gregor Drexler, Bereichsvorstand Asset Management der CA Immo, sieht diese Entwicklung ähnlich: "Die Nachfrage und somit die Mieten werden in den Berliner Büro-Hotspots weiter steigen. Zudem werden spekulative Büroflächenentwicklungen zunehmen." Dies sei jedoch projektabhängig und werde eher an besonders gefragten Standorten stattfinden. Die hohe Nachfrage, verbunden mit einem geringen Leerstand, hat aus Sicht von Drexler die Neubaufertigstellungen zwar stark zunehmen lassen: "Diese reichen aber nicht aus, um den Bedarf zu decken." Aus seiner Sicht ist eine jährliche Neuentwicklung von 350 000 bis 450 000 Quadratmetern Bürofläche in Berlin angemessen.

Die Marktexperten sind sich einig, dass Büromieter aus den Wachstumsbranchen vor allem citynahe oder Cityrand-Teilmärkte mit sehr guter Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr und Urbanität suchen: "Aufgrund der aktuellen Knappheit werden alle zentralen Standorte in der nahen Zukunft gut laufen", sagt Philip La Pierre, Leiter Investment Management Europa der Union Investment Real Estate. "Standorte wie Berlin-Mitte, City-West, Media-Spree, Europa-City - aber auch beispielsweise Adlershof durch die dortige Allianz-Ansiedlung - sind und bleiben für Büromieter attraktiv." Potenzial für Büroimmobilien-Projektentwicklungen hätten noch Stadtteillagen wie Kreuzberg, Tempelhof, Schöneberg oder auch am Südkreuz. Allerdings sieht La Pierre den Preisboom auch kritisch: "Bei allen anderen Objekten in schwächeren Lagen und mit strukturellen Defiziten könnte es Preiskorrekturen geben." Hier tauchten als erstes Vermietungsprobleme auf, "auch wenn einem solche Objekte heute aus der Hand gerissen werden". Trotz aller positiven Wachstumsaussichten sieht auch TLG-Vorstand Karoff Risiken - vor allem, falls nicht genug Büroflächen und Infrastruktur geschaffen werden: "Die Büronachfrager arbeiten vor allem in nichtstörenden Gewerbebetrieben und bringen Leben in die Stadt." Um sie langfristig zu binden, müsse Berlin maßvolle bauliche Verdichtungen zulassen und die IT-Infrastruktur stärken. Zudem sollten Genehmigungsprozesse für Büroneubauten verschlankt und beschleunigt werden, denn unzureichender Flächenzuwachs werde zum Standortnachteil und hemme das Jobwachstum. Karoff: "Die Hauptstadt benötigt unter dem Schlagwort 'innerstädtische Verdichtung' weitere Leuchtturmprojekte wie die Europa-City am Hauptbahnhof. Auch sollte man in Berlin keine Angst vor Großprojekten haben."

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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