Flusspferdhofsiedlung:Licht, Luft und Sonne

Flusspferdhofsiedlung: Die Flusspferdhofsiedlung im Berliner Ortsteil Alt-Hohenschönhausen verdankt ihren Namen den beiden Brunnen-Skulpturen. Die Gewobag hat die Wohnanlage in den Neunzigerjahren saniert. Die Wohnungsbaugesellschaft nutzte den Umbau auch, um einige Wohnungen zu vergrößern.

Die Flusspferdhofsiedlung im Berliner Ortsteil Alt-Hohenschönhausen verdankt ihren Namen den beiden Brunnen-Skulpturen. Die Gewobag hat die Wohnanlage in den Neunzigerjahren saniert. Die Wohnungsbaugesellschaft nutzte den Umbau auch, um einige Wohnungen zu vergrößern.

(Foto: Z thomas)

Die Wohnanlage entstand in den 1930er-Jahren in Berlin. Dort wurden gut durchdachte und günstige Unterkünfte errichtet. Das Quartier gilt vielen auch heute noch als Vorbild des sozialen Wohnungsbaus.

Von Ingrid Weidner

Bezahlbare Wohnungen waren auch vor 100 Jahren in vielen Städten knapp. Damals initiierten viele Kommunen innovative Projekte. Es entstanden durchdachte und gut geplante Klein- und Kleinstwohnungen für Menschen mit wenig Geld, kostengünstig und schnell durch serielles Bauen. In Frankfurt experimentierte Ernst May gemeinsam mit einem Team aus Architekten und Ingenieuren, auch in Berlin entstanden in den 1920er-Jahren moderne Quartiere des sozialen Wohnungsbaus mit hoher Lebensqualität. Viele der zu Beginn des 20. Jahrhunderts geplanten und ästhetisch ansprechenden Wohnungen sind auch heute noch begehrt, manche stehen unter Denkmalschutz.

Die Bauten wurden in Reihen angeordnet, mit großzügigen Freiflächen dazwischen

Die 1927 in Berlin gegründete "Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen", kurz RFG, galt zwar auch als Debattierclub von und für Architekten, doch genauso wichtig war die wissenschaftliche und praktische Arbeit. Namhafte Architekten wie Walter Gropius, Bruno und Max Taut sowie Martin Wagner und eben Ernst May zählten zu den Mitgliedern sowie die Reichstagsabgeordnete Marie-Elisabeth Lüders. Anders als der Name suggeriert, hatte das während der Weimarer Republik gegründete Institut nichts mit faschistischem Gedankengut zu tun. 1931 löste sich der eingetragene Verein auf.

Viele Ideen setzten die Architekten in der Reichsforschungssiedlung Haselhorst in Berlin-Spandau um. Moderne Grundrisse für kleine Wohnungen entstanden. Gebaut wurden etwa 3500 Wohnungen, eine Kleinstadt mit Läden und einem Kino. Weniger bekannt und deutlich kleiner ist die zwischen 1931und 1934 von den Architekten Paul Mebes und Paul Emmerich entworfene und gebaute Flusspferdhofsiedlung im Osten Berlins. Geplant waren 1500 Wohnungen, Auftraggeber war die Berliner Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Gebaut wurden aber nur 882 Ein- und Zweizimmer-Wohnungen. "Die Flusspferdhofsiedlung in Hohenschönhausen gilt als kleine Schwester von Haselhorst. Dort flossen viele der in Haselhorst gewonnenen Erkenntnisse ein", sagt Michael Bienert, Autor und Experte der Berliner Stadtgeschichte.

Die Bauten wurden in Reihen angeordnet, mit großzügigen Freiflächen dazwischen. Die Planer legten zudem großen Wert auf die Gestaltung des Grüns. Die Wege säumen getrimmte Hecken, die das Quartier strukturieren. Den Mittelpunkt der Siedlung bildet ein 1933 geplanter Brunnen mit zwei Pferdeskulpturen, die der Wohnanlage den Namen "Flusspferdhofsiedlung" gaben. Die Plastiken schuf der Bildhauer Hans Mettel, erläutert Bienert. Zur Einweihung 1934 wehten dort Hakenkreuzfahnen, wie auf alten Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen ist. Die sogenannten Nürnberger Gesetze, die der antisemitischen Haltung des NS-Regimes eine juristische Grundlage gaben, wirkten sich in den 1930er-Jahren auf die Mieterstruktur aus, wie ein Stempel auf einem alten Mietvertrag belegt.

1949 erfolgte die Enteignung, die Wohnungsanlage der Gewobag ging in das Volkseigentum der DDR über. Wieder veränderte sich die Mieterstruktur. Das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen liegt ganz in der Nähe, vermutlich lebten zahlreiche Stasi-Mitarbeiter in der Flusspferdhofsiedlung. Auch zum DDR-Leistungssportzentrum Sportforum in Hohenschönhausen ist es nur ein Katzensprung, weshalb auch Sportlerinnen wie Claudia Pechstein oder Jenny Wolf dort eine Wohnung hatten. Auch für die Gäste der Berliner Eisbären gab es ein Quartier, erzählt der Hausmeister.

Die hohe Wohnqualität der Siedlung wurde zu DDR-Zeiten geschätzt, wenn auch wenig in den Erhalt investiert wurde. Seit 1978 steht die Siedlung unter Denkmalschutz. 1994 schließlich erfolgte die Rückübertragung an die Gewobag und in den folgenden Jahren wurde die Siedlung nach den Erfordernissen des Denkmalschutzes saniert.

Veronika Matuszewski lebt schon seit ihrer Hochzeit 1963 in der Flusspferdhofsiedlung im Osten Berlins. Ihre Schwiegereltern gehörten zu den ersten Mietern, die 1934 dort einzogen. "Mein Mann wollte nie von hier weg. Er ist hier geboren und gestorben", erzählt Matuszewski. Die 74-Jährige zeigt kleine Schwarz-Weiß-Fotos. "Ach, mein Mann hat alles gesammelt", erzählt sie. Auf den Fotos aus den 1960er-Jahren wirkt die Siedlung ziemlich idyllisch und baulich intakt, die Außenanlagen gepflegt.

Der Standard sieht so aus: zwei Zimmer, Wohnküche, 45 bis 54 Quadratmeter

Matuszewski erinnert sich noch daran, dass viele Wohnungen mit einer sogenannten Kochmaschine ausgestattet waren, einem großen Küchenofen, der heizte und mit dem die Bewohner auch Kochen und Backen konnten. Diese Ungetüme verschwanden teilweise schon zu DDR-Zeiten und endgültig mit der Sanierung Mitte der 1990er-Jahre. Kohlen müssen die Mieter heute nicht mehr schleppen, die Siedlung ist inzwischen an das Fernwärmenetz angeschlossen.

Erhalten blieben die Holzfenster mit ihrer charakteristischen Einteilung, sie wurden neu aufgearbeitet. Auch eine Wärmedämmung wurde angebracht. Die Gewobag nutzte den Umbau auch, um einige Wohnungen zu vergrößern. Zwar überwiegen die Zweizimmer-Wohnungen mit Wohnküche, die zwischen 45 und 54 Quadratmeter groß sind, doch mit dem Umbau entstanden auch wenige größere Wohnungen mit 2,5 bis drei Zimmern und einer Wohnfläche von 75 bis 90 Quadratmetern. Heute gibt es in der Siedlung noch 837 Wohnungen. Die Preise sind mit etwa 6,50 Euro pro Quadratmeter moderat.

Veronika Matuszewski lebte anfangs mit Ehemann und Schwiegermutter in einer 1,5 Zimmer-Wohnung. Ein Problem sei das nie gewesen, betont sie. "Die Wohnungen waren gut geschnitten", sagt Bienert. Als die Siedlung entstand, freuten sich die ersten Mieter - hauptsächlich Arbeiter aus den benachbarten Industriebetrieben, wie Bienert aufgrund seiner Recherchen in alten Adressbüchern herausfand - über die komfortablen Wohnungen, die alle eine Küche und ein Badezimmer hatten. Heute leben meist junge oder ältere Alleinstehende oder Paare in der Siedlung, Familien mit Kindern gibt es nur wenige, vielen sind die Wohnungen zu klein, berichtet der Hausmeister. Manche Leute zögen aber nach einer Scheidung wieder dort ein.

Auch wenn die Siedlung einen neuen Farbanstrich gebrauchen könnte, sind die klaren Strukturen der Gebäude, die ansprechend gestalteten Hauseingänge und Treppenhäuser sowie die großzügige Grünanlagen vorbildlich für den sozialen Wohnungsbau der Zeit. "Die Flusspferdhofsiedlung ist ein gutes Beispiel dafür, wie gut durchdachte, schnell und günstig gebaute Wohnungen dauerhaft ansprechende Stadträume schaffen. Die Anlage hat auch heute noch Vorbildfunktion, Stadtplaner können dort viel lernen", sagt Bienert.

Die Entstehung der Siedlung Haselhorst in Berlin-Spandau ist gut erforscht und dokumentiert. Anfang der Dreißigerjahre entstanden dort etwa 4000 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus innerhalb von nur fünf Jahren. Dort experimentierten Architekten, erprobten Materialien und setzten unterschiedliche Konzepte um. Doch welcher Architekt baute wo? Weshalb durfte Gropius sein geplantes Hochhaus nicht bauen und wie veränderte sich das Quartier während der Sanierung? Diese Fragen recherchierte der Berliner Autor Michael Bienert in seinem Buch "Moderne Baukunst in Haselhorst". (Story Verlag, Berlin, 2015. 160 Seiten, erweiterte Neuauflage. 19,80 Euro.)

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