Flächenverbrauch:Bauen an der falschen Stelle

In Deutschland werden immer mehr Flächen versiegelt und verbaut. Zwar ist der Flächenverbrauch deutlich gesunken. Vor allem aber in ländlichen Regionen werden Grundstücke nicht effizient genutzt.

Von Felicitas Wilke

Engagierte Waldliebhaber und die Umweltbewegung haben in den Siebziger- und Achtzigerjahren ganze Arbeit geleistet. Stadtnahe Wälder sind heute besser vor radikalen Kahlschlägen geschützt als noch vor 40 Jahren. Doch um Kleinstädte und in ländlichen Regionen fallen weiter Wälder und vor allem landwirtschaftliche Flächen neuen Siedlungen und Gewerbegebieten zum Opfer. Es erscheint paradox: Dort, wo Menschen abwandern, wird besonders viel gebaut.

Deutschland geht verschwenderisch mit seinem Boden um. Zu verschwenderisch? Jeden Tag weisen Bund, Länder und Kommunen etwa 63 Hektar für Bauprojekte aus. Wenn sich Wälder und Äcker in Wohngebiete und Straßen verwandeln, dann gehen auch immer Lebensräume für Tiere und Pflanzen verloren. Auf den Hochwasserschutz wirkt es sich ebenfalls problematisch aus, wenn freie Flächen bebaut oder versiegelt werden.

Das alles hat die damalige Bundesregierung bereits 2002 erkannt. Damals legte sie das Ziel fest, den täglichen Flächenverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 30 Hektar zu reduzieren. Inzwischen wird immer wahrscheinlicher, dass die Regierung an dieser Zielvorgabe scheitern wird. Zwar ist der Flächenverbrauch seit Ende der Neunzigerjahre um mehr als die Hälfte gesunken, für die kommenden Jahre rechnet die Regierung aber damit, dass der Wert auf diesem Niveau stagniert. Das antwortete sie im vergangenen Jahr auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag.

Dass das Nachhaltigkeitsziel zu scheitern droht, liegt auch am Umgang einiger Bundesländer mit ihrem Boden. Während der Flächenverbrauch in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren auf 5,3 Hektar schrumpfte, stagniert der Wert in Bayern auf hohem Niveau, bei etwa 18 Hektar. Zur Orientierung: Um seinen Beitrag zum Erreichen des 30-Hektar-Ziels beizusteuern, müsste das Land den Verbrauch auf unter fünf Hektar pro Tag senken. Finanz- und Heimatminister Markus Söder setzt andere Schwerpunkte. Er will es Kommunen leichter machen, Gewerbegebiete anzusiedeln, zum Beispiel an Autobahnausfahrten. Eine Strategie, die Jobs in ländliche Regionen bringen soll. Kritiker befürchten, dass der Flächenverbrauch dadurch noch einmal steigen könnte. Ein Sprecher des Ministeriums widerspricht: Die neue Regelung ermögliche lediglich neue Orte für die Nutzung.

Nicht nur die Politik, auch Privatleute tragen zum Flächenverbrauch bei. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass der Großteil des neuen Wohnraums nicht in den boomenden Städten entsteht. Stattdessen wird in Gegenden gebaut, aus denen die Menschen eigentlich wegziehen. In Regionen wie der Eifel, dem Bayerischen Wald oder Mecklenburg-Vorpommern weisen Kommunen günstiges Bauland aus, um preisbewusste Neubürger anzulocken. Viele Familien gehen der Studie zufolge auf dieses Angebot ein und bauen lieber ein neues Haus am Ortsrand statt bestehende, leer stehende Immobilien im Stadtkern zu renovieren. Die Folge: In den ländlichen Gebieten entsteht nicht nur überproportional viel neuer Wohnraum, die Gegenden werden auch zersiedelt. Und es wird teurer, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten.

"Die Menschen in der Stadt haben tendenziell ein höheres Bewusstsein für den Wert von Wald und anderen Freiflächen", findet Thomas Frey vom Bund Naturschutz. Wo jeder Quadratmeter knapp und teuer ist, da habe Fläche einen höheren Wert als dort, wo Boden fast grenzenlos verfügbar zu sein scheint und billig ist. Was kompaktes Bauen angehe, könne sich manche Region in Nordbayern eine Scheibe von den Münchnern abschneiden.

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