Finanzkrise:Sag, wo die Milliarden sind

Im Jargon der Börse löst sich Geld gern "in Luft" auf oder "wird verbrannt". Das ist falsch. Denn das Vermögen ist nicht weg, sondern nur woanders.

Catherine Hoffmann

Wie geht nochmal Katastrophen-Kapitalismus? Genau, man muss nur Börsennachrichten lesen, schon begreift man seinen Schrecken: Täglich verschwinden Milliarden aus den Bilanzen der Banken und Depots der Anleger - einfach so, spurlos. Vor den Augen ihrer arglosen Besitzer lösen sie sich einfach in Luft auf. Der Deutsche Aktienindex Dax hat im ersten Halbjahr ein Viertel seines Wertes verloren: "Ein Vermögen von 250 Milliarden Euro hat sich in Luft aufgelöst", steht in der Zeitung. In Amerika wütet die Hypothekenkrise, mehr und mehr Hausbesitzer können ihre Kredite nicht bedienen. Was schreibt das Wall Street Journal? Die wahre Größenordnung des Problems liege bei "1000 bis 2000 Milliarden Dollar, die sich teilweise in Luft aufgelöst haben dürften".

Finanzkrise: Wo sind die Milliarden geblieben? An der Deutschen Börse hat der Dax im ersten Halbjahr ein Viertel seines Wertes verloren.

Wo sind die Milliarden geblieben? An der Deutschen Börse hat der Dax im ersten Halbjahr ein Viertel seines Wertes verloren.

(Foto: Foto: AP)

Es ist schon interessant, dass sich das Geld einfach so davonmacht. 1000 Milliarden Dollar sind kein Pappenstiel. Das sind 635 Milliarden Euro. Davon könnte die Lottofee zweimal wöchentlich einen Jackpot von zehn Millionen Euro ausschütten - bis ins Jahr 2618 hinein. Erst dann wäre die Summe unters Volk gebracht. Kann so viel Geld überhaupt verlorengehen? "Die Milliarden sind nicht weg. Sie sind bloß in anderen Taschen", sagt Andreas Oehler, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bamberg. "Was der eine verliert, verdient der andere."

Stille Gewinner

Viel Geld ist einfach umverteilt worden zwischen Banken aller Art, reichen Privatleuten und mächtigen Hedgefonds, zwischen Menschen, die Häuser zu überhöhten Preisen gekauft haben, und anderen, die sie zu überhöhten Preisen verkauft haben. Mit Wetten auf einen Absturz des Immobilienmarktes haben gerissene Hedgefondsmanager Milliarden verdient.

Der schlaueste, John Paulson, kassierte im vorigen Jahr 3,7 Milliarden Dollar. Und das ist nur sein Gehalt, seine Kunden haben ein Vielfaches davon bekommen. Auf der anderen Seite haben Banken und ihre Aktionäre Milliardenverluste gemacht. Am Ende ist es ein Nullsummenspiel, das allerdings nur im Lauf der Zeit aufgeht.

Wer vor einem Jahr Aktien der Deutschen Bank kaufte, zahlte 100 Euro, verkauft er heute, bekommt er nur noch 50 Euro. Andere Anleger haben 50 Euro mit dem Papier verdient, sie griffen Ende 2003 zu und haben vor einem Jahr verkauft. Raus aus der einen Tasche, rein in die andere. Nur: Von den Gewinnern hört man wenig, die guten Zeiten liegen ja auch schon Monate zurück.

Sparen, sparen, sparen

Wir neigen dazu, nur den Absturz zu betrachten - und übersehen, dass viele schon beim Aufstieg kräftig verdient haben. Zudem machen manche, etwa clevere Hedgefonds, ja selbst mit dem Absturz Gewinn. "Das Geld ist nicht weg, sondern nur woanders", sagt auch Harald Uhlig, Ökonomieprofessor der Universität Chicago.

Ein Großteil des vernichteten Börsenwerts sind ohnehin Verluste, die "nicht realisiert" worden sind, wie der Fachbegriff lautet: Der Wert des Aktiendepots sinkt, wenn die Kurse niedriger stehen, ohne dass man selbst verkauft hätte. Man könnte meinen, solche Verluste seien egal für eine Volkswirtschaft. Doch das stimmt nicht. Wer Buchgewinne hat, einfach weil die Aktienkurse steigen, wird auf dem Papier reicher, aber das ändert meist nicht viel an seinem Leben. Er sieht einfach zu, wie sein Vermögen wächst.

Wer aber Verluste verbucht, muss sie oft durch einen Verkauf realisieren. So zwingen gesetzliche Vorschriften Versicherungen und Banken dazu, sich bei Buchverlusten von Papieren zu trennen. Das Geld ist also wirklich futsch. Dann heißt es: Sparen, sparen, sparen - und das schadet der Konjunktur.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum der Kapitalismus derzeit schwächelt - und was passieren würde, wenn alle Schuldner auf der Welt ihre Schulden begleichen würden.

Sag, wo die Milliarden sind

Man muss kein Marxist sein, um zu erkennen, dass es um die kapitalistische Verheißung derzeit nicht gut bestellt ist, die da lautet: Gehe ein Risiko ein, und du kannst reich werden. Der Beinahe-Crash des Finanzsystems gibt all jenen recht, die noch nie an die unsichtbare Hand des Marktes glaubten und nichts von der schöpferischen Kraft des börsengetriebenen Kapitalismus hören wollten, weil sie nur seine zerstörerische Seite sehen.

Es passt ins Bild, dass der Historiker Fritz Stern im Interview mit dem Manager Magazin die "beinahe schon verbrecherischen Finanzspekulationen" anprangert. Und dass nur noch ein kleiner Teil der Bürger glaubt, in Deutschland gehe es gerecht zu. Viele sind überzeugt, dass der Finanzkapitalismus gewissenlos ist und dass skrupellose Spekulanten die Börse mit dem Spielkasino verwechseln. Aber auch die Spielhölle ist nur eine Umverteilungsmaschinerie für Jetons. Sie hat schon viele Geldgierige angezogen - und Pleitiers ausgespuckt. Andere haben daran verdient. Insofern passt der Vergleich von Börse und Kasino: Der Ruin von Firmen und Familien gehört zum Kapitalismus wie das Geld.

Doch was ist überhaupt Geld? Die Wissenschaftler drücken sich um eine klare Antwort. Gut, Geld kommt aus dem Automaten in der Bankfiliale, zumindest solange es noch einen Dispokredit gibt. Aber wo stammt das Geld in der Maschine her? Ganz einfach: Geld wird mehr, wenn die Banken Kredite vergeben. Der österreichische Nationalökonom Josef Schumpeter nannte das "Kaufkraftschaffung aus dem Nichts". Die Geschäftsbanken wiederum besorgen sich Geld bei der Zentralbank. Dafür hinterlegen sie als Sicherheit zum Beispiel Staatsanleihen und zahlen einen kleinen Zins. Das Geld leihen sie dann aus - gegen Zinsen und Sicherheit.

Lautlos verschwundenes Geld

Die Leute, die Kredite aufnehmen, müssen also schon etwas Vernünftiges damit anstellen, etwa eine kleine Firma gründen, damit ihre Investition mehr Ertrag bringt, als sie Zinsen zahlen müssen. Sie müssen ein Risiko eingehen. So kommt das Geld in den Wirtschaftskreislauf, so erhöht der Schuldenkapitalismus den gesellschaftlichen Wohlstand. Wenn diese Kreditketten allerdings reißen, löst dies eine Spirale nach unten aus.

Wenn Kreditnehmer umkippen und die Bank ihr Geld nicht wiedersieht, muss sie Kapital abschreiben und kann weniger neue Darlehen ausreichen. Dann ist Geld aus der Volkswirtschaft verschwunden. Es gibt sie also, die echten gesamtwirtschaftlichen Verluste und die endgültige Kapitalvernichtung, die alle ärmer macht. Wenn die deutschen Geschäftsbanken jetzt weniger Kredite vergeben - und das auch nur zu strengeren Konditionen -, dann bremst dies die Konjunktur.

Normalerweise verschwindet das Geld aber geräuschlos aus der Welt - und zwar auf dem umgekehrten Weg, auf dem es entstanden ist: indem Schuldner ihren Kredit begleichen. Der 1924 geborene Privatbankier Johann Philipp Freiherr von Bethmann hat das klar benannt: "Jeder Geldforderung in der Wirtschaft entspricht logischer Weise eine gleichhohe Geldverpflichtung, eine Schuld,... und es ergibt sich die verblüffende Gleichung: Der Summe aller Schulden entspricht die Summe allen Geldes." Würden also alle Schulden zurückgezahlt, hätte sich das Geld tatsächlich "in Luft aufgelöst". Ein Börsenkrach dagegen schafft das nicht.

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