Finanzkrise erschüttert Weltwirtschaft:Am Tropf des Staates

Die globale Finanzwirtschaft wird künftig mehr arabische und asiatische Züge tragen: Was der Banken-Rettungsfonds für Amerika und die Weltwirtschaft bedeutet.

N. Piper

Diese Woche hat die Welt verändert. Als vor acht Tagen die Spitzen der amerikanischen Finanzwirtschaft in New York zum Krisengipfel zusammenkamen, hätte sich kein Außenstehender, auch nicht in seinen wildesten Träumen, vorstellen können, dass es am folgenden Wochenende die Wall Street als Institution nicht mehr geben würde.

Genau dies aber ist geschehen: Von einst fünf großen unabhängigen Investmentbanken New Yorks sind zwei übrig geblieben, und es ist gut möglich, dass sich deren Zahl noch auf eins reduziert. Die größte Versicherung der USA wird faktisch vom Staat regiert. Und nun nimmt, als Krönung der Woche, die Regierung in Washington den Banken ihre faulen Kredite ab. Der amerikanische Finanzsektor hängt am Tropf des Staates - ein ungeheuerlicher Vorgang.

Nur noch Staatspapiere

Noch fehlen wichtige Detailinformationen zu dem geplanten Rettungsfonds: Wie wird er organisiert, nach welchen Kriterien wählt die Regierung die zu übernehmenden Kredite aus, wie viel Geld steht zur Verfügung? Überdies gibt es zum Vorgehen von Finanzministerium und Notenbank während der vergangenen Tage viele kritische Fragen. Warum zum Beispiel wurde die Versicherung AIG gerettet, nicht jedoch Lehman Brothers?

Darf die Notenbank in einem demokratischen Staat ihr Mandat so weit überdehnen, dass sie 85 Milliarden Dollar für die Rettung eines Privatunternehmens riskiert? Wäre der teure Rettungsfonds für die Banken vielleicht nicht nötig gewesen, hätte Washington bedrängten Hausbesitzern schneller und entschlossener geholfen? Fairerweise sollten aber Kritiker einräumen, dass sich die Arbeit des Krisenteams Paulson/Bernanke erst mit einigem zeitlichen Abstand wird beurteilen lassen. Wenn das Haus brennt, ist es nicht sehr sinnvoll, der Feuerwehr zu sagen, sie solle gefälligst mit dem Löschwasser aufpassen.

Dass das Haus gebrannt hat, daran kann es keinen Zweifel geben. Besonders am Mittwoch gegen Börsenschluss in New York schien die lange befürchtete Kernschmelze im Finanzsystem, der komplette Zusammenbruch des Vertrauens zwischen den Banken, bedrohlich nahe zu sein.

Der Dow Jones verlor fast 500 Punkte, obwohl die Federal Reserve kurz zuvor die AIG gerettet hatte. Die Kurse von Goldman Sachs und Morgan Stanley stürzten ab - zwei Investmentbanken, die nach allen rationalen Maßstäben kerngesund sind und ein funktionierendes Geschäftsmodell haben. Die Kreditvergabe zwischen den Finanzinstituten kam zum Erliegen, selbst Geldmarktfonds, normalerweise sehr sichere Anlagen, fanden keine Käufer mehr. Alles flüchtete in Staatspapiere.

Nur noch Krisenmanagement

Vermutlich fiel am Ende dieses Mittwochs in Washington die Entscheidung, dass es ohne eine radikale Lösung nicht mehr geht. Dabei spielten die Erfahrungen der Geschichte eine Rolle.

Der Börsenkrach von 1929 führte unter anderem deshalb zur Weltwirtschaftskrise, weil die amerikanische Notenbank damals das Geld verknappte und den gefährdeten Banken nicht zu Hilfe kam. Fed-Präsident Ben Bernanke hat diese Geschichte als Wirtschaftsprofessor studiert. Auch der geplante Rettungsfonds hat ein historisches Vorbild: 1932 gründete Präsident Herbert Hoover die Reconstruction Finance Corporation (RFC), die - zu spät - Kredite an bedrohte Banken gab.

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Am Tropf des Staates

Die Konsequenzen der staatlichen Rettungsaktion werden gewaltig sein: Der Rettungsfonds muss, wenn er wirken soll, Kredite für mehrere hundert Milliarden Dollar kaufen können. Das ist eine schwere Bürde für den Staatshaushalt und noch mehr für den nächsten Präsidenten, der am 4. November gewählt wird.

Die Finanzpolitik in Washington wird auf absehbare Zeit durch Krisenmanagement geprägt sein. Kaum vorstellbar, wo da noch Platz für John McCains Steuersenkungen oder für Barack Obamas Investitionsprogramme sein soll.

Derzeit wirken die beiden Kandidaten merkwürdig unvorbereitet auf die Aufgabe, die auf einen von ihnen im nächsten Jahr zukommen. Der Republikaner McCain kündigte am Donnerstag an, er werde nach einem Wahlsieg den Chef der Börsenaufsicht SEC, Christopher Cox, feuern - angesichts der Ereignisse der vergangenen Tage eine Art Realsatire.

Weitreichend auch die Folgen für den Finanzsektor. Die Herren des großen Geldes haben nicht nur Milliarden, sondern auch Ansehen und Respekt verspielt. Die schöne Theorie von den effizienten Kapitalmärkten ("Alle verfügbaren und relevanten Informationen stecken in den aktuellen Preisen von Wertpapieren") wirkt aus heutiger Perspektive nachgerade lustig. Viele Banken haben in Wirklichkeit ein fatales Talent gezeigt, relevante Informationen zu ignorieren.

Die globale Finanzwirtschaft wird gesundschrumpfen, sie wird bescheidener und solider werden. Und sie dürfte weniger amerikanische und europäische, dafür mehr arabische und asiatische Züge tragen. Die Menschen in Singapur, Shanghai, Seoul und am Persischen Golf werden nicht so schnell vergessen, wie die Banker zu ihnen pilgerten, und um Kapital bettelten. New York wird ein wichtiger Finanzplatz bleiben, aber vermutlich nicht mehr Finanzhauptstadt der Welt.

Werden die Aktionen der amerikanischen Regierung reichen, um den Weg aus der Krise zu ebnen? Müssen sie vielleicht noch nachlegen? Niemand sollte sich nach dieser Woche trauen, auf derartige Frage eine eindeutige Antwort zu geben. Fest steht, dass Washington entschlossen ist, alles Denkbare und vielleicht Undenkbares zu unternehmen, um den Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Und so viel Supermacht sind die USA noch, dass dies einiges bewirkt.

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