Finanzkrise:Deutschlands Banken am Abgrund

Knapp am worst case vorbeigeschrammt: Eine Pleite der Hypo Real Estate im vergangenen Herbst hätte das gesamte deutsche Finanzsystem mit nach unten gerissen. Das geht aus einem Krisen-Protokoll hervor, das der Süddeutschen Zeitung exklusiv vorliegt.

Claus Hulverscheidt, Berlin

Die gesamte deutsche Bankbranche stand im Herbst vergangenen Jahres unmittelbar vor dem Kollaps. Das geht aus dem Protokoll einer Krisensitzung in Frankfurt hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. An dem Treffen, das sich vom 26. bis 28. September 2008 hinzog, hatten Vertreter der Bundesregierung, der Bundesbank, der Finanzaufsicht Bafin und der privaten Banken teilgenommen. Das Protokoll zeigt, dass die Situation der Kreditwirtschaft weitaus dramatischer war als bislang bekannt.

Skyline Frankfurt am Main, Wolke, ddp

Dunkle Wolken über Frankfurt am Main: Die Situation der Kreditwirtschaft war Ende September dramatischer als bislang bekannt.

(Foto: Foto: ddp)

Ziel der Zusammenkunft war es, die Münchener Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) vor der sofortigen Pleite zu bewahren. Von Freitag bis Sonntag stritten die Unterhändler darum, wie Hilfen aussehen könnten und wer sich mit welchen Milliardenbeträgen beteiligt. Vor allem die Chefs von Deutscher Bank und Commerzbank, Josef Ackermann und Martin Blessing, beschrieben die Lage der Branche im Falle einer HRE-Pleite in düstersten Farben.

So sagte Ackermann, eine solche Insolvenz würde den Tod des deutschen Bankensystems bedeuten. Blessing erklärte, wenn sich die Regierung einer Rettungsaktion verweigere, werde am Montag darauf kein deutsches Kreditinstitut mehr stehen. An anderer Stelle hieß es, es drohe ein schlimmeres Szenario als nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers wenige Tage zuvor.

Angst vor dem großen Chaos

Das Protokoll zeigt, dass auch die Vertreter der Aufsichtsbehörden Angst vor chaotischen Zuständen in Deutschland hatten. So lehnte Bundesbankchef Axel Weber HRE-Hilfen aus dem Einlagensicherungsfonds der Banken ab, weil dieser dann leer gewesen wäre und die Sparer womöglich am Montag ihre Bankfilialen gestürmt hätten. Weber machte auch deutlich, dass alle Beteiligten nur einen Versuch hätten, die Hypo Real Estate zu retten. Die Idee einer Insolvenz der deutschen HRE-Töchter wurde rasch verworfen, weil sie nach Einschätzung aller Beteiligten zu Chaos an den Weltfinanzmärkten und zum Zusammenbruch des deutschen Bankensystems geführt hätte.

Die HRE wurde am Ende vom Bund und den Banken mit einem Hilfspaket in Höhe von 35 Milliarden Euro gerettet, das bereits eine Woche später auf 50 Milliarden Euro aufgestockt werden musste. Vorangegangen war ein harter Poker zwischen Regierung und Banken, bei dem es im Wesentlichen um die Frage ging, wer bei einem Verlust des Geldes in welcher Höhe haftet. Mittlerweile bürgen beide Seiten bei der Hypo Real Estate für mehr als 100 Milliarden Euro, das Risiko liegt überwiegend beim Bund. Die HRE wurde zudem verstaatlicht, was Finanzminister Peer Steinbrück am Rettungswochenende noch abgelehnt hatte.

Das Protokoll dürfte auch im HRE-Untersuchungsausschuss des Bundestags eine wichtige Rolle spielen, denn es liefert beiden Seiten Munition: So wird einerseits der Vorwurf der Opposition belegt, dass Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen erst nach Frankfurt reiste, als bereits feststand, dass der Bund zahlen muss. Andererseits zeigt das Papier, dass Asmussen hart verhandelte und alle Entscheidungen am Ende von Kanzlerin Angela Merkel und Steinbrück getroffen wurden. Zudem wird deutlich, dass auch Weber und Bafin-Chef Jochen Sanio Bundeshilfen für unumgänglich hielten und dass das Finanzministerium entgegen allen Vorwürfen das gesamte Wochenende im Bilde war.

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