Finanzkrise:Das Billion-Dollar-Baby

Wir sind Zeugen einer Krise, die fassungslos macht. Sie endet nicht, wenn das laute Beben der Banken verhallt ist. Eigentlich beginnt sie dann erst.

Hans von der Hagen

Erstmals in der Geschichte werden die Deutschen gezwungen, sich mit der Zahl "Billion" (in den USA: "Trillion") auseinanderzusetzen. Die Billion, eine Million mal eine Million, ist die Zahl der großen Dinge: die Wirtschaftsleistung von Ländern etwa.

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(Foto: Foto: AP)

Der Wert dessen, was pro Jahr in deutschen Fabriken und Büros produziert wird, beträgt beispielsweise rund zwei Billionen Euro. Weil sich aber solche Zahlen jeglicher Vorstellungskraft entziehen, interessierte sich kaum jemand für die Billion.

Plötzlich ist sie allgegenwärtig. Denn der Schaden, den die aktuelle Finanzkrise anrichtet, lässt sich nur noch mühsam in Milliarden beziffern. Das zeigt, was für eine ungeheuere Dimension diese Krise hat.

In der Welt der Banker ist die Billion schon lange Alltag. Im Devisenhandel werden täglich mehr als drei Billionen Dollar umgesetzt. In einer anderen Ecke des Finanzmarktes, dort wo es um künstlich von den Finanzingenieuren geschaffene Produkte geht, ist gar ein 60-Billionen-Dollar-Monster herangewachsen.

Angst vor 1929

60 Billionen Dollar - eine Summe, mehr als die Wirtschaftsleistung der gesamten Welt - beträgt das Nominalvolumen aller Kreditderivate.

Das sind die Papiere, die ursprünglich einmal Kredite absichern sollten, mit denen sich aber auch trefflich Hypotheken jonglieren ließen.

Dummerweise wurde das Monster nie an die Kette gelegt, wenngleich man ahnte, dass es auch gefährlich werden könnte. Es ist aus der schönen Modellwelt ausgebrochen, mit denen sich die Banken ihre Wirklichkeit geschaffen hatten.

Und jetzt bekommt die Welt die Kraft des Monsters - die Hebelwirkung der Derivate - zu spüren. Ohne die Derivate hätte die Kreditkrise nie eine solche Wucht entfalten können.

Mehr als eine halbe Billion Dollar wurden im Rahmen der Krise bereits abgeschrieben - plattgemacht, vernichtet. Und die Befürchtung ist da, dass es noch viel, viel mehr werden könnte.

Erst recht, wenn die Krise endgültig auf die Realwirtschaft überschwappt. Zu gut weiß man noch, was nach dem Börsenzusammenbruch 1929 geschah: Die Arbeitslosigkeit schnellte in vier Jahren von knapp vier Prozent auf fast 25 Prozent.

Nur diese Angst erklärt, warum die Ökonomie die politische Bühne beherrscht und ein Rettungspaket eingefordert hat, das mit einem Volumen von 700 Milliarden Dollar alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.

Die Finanzindustrie könnte sich auch selbst helfen - genügend Geld ist da. Doch das Misstrauen ist zu groß. Man weiß, welche Banken derzeit Geld brauchen. Man kennt die Tricks, mit denen Bilanzregeln gedehnt werden, um die wirkliche Lage zu verschleiern. Welchen Teil des Monsters der Nachbar also noch im Keller haben könnte, ist unbekannt.

Carte blanche

Darum behält jeder sein Geld für sich. Was für eine bittere Ironie! Banken zogen sich jahrelang mit den toxischen Hypothekenpapieren gegenseitig über den Tisch und und machten damit glänzende Geschäfte. Den Giftmüll soll nun mit den 700 Milliarden Dollar der Steuerzahler kaufen - Cash for Trash eben.

Wie höhnisch klingen da die Kommentare derer, die jetzt schon sagen, dass die Vereinigten Staaten am Ende womöglich noch verdienen. Die Banken lassen sich das Geschäft mit dem Giftmüll jedenfalls nur allzu gerne entgehen. Und die vorläufige Ablehnung im Repräsentantenhaus zeigt, dass viele Abgeordnete genauso denken.

Die Arroganz der Finanzindustrie hatte mit Ex-Goldman-Chef Henry Paulson, dem gegenwärtigen US-Finanzminister, ihre Fortsetzung in der Politik gefunden. Er hatte das Rettungspaket durchgedrückt und wollte es eilig mit einer Carte blanche paaren: Keinem sollte er Rechenschaft schuldig sein.

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Das Billion-Dollar-Baby

Für die Politik hätte das bedeutet: Nicht verstehen, nur zahlen. Doch soweit wollte sich die Vorzeigedemokratie nicht fesseln lassen. Auch Paulson untersteht der parlamentarischen Kontrolle - in welcher Form auch immer das Rettungspaket nun durchgehen wird.

Was Wunder, dass Paulsons ebenso eiliges wie rüdes Vorgehen, die mächtigen Verluste an den Finanzmärkten, die vielen Bankenzusammenbrüche und die Angst der Institute voreinander selbst bei jenen ein Gefühl von Bedrohung auslösen, die sich nie mit Finanzmärkten beschäftigen. Zum ersten Mal scheint selbst das Sparbuch unsicher zu sein.

Was ist da los? Was erleben wir da eigentlich? Ist das die größte Finanzkrise der Geschichte?

Die Antwort heißt: Keiner weiß es. Selbst Wirtschaftshistoriker tun sich schwer, die aktuellen Geschehnisse in die an Krisen reiche Wirtschaftsgeschichte einzuordnen.

Nach welchem Maßstab auch? Geht es um die Volumina, übertrifft die aktuelle Krise alle historischen Werte. Geht es um die Zahl der Bankzusammenbrüche, dann wiegen die 9000 kollabierten Banken der Weltwirschaftskrise schwerer. Geht es um die Größe der zusammengebrochenen Institute, dann ist die aktuelle Krise wuchtiger.

Damals wurde die Politik zum Handeln gezwungen - heute ist es genauso. 1933 wurde beispielsweise im Rahmen des Glass-Steagall Acts beschlossen, dass die Heißsporne in den Wertpapierabteilungen nie wieder das Geld von Privatkunden verzocken sollten. Die Bankenwelt wurde in Geschäftsbanken und Investmenthäuser aufgespalten. Wer spekulieren wollte, sollte sich das Geld auf den Kapitalmärkten beschaffen und nicht von den Konten holen.

Ausgerechnet jetzt wurde diese Regel wieder außer Kraft gesetzt, damit die Banken zur Sicherung des Geschäftsbetriebes auf Kundengelder zurückgreifen können. Allerdings nur vorübergehend.

Aktuell setzt die Politik wieder alles dran, das Bankgeschäft sicherer zu machen. Sie wird dabei vor allem die Dynamik der Finanzindustrie zu bremsen versuchen.

Doch anders als in anderen Branchen, wo der Fokus auf die Sicherheit tatsächlich Produkte sicherer gemacht hat, schafft sich die Finanzwelt immer neue Schlupflöcher. Darum ist nur eines sicher - die nächste Krise. Immerhin haben wir uns an die Billion nun gewöhnt - und bis zur Billiarde ist noch etwas Zeit.

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