Finanzkrise:Auf dem Weg in eine neue Finanzwelt

Die Wall Street wird auf Jahre, vielleicht Jahrzehnte, am Tropf der amerikanischen Steuerzahler hängen - und seine Bedeutung verlieren.

Moritz Koch

Schlag um Schlag rückt das Herz des Kapitalismus der Verstaatlichung näher. Innerhalb der vergangenen zwei Wochen hat die amerikanische Regierung die größten Hypothekenfinanzierer des Landes, Freddie Mac und Fannie Mae, unter Zwangsverwaltung gestellt.

Morgan Stanley
(Foto: Foto: dpa)

Sie hat den weltgrößten Versicherer AIG unter ihre Kontrolle gebracht. Und um weitere Notoperationen zu vermeiden, hat sie einen Plan vorgelegt, mit dem sie Banken faule Kredite im Wert von 700 Milliarden Dollar abkaufen will.

Schneller als Chavez

Die Wall Street, bisher das Zentrum das globalen Bankensystems, wird auf Jahre, vielleicht Jahrzehnte, am Tropf der amerikanischen Steuerzahler hängen.

Der Economist, Pflichtlektüre der Finanzelite, flüchtet sich in schwarzen Humor: Die Bush-Regierung nationalisiere die Wirtschaft schneller als Venezuelas sozialistischer Volkstribun Hugo Chavez, schreibt er.

Wie konnte es soweit kommen? Die Suche nach einer Antwort führt in die Vororte von San Diego, Kalifornien. Hier kündigte sich schon Ende 2006 die Immobilienkrise an, die das globale Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs führen sollte.

Immer mehr Bewohner der Vororte konnten ihre Hypotheken nicht zurückzahlen. Sie versuchten ihre Häuser zu verkaufen, aber fanden niemand, der sie haben wollte. Die Häuserpreise bröckelten und Regionalbanken mussten erkennen, dass sie das Geld, das sie verliehen hatten, nicht wieder zurückbekommen.

Der Preisverfall breitete sich schnell im ganzen Land aus. Die Immobilienpreise in den USA sind bisher um 20 Prozent gesunken. Schon bald könnten es 30 Prozent sein, glauben Ökonomen. So stark fielen die Preise zuletzt in den 1930er Jahren - zu Zeiten der Großen Depression.

In Vorstädten Kaliforniens, Nevadas und Floridas ist der Preisverfall besonders stark. Doch die Probleme blieben nicht auf die Provinz beschränkt. Investment-banken hatten den Regionalbanken die Kredite abgekauft und sie zu neuartigen Anlageinstrumenten verarbeitet. Dadurch ermutigten sie ihre Geschäftspartner, auch sozialschwachen Schuldnern Kredit zu gewähren.

Unverkäuflicher Ballast

Subprime, nannten die Amerikaner dieses Marktsegment. Die risikofreudigen Investmentbanken versprachen sich gewaltige Gewinne, weil hier die Zinsen höher waren. Doch ihre Wetten auf weiter steigende Immobilienpreise und geringe Ausfallraten bei der Tilgung der Darlehnen gingen nicht auf. Fast zehn Prozent aller Hypotheken in den USA sind heute säumig oder bereits gekündigt.

Viele der zu Wertpapieren gebündelten Subprime-Kredite behielten die Wall-Street-Institute in ihren Büchern, andere verkauften sie an Banken, Hedgefonds und Finanzinvestoren auf der ganzen Welt. Diese Anlagen sind nun so gut wie unverkäuflich.

Die Investoren werden den Ballast in ihren Bilanzen nicht mehr los. Auch deutsche Kreditinstitute, die in den amerikanischen Immobilienmarkt investiert hatten, wurden zu Boden gerissen. Die Düsseldorfer IKB und die SachsenLB zählten sogar zu den ersten Opfern der Krise.

Am schwersten aber wurde die Wall Street selbst erschüttert. Im März diesen Jahres kollabierte Bear Stearns, die fünftgrößte amerikanische Investmentbank. Vergangenen Montag meldete Lehman Brothers, die viertgrößte Investmentbank, Konkurs an.

Am gleichen Tag rettete sich die drittgrößte Investmentbank Merrill Lynch in die Arme der Bank of America. Daraufhin stürzten auch die Börsenkurse der zweitgrößten Investmentbank Morgan Stanley und des Branchenführers Goldman Sachs ab, obwohl beide Institute hohe Gewinne erwirtschaften.

Inzwischen haben Goldman und Morgan Stanley angekündigt, normale Geschäftsbanken werden zu wollen, um mehr Hilfe von der US-Zentralbank in Anspruch nehmen zu können. Ohne diese Unterstützung hätten auch sie den Untergang fürchten müssen. Der Schritt besiegelt das Ende der Wall Street, wie die Welt sie kannte, verehrte und fürchtete.

Dem Weltfinanzsystem steht nun eine kopernikanische Wende bevor. Bisher haben Banken weltweit mehr als 500 Milliarden Dollar abgeschrieben. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wird die Summe noch auf eine Billionen Dollar stiegen. Das US-Finanzministerium und die Zentralbank haben für die Rettung von Bear Stearns, Freddie Mac und Fannie Mae und AIG schon Risiken in Höhe von 314 Milliarden Dollar übernommen.

700 weitere Milliarden werden mit dem Rettungsplan dazu kommen, dem der Kongress noch diese Woche zustimmen soll. Selbst die größte Volkswirtschaft der Welt wird diese Last nicht schultern können, ohne die mittelfristig Steuern zu erhöhen und niedrigere Wachstumsraten in Kauf zu nehmen. Auch dann nicht, wenn sich der Immobilienmarkt erholt und hypothekengedeckte Wertpapiere wieder private Käufer finden.

Nach dem Sturm auf den Märkten wird Manhattan nicht länger das Zentrum der Finanzwelt sein. Auch London wird an Bedeutung verlieren. Dagegen werden asiatische Handelsplätze gestärkt aus der Krise hervorgehen und Banken aus Schwellenländern die Dominanz der großen westlichen Kreditinstitute herausfordern. Die Umwälzung der globalen Finanzmärkte hat gerade erst begonnen.

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