Finanzdienste bei Walmart:Supermarkt - und Ersatzbank

Ein Päckchen Wurst, ein Becher Joghurt - und eine Handvoll Dollar: Bei der US-Supermarktkette Walmart können die Kunden jetzt auch Finanzdienste nutzen. Die Amerikaner machen das gerne, denn die Wut auf die klassischen Banken ist groß.

Viola Schenz

Es gibt diese grandiose Eingangsszene in dem amerikanischen Kultfilm The Big Lebowski (1998), in der Jeff Bridges alias The Dude einen halben Liter Sahnemilch am Supermarktkühlregal umständlich aussucht und dann an der Kasse im Zeitlupentempo einen Scheck über 69 Cent ausstellt, während ihm die Kassiererin gelangweilt-kaugummikauend zusieht.

A worker brings carts back into a Walmart store in Westminster

Der größte Einzelhändler der Welt, Walmart, bietet nun Finanzdienste im Supermarkt - das kommt an.

(Foto: REUTERS)

Die Szene treibt eine amerikanische Marotte auf die Spitze, nämlich für alle möglichen Arten des Geldtransfers Verrechnungsschecks einzusetzen: für das Gehalt, für die Miete, für den Babysitter und eben auch mal für Kleinstbeträge an der Supermarktkasse. Einen dicken Abreißblock mit namentlichen Schecks hat jeder Amerikaner als Grundausstattung im Portemonnaie. Schecks ersetzen in den USA oft immer noch die in anderen Ländern seit Ewigkeiten üblichen Überweisungen. Das ist nicht nur umständlich, sondern auch kostspielig, denn die Banken verlangen für die Einreichung allerlei Gebühren.

Diese Umstände macht sich Walmart inzwischen zunutze - und zwar mit immer größerem Erfolg. In mehr als 1000 seiner US-Filialen unterhält die Supermarktkette sogenannte Money Center mit einfachen Finanzdienstleistungen: Schecks einlösen, Rechnungen bezahlen oder Prepaid-Kreditkarten aufladen. Diesen Service gibt es dort schon länger, aber neuerdings bekommt er immer größeren Zulauf.

Mehr und mehr Amerikaner kehren ihren Banken den Rücken: Weil sie wegen der Finanzkrise wütend auf sie sind, weil sie wegen Jobverlusts ihr Konto aufgeben - oder weil sie einfach deren hohe Gebühren meiden. So verlangt Walmart für eine bestimmte Prepaid-Kreditkarte drei Dollar und weitere drei Dollar Monatsgebühr, während diese sonst 4,95 Dollar plus 5,95 pro Monat kostet.

"Unglücklich Bank-betreut"

Man bediene damit eben die "unhappily banked", zitiert die New York Times einen Walmart-Verantwortlichen. Eine wunderbare Umschreibung, die sich allenfalls mit "unglücklich Bank-betreut" übersetzen ließe.

Walmart gibt nicht bekannt, wie viele Finanzkunden in jüngerer Zeit dazugewonnen wurden, doch die Schlangen in den Money Centern werden länger und die Angebotspalette breiter. Der Konzern ist damit Teil eines größeren Trends. Die New York Times schrieb unlängst von 650.000 Amerikanern, die ihre Banken boykottieren und sich stattdessen bei Kreditgenossenschaften eingetragen haben; und die Occupy-Wall-Street-Bewegung hat einen "Bank Transfer Day" initiiert, der zum Verlassen traditioneller Banken aufruft.

Walmart ist also Trittbrettfahrer einer Boykottbewegung, unabsichtlich, aber nutznießerisch. Als weltgrößter, umsatzstärkster Einzelhändler (gut 9800 Filialen in 28 Ländern) kann die Kette ganz anders (misch-)kalkulieren, und damit nicht nur bei Cornflakes, Shampoo oder Socken teils enorme Preisnachlässe gewähren, sondern auch bei Bankgebühren. Das freut den Kunden, neuerdings eben auch den Finanzkunden.

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