Finanz- und Wirtschaftskrise:Größer als die Große Depression

Wiederholt sich die Geschichte? Der heutige Wirtschaftsabsturz ist steiler als 1929, aber die Politik steuert härter dagegen. Doch reicht das?

Ulrich Schäfer

Wenn Barry Eichengreen und Kenneth O'Rourke auf ihre Kurven schauen, können sie den Optimismus, der gerade bei Bankern, Analysten und Politikern aufkeimt, nicht verstehen. Die Kurven zeigen, wie steil die Weltwirtschaft heute abstürzt - und wie steil vor acht Jahrzehnten. Und sie lassen, so glauben die beiden Wirtschaftswissenschaftler aus Kalifornien und Irland, nur einen Schluss zu: "Wir erleben derzeit eine Entwicklung, die genauso schlimm ist wie in der Großen Depression - oder sogar noch schlimmer."

Finanz- und Wirtschaftskrise: Im Überblick: Die Industrieproduktion weltweit.

Im Überblick: Die Industrieproduktion weltweit.

(Foto: SZ-Graphik)

Und daran hat sich, seit Eichengreen und O'Rourke ihren Vergleich vor zwei Monaten erstmals publizierten, nichts verändert. Gerade haben sie ihre Kurven aktualisiert und unter dem Titel "A Tale of Two Depressions" (Die Geschichte zweier Depressionen) erneut ins Internet gestellt. Und siehe da: Der jüngste Aufschwung an den Börsen und bei manchen Indikatoren schlägt sich in den Charts kaum nieder. Hier und da hat sich eine klitzekleine Veränderung ergeben. Aber insgesamt bleibe es bei der Erkenntnis, "dass die heutige Krise wenigstens genauso so schlimm ist wie damals".

Depression, ein bisschen

Es ist eine Botschaft, die nicht gern gehört wird und die manche bestreiten. Und natürlich gibt es zwischen der großen Rezession heute und der Großen Depression damals Unterschiede. Doch auch andere Ökonomen wie Paul Krugman meinen, dass die Welt "zumindest in einer halben Großen Depression steckt".

Als Beginn der jetzigen Krise machen Eichengreen und O'Rourke den April 2008 aus, als die weltweite Industrieproduktion ihren Höchststand erreichte. Seither bricht die Industrie genauso schnell ein wie zu Beginn der Großen Depression. Deren Anfang sehen die Ökonomen im Juni 1929, dem damaligen Höhepunkt der industriellen Produktion. In Frankreich oder Italien geht die Industrieproduktion diesmal sogar deutlich schneller zurück als damals, in den USA ist der Absturz dagegen etwas milder, während Deutschland oder Großbritannien relativ genau dem Trend der 30er Jahre folgen.

Der Blick auf Amerika allerdings "führt zu einem falschen Eindruck", warnen Eichengreen und O'Rourke. Denn die Große Depression sei ein "globales Phänomen" gewesen: "Auch wenn sie ihren Ursprung in gewisser Weise in den USA hatte, wurde sie international über den Welthandel, die Kapitalströme und die Rohstoffpreise beschleunigt." Deshalb sei es alarmierend, dass der Welthandel in den vergangenen Monaten schneller eingebrochen sei als vor acht Jahrzehnten. Deutschland exportierte 22 Prozent weniger als vor einem Jahr, Japan meldet ein Minus von 54 Prozent und selbst in China, der anderen großen Exportnation, beträgt das Minus 25 Prozent. Und dieser Einbruch vollzieht sich, ohne dass die Staaten wie in der Großen Depression ihre Zölle erhöhen.

Der Absturz der Aktien

Auch die Aktienmärkte sind in den vergangenen 14 Monaten trotz der jüngsten Kurserholung stärker abgestürzt als zwischen dem Juni 1929 und dem August 1930. Etwa 40 Prozent des weltweiten Börsenwerts wurden bereits vernichtet. Vor acht Jahrzehnten endete der Crash an den Finanzmärkten erst nach drei Jahren. Bis zum 8. Juli 1932 verlor der amerikanische Leitindex Dow Jones 90 Prozent. Es dauerte danach ein Vierteljahrhundert, ehe er sein altes Niveau wieder erreicht hatte.

Eine gewisse Hoffnung

Damals wie heute ging dem Absturz eine Zeit der wilden Spekulation voraus. Jeder, der etwas Geld übrig hatte, versuchte vor acht Jahrzehnten sein Glück am Aktienmarkt, selbst Dienstmädchen, Friseure und Taxifahrer spekulierten. Sie steckten ihr Geld in hochriskante Investmenttrusts, deren Wirkung die wenigstens begriffen. Ökonomen, Politiker und Medien verkündeten damals, es habe eine neue Ära des Wohlstands begonnen. Sie täuschten sich. Am 24. Oktober 1929 platzte die Spekulationsblase.

Doch es gibt auch Unterschiede zu damals: So ist die Zahl der Arbeitslosen heute noch längst nicht so hoch wie damals. Auf dem Höhepunkt der Großen Depression standen 30 Prozent der Deutschen auf der Straße, in den USA waren 25 Prozent ohne Job und in Großbritannien 22 Prozent. Davon sind die Industrieländer heute weit entfernt. In Deutschland sind derzeit 3,46 Millionen Menschen arbeitslos, das entspricht einer Quote von 8,2 Prozent. Ein Anstieg auf 30 Prozent würde einhergehen mit 13 Millionen Jobsuchenden.

Auch Eichengreen und O'Rourke geben in ihrer Studie einen gewissen Anlass zur Hoffnung. Sie konzedieren, dass sich Regierungen und Notenbanken diesmal mit viel mehr Kraft gegen die Krise stemmen. So wenden die Staaten erheblich mehr Geld für ihre Konjunkturprogramme auf - und versuchen anders als damals nicht auch in der Krise noch zu sparen. Und die Notenbanken, die in den 30er Jahren das Geld zu sehr beisammenhielten, versorgen die Banken diesmal großzügig mit Krediten. Sie haben die Zinsen zudem deutlich gesenkt.

Die große Frage sei, schreiben Eichengreen und O'Rourke, ob dies alles wirkt. Die beiden Ökonomen werden ihre Studie deshalb weiter aktualisieren. Spätestens im April 2011 werden sie wissen, welche Krise schlimmer war. Dann wäre die jetzige Rezession drei Jahre alt. So lange dauerte auch der Absturz während der Großen Depression.

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