Exklusiv: David Rockefellers Memoiren VI:Zum Kaffee beim Staatsfeind Nummer eins

Milliardär David Rockefeller war nicht nur im Auftrag der Chase Bank weltweit unterwegs. Für die US-Regierung traf er Nikita Chruschtschow und Saddam Hussein.

Der langjährige Bankchef David Rockefeller trat zuweilen auch als diplomatischer Vermittler auf. In seinen Memoiren, aus denen die Süddeutsche Zeitung und sueddeutsche.de Auszüge veröffentlichen, schildert er, wie er 1964 mit seiner Tochter Neva den sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow besuchte. In den sechziger Jahren traf er den irakischen Diktator Saddam Hussein.

Exklusiv: David Rockefellers Memoiren VI: Nikita Chruschtschow

Nikita Chruschtschow

(Foto: Foto: dpa)

"Es waren nur wir vier anwesend: Neva, ich, Chruschtschow und sein hervorragender Dolmetscher, Victor Suchodrev, der in Brooklyn geboren worden war und für die Sowjetführung übersetzte. Wir saßen auf harten Holzstühlen mit senkrechten Lehnen um einen großen lackierten Eichentisch, Chruschtschow auf einer Seite und Neva und ich ihm gegenüber. Suchodrev saß am Ende des Tisches zwischen uns.

Der Rüpel mit dem Schuh

Abgesehen von einem großen Portrait Lenins, das den Raum beherrschte, gab es keine weitere Dekoration. Obwohl es in der Sowjetunion unter Chruschtschow ein deutliches Tauwetter gegeben hatte, war sein Image noch immer das eines ungehobelten Rüpels, der in der UN seinen Schuh ausgezogen und damit auf sein Pult geklopft hatte, um den britischen Premierminister Harold MacMillan bei der Verurteilung sowjetischer Aktionen zu unterbrechen. Während des über zweistündigen Gesprächs gab es keine Telefonanrufe oder andere Unterbrechungen.

In einem Versuch, diplomatisch zu sein, erwähnte ich die Bedeutung von Kontakten auf höchster Ebene und erklärte, dass ich hoffte, dass er und Präsident Johnson in der Lage sein würden, eine enge Beziehung aufzubauen, doch Chruschtschow machte einen Gedankensprung und beklagte sich bitterlich über die Einflussnahme der Amerikaner auf die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion. Ich fand, dass Russen erstaunlich empfindlich auf amerikanische Kritik an ihrem Regime reagierten.

Rockefellers Tochter schrieb mit

Nach diesem ersten Geplänkel wurde unser Gespräch ernster. Das von Neva übertragene Gespräch - sie schrieb wie eine Wilde neben mir - zeigt die Denkweise Chruschtschows in einer kritischen Phase der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die gleichzeitig auch eine kritische Phase in seiner Karriere war: Knapp zwei Monate später, Mitte Oktober 1964, wurde Chruschtschow abgelöst.

Es war ein außerordentliches Treffen gewesen - obwohl es teilweise streitsüchtig, ja nahezu feindselig gewesen war. Aber abgesehen von der schwierigen Natur der Themen, die wir diskutiert hatten, spürte ich keine persönliche Animosität mir gegenüber. Im Gegenteil, am Ende empfand ich großen Respekt vor Chruschtschow und ich glaube, das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Ich hatte am Ende unserer Begegnung auch ein starkes Gefühl - nennen Sie es Instinkt eines Bankiers -, dass die oberste Sowjetführung die finanziellen und kommerziellen Verknüpfungen mit den Vereinigten Staaten ausdehnen wollte, und trotz Chruschtschows souveräner Versicherungen über die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Sowjetunion spürte ich, dass dem Land ernsthafte wirtschaftliche Probleme drohten.

Präsident Johnson fragt nach

In der zweiten August-Hälfte schickte mir Präsident Johnson eine persönliche Einladung und bat mich, gleich nach dem Kongress der Demokraten nach Washington zu kommen, "damit wir über Ihre Reise sprechen können". Ich hatte bereits ein gutes Verhältnis zum Präsidenten. Johnson war ausgesprochen intelligent und verfügte über ein intuitives Gespür für jede politische Situation, mit der er in Berührung kam.

Bei unserem Treffen im Oval Office fragte Johnson mich nach Chruschtschows Stimmungslage und Haltung den Vereinigten Staaten gegenüber. Bis zu dem Zeitpunkt hatten nur wenige Amerikaner Chruschtschow persönlich getroffen und der Präsident und seine Berater waren gespannt auf meine Einschätzung seiner Person und des Potenzials für eine Veränderung.

Ich erklärte, dass Chruschtschow trotz seiner harten und dogmatischen Sprache ganz eindeutig die Tür für weitere Kontakte mit den Vereinigten Staaten geöffnet habe. Der Präsident schien von meinen Ausführungen überzeugt zu sein und stimmte dem Vorschlag zu, dass wir Schritte unternehmen sollten, um die Möglichkeiten für Handelsbeziehungen und andere kommerzielle Verbindungen mit der Sowjetunion auszubauen."

Feindseliger irakischer Außenminister

"Obwohl die Chase nur wenige direkte Geschäfte mit dem Irak abwickelte, unterhielten wir doch zu meiner Zeit eine anständige Korrespondenzbeziehung mit ihrer Zentralbank, der Bank Rafidian. Als die Iraker die diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nach dem Krieg von 1967 abbrachen, blieb diese Beziehung eine der wenigen Verbindungen zwischen den beiden Ländern. Henry Kissinger, der nach Möglichkeiten suchte, den Irak in einen umfassenden Friedensprozess im Mittleren Osten einzubeziehen, fragte mich, ob ich bereit wäre, Kontakt mit den irakischen Führern während einer meiner Reisen in die Region herzustellen.

Ich erklärte mich dazu bereit und erhielt durch die Vermittlung des Präsidenten der Bank Rafidian ein Visum, das es mir erlaubte, nach Bagdad einzureisen, um Bankangelegenheiten zu besprechen. Es gelang mir auch, ein Treffen mit Außenminister Sadoon Hammadi zu vereinbaren.

Hammadi hatte die Universität von Wisconsin abgeschlossen und sprach fließend Englisch, aber sein Benehmen war vom ersten Moment an, als ich sein Büro betrat, äußerst feindselig. Es wurde sogar noch ausgeprägter, als ich ihm erzählte, dass ich auf Henry Kissingers Bitte gekommen sei und eine Botschaft für Saddam Hussein hätte, der weitgehend als der starke Mann der irakischen Politik angesehen wurde.

Hammadi sagte: "Absolut unmöglich. Er kann Sie keinesfalls empfangen." Ich erwiderte: "Ich werde 24 Stunden in Bagdad bleiben und ich bin bereit, mich mit ihm zu jeder Tages- und Nachtzeit zu treffen." Als Hammadi weiter darauf bestand, dass ein Treffen unmöglich sei, sagte ich: "Ich bin bis morgen Mittag hier und würde es begrüßen, wenn Sie Saddam Hussein ausrichten würden, dass ich eine Botschaft von Außenminister Kissinger für ihn habe und dass ich mich freuen würde, ihn zu sehen, sofern er mich zu empfangen wünscht."

Saddam Husseins fensterloses Büro

Als ich an diesem Abend im Begriff war, zu einem Dinner der Bank Rafidian zu gehen, erhielt ich die Nachricht, dass Hussein mich um neun Uhr abends in seinem Büro empfangen würde. Ich wurde mit einem Wagen zum National Council am Ufer des Tigris gebracht. Das Gebäude verbreitete eine schlechte Aura, die auch während des langen Weges durch eine endlose Reihe von verdunkelten Gängen und bewaffneten Wachen nicht gemildert wurde.

Als wir schließlich in seinem Büro ankamen, einem kleinen, kahlen, fensterlosen Raum in den Tiefen des Gebäudes, begrüßte Hussein mich höflich. Er war ein stämmiger Mann von durchschnittlicher Größe. Sein Gesicht war ernst und bar jeden Lächelns und er trug schon damals sein Markenzeichen, den Schnauzbart. Wir unterhielten uns über eine Stunde lang mithilfe eines Dolmetschers.

Ich erklärte ihm, dass Henry Kissinger der Meinung sei, es stehe im Widerspruch zu den Interessen des Iraks und der Vereinigten Staaten, dass es keine Kommunikation zwischen ihnen gebe, und ich sagte ihm, dass der Außenminister bemüht sei, einen Weg zu finden, um einen Dialog aufzubauen. Ich fragte, wie man das am besten anstellen könne.

Saddam wies mit dem Finger auf die Tür, durch die ich eingetreten war, und sagte: "Die Tür ist möglicherweise einen Spalt geöffnet, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind." Zunächst sollten die Vereinigten Staaten die Lieferung von Waffen an Israel, die gegen den Irak eingesetzt werden könnten, stoppen und damit beginnen, eine "entschlossene Rolle bei der Sicherung der Rechte der Palästinenser zu spielen".

Zweitens sollten die Vereinigten Staaten damit aufhören, Waffen an den Iran zu verkaufen, oder zumindest die Verkäufe mit der Bedingung verknüpfen, dass der Iran diese Waffen nicht gegen den "Irak oder irgendeine andere arabische Nation" einsetzt.

"Ein humorloser Mann"

Ich berichtete Henry Kissinger nach meiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten von diesem Gespräch. Saddams erste Bedingung bezüglich Israel würde von den Vereinigten Staaten natürlich niemals akzeptiert werden. Allerdings führte eine Wiederannäherung zwischen den Irakern und Iranern innerhalb weniger Monate zu einer Beendigung der Unterstützung der Kurden und binnen weniger Jahre zu einer kolossalen Verbesserung des amerikanisch-irakischen Verhältnisses.

Saddam schien ein ausgesprochen humorloser Mann zu sein, der mir gegenüber unerbittlich, aber nicht feindselig seine Ansichten vertrat. Als ich ihm in jener Nacht gegenübersaß, hatte ich keinen Grund zu der Annahme, dass er innerhalb relativ weniger Jahre als "Schlächter von Bagdad" bekannt werden sollte - ein ruchloser und verachtenswerter Führer, wie ihn die Welt noch nie gesehen hatte."

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