Exklusiv: David Rockefellers Erinnerungen III:Unterwegs in Nazi-Deutschland

Lesezeit: 3 min

Der New Yorker Milliardär David Rockefeller erzählt in seinen Memoiren von Zornestränen wegen Hitlers Hetzreden, hohlen Partys in Frankfurt und einem Schnappschuss von Hitler auf der Münchner Ludwigstraße.

In seinen nun auf Deutsch erschienenen Memoiren, aus denen die Süddeutsche Zeitung und sueddeutsche.de Auszüge zeigen, schildert der New Yorker Milliardär und ehemalige Bankenchef David Rockefeller, 92, zwei Besuche im nationalsozialistischen Deutschland. 1935 reiste er mit einem Kommilitonen aus Havard, Dick Gilder, und 1937 mit seinem Freund Bill Waters.

"Im Frühjahr 1935 entschlossen Dick Gilder und ich uns, im Sommer mit dem Auto durch Europa zu reisen. Wir waren zum Teil durch zwei Kunstkurse angeregt worden, an denen wir teilgenommen hatten, und durch das Verlangen, einmal einige der Meisterwerke der europäischen Kunst, die wir studiert hatten, aus nächster Nähe zu sehen.

Begegnung im Schwarzwald

Gleichzeitig waren wir allerdings völlig gefesselt von der ominösen politischen Situation in Deutschland, die uns große Sorgen um die Zukunft bereitete. Wir segelten in der Touristenklasse auf der S. S. Olympic und führten einen Ford-Tourenwagen - Modell a - mit uns, den Vater mir für meine Zeit am College zur Verfügung gestellt hatte. Wir fuhren durch die Benelux-Länder und machten ein paar Tage in Paris Station, bevor wir weiter nach Deutschland fuhren, wo wir zwei Wochen blieben.

Das Land war sichtbar das Dritte Reich geworden. Während wir durch Deutschland fuhren, sahen wir auf öffentlichen Plätzen Plakate mit Parolen, die die Juden beschuldigten, den "Ruin" Deutschlands zu verantworten. Die Hälfte der Bevölkerung schien in Uniformen der einen oder anderen Art zu stecken. Eines Abends, als Dick und ich in einem Gasthaus am Rande des Schwarzwaldes saßen, kam eine Gruppe von Soldaten herein, setzte sich an einen Tisch in der Nähe und begann ein Gespräch mit uns. Sie wollten alles über die Vereinigten Staaten wissen und waren sehr gesprächig; am Ende des Abends hatten sie uns ihre Lebensgeschichten erzählt.

Sie hätten nicht freundlicher sein können - bis ein Ehepaar, das durch den Schwarzwald gewandert war, ins Gasthaus kam. Ein Sargtuch legte sich über den Raum. Wir begannen gerade zu verstehen, was vor sich ging, als die Soldaten den Neuankömmlingen deutlich sichtbar den Rücken zukehrten und anfingen, mit lauter Stimme über die Juden und darüber, dass sie eine Gefahr für Deutschland seien, zu reden.

Zornestränen vor dem Radio

Als das Paar wieder ging, drehte sich einer der Soldaten um, hob den rechten Arm und sagte "Heil Hitler". Die Frau antwortete sehr höflich, dass sie den offiziellen Gruß nicht benutze, aber ihnen trotzdem eine gute Nacht wünsche. Dann gingen sie hinaus. Wir fühlten uns sehr unbehaglich und gingen ebenfalls kurze Zeit später.

Dick und ich hörten häufig nachts Radio, und ich übersetzte die Radioübertragungen von Hitlers leidenschaftlichen Hetzreden, so gut ich konnte. Selbst ohne jedes Wort zu verstehen, spürten wir Hitlers mächtigen Einfluss auf die Deutschen, den wir auch in der wachsenden Reglementierung des täglichen Lebens sahen. Allein das Vernehmen des Tonfalls und der Dramatik von Hitlers Rhetorik machte Dick wütend und versetzte ihn in Schrecken, und am Ende einer Rede hatte er Zornestränen in den Augen.

In den Weihnachtsferien 1937 reisten Bill und ich nach Deutschland. In München wurden wir Zeugen der gewaltigen Beerdigungsprozession für General Erich Ludendorff, den eigentlichen Führer der deutschen Armee während des Ersten Weltkrieges und 1923 Hitlers Verbündeter bei seinem Putsch. Die größte Menschenmenge, die ich jemals gesehen hatte, verstopfte die Ludwigstraße, Münchens wichtigste Prachtstraße.

Schnappschuss von Hitler

Schwerbewaffnete SS-Truppen standen auf beiden Seiten der Straße in Hab-Acht-Stellung. Während Bill und ich uns nach vorn drängten, begann der Trauerzug mit Hitler an der Spitze seiner Truppen, die ihm im Stechschritt folgten. Ich machte einen Schnappschuss mit meiner Leica, als er vorbeistolzierte und huldvoll den Nazi-Gruß mit ausgestrecktem Arm und die donnernden Sieg-Heil-Rufe entgegennahm.

Ich hatte noch nie eine solche Heldenverehrung wie von dieser nahezu irren Menschenmenge gesehen - und niemals so tiefes Unbehagen darüber empfunden, was diese bedeutete. Nach dieser abschreckenden Begegnung verbrachte ich den Rest der Ferien mit einem guten Freund aus Harvard, Ernst Teves, in Frankfurt. Sein Vater war ein bekannter deutscher Industrieller.

Wir besuchten eine Reihe von Partys, unter anderem einen aufwendigen Kostümball, bei dem sich die Frankfurter Gesellschaft beinahe verzweifelt bemühte, sich zu amüsieren. Es kam mir so vor, als ob die zunehmende Reglementierung des täglichen Lebens, die drohende Nazi-Ideologie und die empörende Verfolgung der Juden und anderer Menschen unterschwellig Furcht und Angst hervorgerufen hätten.

Überall waren Hakenkreuze, und die Menschen verhielten sich unterwürfig, wenn sie mit offiziellen Parteimitgliedern der NSDAP zusammentrafen. Die Ausgelassenheit auf den Partys, die ich besuchte, schien forciert und hohl zu sein. Voller Sorge um die Zukunft kehrte ich nach England zurück."

© SZ vom 04.04.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: