Ex-Banker beichten:Kreditrausch und Champagnerpartys

Geschichten aus einer Parallelwelt: In England packen ehemalige Banker über Missstände bei ihren damaligen Arbeitgebern aus.

A. Oldag

"Risiken bin ich gewohnt", sagt Paul Moore und lacht. Der sportliche Mittfünfziger ist ein begeisterter Drachenflieger. Sogar in den schroffen südamerikanischen Anden schwang er sich mit seinem wackeligen Gefährt in die Lüfte. Außerdem steuerte der Sportfan mit dem markanten Glatzkopf eine 14 Meter lange Segelyacht von den Galapagosinseln nach Tahiti.

HBOS, AFP

Immer häufiger berichten ehemalige Banker über interne Details ihrer damaligen Arbeitgeber.

(Foto: Foto: AFP)

Einen Job mit ganz anderen Risiken hatte Moore bei der angeschlagenen britischen Großbank HBOS, die vor kurzem vom Konkurrenten Lloyds übernommen wurde. Moore sah das Desaster bei HBOS, einem der größten Bau- und Immobilienfinanzierer auf der Insel, schon vor drei Jahren voraus. Als Leiter eines Teams für Risikomanagement warnte er seine Vorgesetzten vor einer allzu laxen Kreditvergabe. Die Bank prüfte die Bonität ihrer Kunden offenbar nur unzureichend. Doch die Vorstände ignorierten den Querulanten und feuerten ihn.

HBOS entwickelte sich zum "Haus des Schreckens", wie die Zeitung Guardian schrieb. 10,8 Milliarden Pfund (13 Milliarden Euro) Verluste häufte das Institut 2008 an. Jetzt müssen die britischen Steuerzahler für die inzwischen verstaatlichte Lloyds Banking Group geradestehen.

Gesetzlicher Schutz

Der gelernte Anwalt Moore gab nach seinem Rauswurf nicht auf. Er ging als sogenannter Whistleblower (Hinweisgeber, "to blow the whistle" heißt "jemanden verpfeifen") an die Öffentlichkeit. In einem Bericht an den Finanzausschuss des Parlaments listete Moore jetzt explosive Details aus einer Bank auf, die von skrupellosen Managern in den Abgrund getrieben wurde.

Moores Enthüllungen beendeten im Februar sogar die Karriere des ehemaligen HBOS-Chefs James Crosby, der zuletzt Vizechef der britischen Finanzmarktaufsicht FSA war. Crosby hatte den hochdotierten Behördenposten offenbar mit Zuspruch von Premier Gordon Brown erhalten, der sich auch in Wirtschaftsfragen von ihm beraten ließ.

Die Skandale in der Finanzbranche animieren Insider dazu, Wissen über Fehlentwicklungen, Gefahren und Risiken preiszugeben. Sie liefern Ermittlungsbehörden und Staatsanwälten wichtiges Material. Im Gegensatz zu Deutschland genießen die Enthüller in der angelsächsischen Rechtskultur größeren gesetzlichen Schutz, wenn sie nachweisen können, dass sie aus Zivilcourage gehandelt haben.

Lesen Sie im zweiten Teil, wieso Paul Moore das Unternehmen verlassen musste - und welche Details ein anderer Banker über den Konkurrenten Barclays zu erzählen hat.

Strategie auf tönernen Füßen

Ihn hätten seine christlichen Wertvorstellungen veranlasst, über die Missstände bei HBOS zu berichten, sagt Moore. Immer wieder sei versucht worden, ihn zum Schweigen zu verdonnern, erzählt der Dissident. Risikocontroller Moore fing 2002 bei HBOS an. Schon bald stellte er fest, dass das Institut seine Kreditvergabe über alle Maßen ausweitete. Das Geschäftskonzept schien für den Baufinanzierer zu funktionieren, solange er sich mit billigem Geld auf dem internationalen Kapitalmarkt eindecken konnte. Bald nahm HBOS so viel Geld auf, wie der italienische Staat pro Jahr an Schulden macht, sagt Moore. Das Geld setzte HBOS unter anderem für Gewerbeimmobilien-Investments in ganz Europa ein, darunter auch in Deutschland.

Doch diese Strategie stand auf tönernen Füßen. Sie scheiterte schließlich, als sich die Schockwellen der Kreditkrise rund um den Globus ausbreiteten. 2005 warnte Moore in einem internen Bericht an den Vorstand, dass die in der Bank gepflegte "aggressive Verkaufskultur" unverantwortlich sei. Zuvor hatte er 145 Beschäftigte in den Kreditabteilungen interviewt, um ihre Meinung zu erfahren. Dabei kam heraus, dass viele unter dem massiven Druck ihrer Vorgesetzten litten, die Umsatzzahlen zu erhöhen. Doch der Vorstand wollte von Moores kritischen Ergebnissen nichts wissen. Stattdessen erhielt er die Kündigung.

Eine anschließende Prüfung der Wirtschaftsprüfer-Gesellschaft KPMG verteidigte die Entscheidung des Bankvorstands. Nach Meinung Moores war dies jedoch nur ein Versuch der "Weißwaschung", ebenso wie eine schlampig geführte Untersuchung der Finanzaufsicht FSA. "Sie tat alles, um dem Vorstand nach dem Mund zu reden", sagt Moore.

Viel Geld, viel Champagner

Einen erhellenden Blick in die angeblich so feine Bankerwelt liefert jetzt auch ein anderer Whistleblower, der für die Großbank Barclays arbeitete. Der Mann oder die Frau, deren Identität nicht veröffentlicht ist, offenbarte sich der liberalen Oppositionspartei im britischen Unterhaus. Der Guardian zitierte aus den brisanten Dokumenten, obwohl er gerichtlich dazu gezwungen wurde, viele Stellen zu schwärzen. Barclays protestierte gegen die Veröffentlichung aus der Arbeit des sogenannten Structured-Capital-Market-(SCM)-Teams.

Dennoch wurde einiges bekannt, etwa wie die hochbezahlten Spezialisten arbeiten, um für die Bank Steuersparmodelle zu entwickeln. Durch diese Transaktionen, die über Offshore-Firmen in Steueroasen wie den Cayman-Inseln laufen, sollen Barclays angeblich etwa eine Milliarde Pfund pro Jahr an Gewinn zufließen. Illegal sind die Steuervermeidungsstrategien zwar nicht unbedingt. Doch bei der Regierung wächst die Kritik an der Bankführung, die überlegt, faule Wertpapiere über ein milliardenschweres Hilfspaket des Staates absichern zu lassen.

Wo viel Geld fließt, wird auch gefeiert. Der unbekannte Whistleblower berichtet über Champagnergelage des SCM-Teams ebenso wie über abendliche Pokerrunden. Der Einsatz: angeblich Hunderttausende Pfund. Doch verlieren konnte der SCM-Chef offenbar nicht: Weil ein Mitarbeiter besser pokerte, soll ihm später seine Bonuszahlung entsprechend gekürzt worden sein.

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