Europäisches Finanzministerium:Trichets große Idee

Jean-Claude Trichet hat in diesen Krisenzeiten eine europäische Vision: ein Finanzministerium für alle EU-Staaten. Mit diesem Vorschlag zwingt der EZB-Präsident alle zum Nachdenken - über die Frage, ob der Vertrag von Lissabon nicht längst überholt ist.

Martin Winter

Ob es jemals ein europäisches Finanzministerium - und ein mächtiges dazu - geben wird, mag man bezweifeln. So hasenfüßig, wie die Mitglieder der EU derzeit an ihre politische Integration herangehen, hat eine so gewaltige Idee wie die des Präsidenten der Europäischen Zentralbank Trichet kurzfristig wohl eher keine Chancen. Aber dennoch hat der Vorstoß des Franzosen ein großes Gewicht, denn er kann die Europäische Union langfristig stark verändern.

EZB-Praesident Trichet mit Aachener Karlspreis ausgezeichnet

Ehrenvolle Auszeichnung: EZB-Präsident Trichet erhielt den Aachener Karlspreis.

(Foto: dapd)

Trichet nämlich zwingt die EU, sich endlich der Frage zu stellen, der sie bislang ausgewichen ist: ob der erst seit achtzehn Monaten gültige Vertrag von Lissabon nicht längst von den Entwicklungen überholt ist. Er sieht weder eine Wirtschaftsregierung vor, wie sie derzeit - sehr unverbindlich - diskutiert wird. Noch hat er Platz für ein gemeinsames Finanzregiment, wie Trichet es aus den bitteren Erfahrungen mit Griechenland, Portugal und Irland für nötig hält.

Beides aber, das lehren die Krisen der vergangenen Monate und der aktuelle Zustand des Euro-Raums, braucht die EU, wenn sie stabiler und weniger angreifbar werden will. Was schließlich allen, den Staaten wie den Völkern, zugutekäme. Anstatt also wie bislang den Lissabon-Vertrag juristisch so lange kneten zu lassen, bis man aus ihm irgendeine Art wenig wirksamer Wirtschaftsregierung herausgepresst hat, sollten sich die Mitgliedsländer an die Arbeit einer großen Vertragsänderung machen.

Vielleicht hilft ja der Hinweis, dass die Alternative das schleichende Ende der EU sein könnte. Trichet ist der erste unter den Großen, der in diesen Krisenzeiten eine europäische Vision hat. Damit zwingt er alle zum Nachdenken. Was ja schon mal ein guter Anfang ist.

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