Ein deutscher Regierungschef muss in Europa stets eine Doppelrolle spielen. Er muss deutsche Interessen vertreten und darf zugleich nicht egoistisch erscheinen. Auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung gelang das Helmut Kohl glänzend. Er trat als überzeugter Europäer auf und linderte so die Angst vor einem vereinigten Deutschland. Seit Ausbruch der Eurokrise will Angela Merkel dieser Spagat nicht mehr gelingen. Ihre Regierungserklärung vom Mittwoch war dafür ein trefflicher Beleg.
Sicher - sie und andere Redner der Koalition haben sich bemüht, als gute, also solidarische, freundschaftliche, fest entschlossene Europäer aufzutreten. Trotzdem sind sie alle in ihrer Argumentation sehr stark als Deutsche aufgetreten. Und deshalb wird auch dieser Beitrag der Kanzlerin kaum etwas daran ändern, dass viele europäische Nachbarn die Deutschen als so eigensinnig wie lange nicht mehr empfinden. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Zum einen findet Merkel bis heute nicht den Ton für ein Pathos, das überzeugen würde. Zum anderen fürchtet sie, dass mancher in ihrer Koalition bei einem anderen Auftreten ausscheren könnte.
Seit Griechenland in die Krise geriet, wächst, befeuert vom Boulevard, bei manchem in der Union die Lust, sich zu entsolidarisieren. Der CSU-Generalsekretär warnt gewohnt flott vor dem Ausverkauf deutscher Interessen; ein CDU-Ministerpräsident verwahrt sich gegen Hilfen für die Schuldenmacher Europas. Merkels Antwort: Sie hält mit eigener Härte dagegen. Das ist auf den ersten Blick verständlich und auf den zweiten gefährlich. Es befeuert eine Anti-Euro-Stimmung, die der Europa-Partei CDU noch sehr schaden könnte.